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# taz.de -- Islam in der Türkei: Demonstration der Macht
> In der Hagia Sophia findet nach ihrer Umwidmung das erste Freitagsgebet
> statt. Das Ereignis markiert das Ende der laizistischen Republik.
Bild: Ein Imam liest aus dem Koran – in der Ersten Reihe Präsident Recep Tay…
Istanbul taz | Vom Goldenen Horn aus sieht die Hagia Sophia aus wie immer.
Majestätisch thront sie auf dem ersten der sieben Hügel Istanbuls,
scheinbar unberührt. Doch der Schein trügt. Seit den frühen Morgenstunden
am Freitag pilgern zehntausende gläubige Muslime den Hügel hinauf. Viele in
traditioneller Tracht der islamischen Orden, verfremdet nur durch den
obligatorischen Mundschutz. „Heute ist ein schöner Tag“, jubiliert einer
ihrer Scheichs, „wir haben unsere Moschee zurück“.
Aus dem ganzen Land sind für diesen Tag des Triumphs Islamisten,
konservative Gläubige und die Hard-Core Anhänger des türkischen
Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogans [1][zum ersten Gebet in der Hagia
Sophia] seit 86 Jahren zusammengekommen.
Alle Straßen, die auf den ersten Hügel hinaufführen, sind gesperrt, doch
auch zu Fuß ist kein Durchkommen mehr. An elf Sperren kontrolliert die
Polizei jede einzelne Person, die auf dem Platz vor Hagia Sophia beten
will. Der Rückstau ist gewaltig, die meisten geben es auf, noch auf den
überfüllten Platz zu kommen.
Die ehemalige Kirche, Moschee, Museum und nun wieder Moschee ist für das
gemeine Volk sowieso gesperrt. Nur geladene Gäste Erdogans haben Zutritt,
insgesamt 500 füllen den weiten Raum der einst größten Kirche der
Christenheit.
## Auf Knien
Ganz vorne, in der ersten Reihe vor dem Prediger, kniet [2][Erdogan]. Neben
ihm sein Koalitionspartner Devlet Bahceli, Chef der ultranationalistischen
MHP, hinter ihm sein gesamtes Kabinett – mit Ausnahme der beiden
Ministerinnen, die gemeinsam mit Emine Erdogan in dem abgeteilten
Frauenbereich Platz nehmen müssen.
Erdogan ist ganz bei sich. Die Kameras zeigen sein Gesicht in Nahaufnahme,
tief konzentriert, grimmig geradezu, als er persönlich den Gesang zur
Einladung zum Gebet anstimmt. „Ein Jugendtraum geht in Erfüllung“ hatte er
zuvor in den Staatsmedien erklärt. Doch was sich an diesem 24. Juli 2020 in
Istanbul abspielt, ist mehr als die Erfüllung eines Traums unschuldiger
Gläubiger. Es ist eine Machtdemonstration.
Für Erdogan und seine Anhänger endet mit diesem Tag die laizistische
Republik Türkei und eine moderne Version des Osmanischen Reiches beginnt
wieder. Das Datum ist deshalb nicht zufällig gewählt.
Vor 97 Jahren, am 24. Juli 1923, wurde der Friedensvertrag von Lausanne
unterschrieben – die Geburtsstunde der türkischen Republik. Diese Republik
von Mustafa Kemal Atatürk, nach innen laizistisch und nach außen dem Westen
zugeneigt, endet hoch symbolisch an diesem 24. Juli 2020. Mit der
Wiederinbetriebnahme der Hauptmoschee des Osmanischen Reiches sendet
Erdogan nicht nur ein Signal nach innen, sondern vor allem nach außen. „Wir
sind wieder da“.
## Militärische Gewalt
Türkische Soldaten stehen im Irak in Syrien und in Libyen. Türkische
Kriegsschiffe eskortieren türkische Gas- und Öl-Explorationen im östlichen
Mittelmeer, aller Proteste Griechenlands, Zyperns und Ägyptens zum Trotz.
Wenn es nicht anders geht, scheut Erdogan sich nicht, militärische Gewalt
anzuwenden. Das wird vor allem Griechenland erleben, wenn es ernsthaft
versuchen sollte, sich Erdogan entgegen zu stellen. Die Griechen wissen das
und haben zu Recht Angst davor. Es ist deshalb nicht nur eine religiöse
Geste, wenn am Freitagabend in ganz Griechenland Trauergottesdienste
stattfinden.
Auch die Proteste der russisch-orthodoxen Kirche und ihres Patrons Wladimir
Putin haben Erdogan von seiner Machtdemonstration nicht abhalten können.
Die erste Predigt des obersten Klerikers des Landes, des
Dianet-Vorsitzender Ali Erbas, steht deshalb ganz im Zeichen der
osmanischen Tradition.
Angefangen von dem Sieg gegen die byzantinischen Truppen in Malazgirt 1071,
als erstmals seldschukische Truppen Anatolien eroberten, über die
Schlachten im Ersten Weltkrieg bis zu Erdogans Durchmarsch nach dem
misslungenen Putsch am 15. Juli 2016, betet er für alle Märtyrer, die für
den Glanz des Imperiums ihr Leben gegeben haben.
Vor der ehemaligen Kirche der Heiligen Weisheit stehen zehntausende
Anhänger dieser neuen Türkei und skandieren „Allah uh Akbar“. Auch wenn d…
größere Teil der Istanbuler Bürger das Spektakel in der Hagia Sophia
ignoriert – der 24. Juli 2020 wird auch und gerade an den Gegnern Präsident
Erdogans nicht spurlos vorübergehen.
24 Jul 2020
## LINKS
[1] /Hagia-Sophia-wird-wieder-Moschee/!5694639
[2] /Tabubruch-in-Istanbul/!5689272
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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Türkei
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