| # taz.de -- Hagia Sophia wird wieder Moschee: Der Triumph der Islamisten | |
| > Die Degradierung des berühmtesten Museums der Türkei zur Moschee sorgt | |
| > für Empörung. Die Hagia Sophia war zuletzt Symbol des Laizismus. | |
| Bild: So fromme wie nationalistische türkische Frauen vor der Hagia Sofia am T… | |
| Auf die Frage „Wem gehört die Hagia Sophia“, gibt es seit 1985 eine | |
| einfache Antwort. Der gesamten Menschheit, denn seitdem gehört das | |
| Wahrzeichen Istanbuls zum UNESCO Weltkulturerbe. Leider kann man das seit | |
| dem letzten Freitag nicht mehr sagen. | |
| In einer Art „Rückfall ins Mittelalter“, so die griechische | |
| Kulturministerin, hat das oberste Verwaltungsgericht der Türkei auf Wunsch | |
| von Präsident Recep Tayyip Erdogan nach 86 Jahren den Status der Hagia | |
| Sophia als Museum aufgehoben und damit den Weg freigemacht, dass das | |
| Gebäude zukünftig wieder als Moschee genutzt werden kann. | |
| [1][Erdogan zögerte keine Minute] und verordnete unmittelbar nach der | |
| Gerichtsentscheidung per Dekret, dass die Hagia Sophia ab sofort wieder | |
| eine Moschee ist und der Religionsbehörde Dianet unterstellt wird. | |
| Triumphierend wandte er sich anschließend im Fernsehen an die Nation und | |
| verkündete seinen Sieg über die Ungläubigen. „Damit teilte er der ganzen | |
| Welt mit, dass die Türkei kein laizistisches Land mehr ist“, kommentierte | |
| der [2][türkische Nobelpreisträger Orhan Pamuk] anschließend empört. | |
| Die Degradierung der Hagia Sophia in eine Moschee sorgte fast auf der | |
| ganzen Welt für Empörung. Nicht nur in Russland und Griechenland, den | |
| beiden wichtigsten orthodoxen Ländern, auch in den USA und in der EU | |
| herrscht Zorn und Unverständnis über die Entscheidung. Für die orthodoxe | |
| Kirche, namentlich die russische und griechische Orthodoxie, ist die Hagia | |
| Sophia auch mehr als 500 Jahre nach der Eroberung Konstantinopels durch die | |
| Osmanen das spirituelle Zentrum ihres Glaubens. | |
| Genau das machen ihnen die konservativen Muslime in der Türkei streitig. | |
| Schließlich war die Hauptkirche des Byzantinischen Reiches nach der | |
| Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453, fast 500 Jahre lang die | |
| Hauptmoschee des Imperiums, dessen Glorie die Islamisten sich sehnlichst | |
| zurückwünschen. | |
| ## Mustafa Kemal Atatürk machte die Moschee zum Museum | |
| Den Eiferern beider Religionen hatte der Gründungsvater der modernen | |
| Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, 1934 einen Strich durch die Rechnung | |
| gemacht. Als Ausdruck der neuen Türkei, in deren Verfassung die Trennung | |
| von Kirche/Moschee und Staat verankert ist, veranlasste er, dass die | |
| Moschee in ein Museum umgewandelt werden soll. | |
| Der Grund dafür ist die einmalige Geschichte und die Machtsymbolik, die mit | |
| dem Bau verbunden ist, seine bis heute überwältigende Schönheit und die | |
| emotionale Verbundenheit, die viele Menschen weltweit mit der Hagia Sophia | |
| empfinden. | |
| Wer mit dem Schiff nach Istanbul kommt sieht den Bau bereits von weitem. | |
| Wie eine Landmarke thront er auf dem ersten der sieben Hügel der Stadt, | |
| fast auf der Spitze der Halbinsel, die vom Marmarameer und dem | |
| fjordähnlichem Goldenen Horn umgeben ist. Bis heute, auch angesichts der | |
| zahlreichen später gebauten großen Moscheen und den noch später | |
| entstandenen Wolkenkratzern der Stadt, ist die Hagia Sophia ein | |
| unübersehbares architektonisches Statement. | |
| Wer sich ihr nähert bemerkt schnell, dass der Bau schon rein äußerlich als | |
| Hybrid daherkommt: nicht mehr Kirche und auch keine echte Moschee. An die | |
| vier Ecken des 80 Meter langen und 70 Meter breiten Baus sind im Laufe der | |
| Jahre nach der osmanischen Eroberung Minarette angebaut worden, die sich | |
| aber ganz harmonisch ins Bild fügen. Die alles überragende Kuppel und die | |
| typische Ziegelarchitektur der Spätantike, die in Istanbul quasi als | |
| Erkennungszeichen byzantinischer Bauten dient, weisen sie aber immer noch | |
| als ehemalige Kirche aus. | |
| Wer bislang das Museum durch den überdachten Vorbau betrat, stand erst | |
| einmal in der so genannten Narthex, einem Flur, der die gesamte Breite des | |
| Bauwerks einnimmt und durch dessen rechte Flügeltür früher der oströmische | |
| Kaiser die Kirche betrat. Exakt in der Mitte der Narthex befindet sich das | |
| Kaisertor, früher immer geschlossen und nur für den Kaiser geöffnet war. | |
| ## Über dem Kaisertor thront Christus als Panthokrator | |
| Bevor man den Hauptraum des Gebäudes betrat, empfahl es sich, einmal den | |
| Blick zu heben, denn über dem Kaisertor befindet sich eines der | |
| berühmtesten Mosaiken von Byzanz, Christus als Panthokrator | |
| (Weltbeherrscher). | |
| Noch „auf der Türschwelle stockt unwillkürlich der Schritt des Besuchers, | |
| geblendet vom Glanz des Tempels“, wie schon der berühmte Chronist der | |
| Spätantike, Prokop von Ceasarea schrieb. Tatsächlich ist der Eindruck auch | |
| heute noch überwältigend. Egal ob gläubig oder nicht, | |
| architekturinteressiert oder gänzlich Ahnungslos, es gibt kaum einen | |
| Besucher, der vor dem Bild das sich ihm bietet nicht staunend stehen | |
| bleibt. | |
| Der riesige Raum samt seinen Porphyrsäulen über dem scheinbar schwebend in | |
| 55 Meter Höhe die Kuppel aufragt, durchbrochen von 40 Fenstern durch die | |
| das Licht in die Halle strömt, ist ein Erlebnis, das seines gleichen sucht. | |
| Der Marmorfußboden ist farblich sorgsam komponiert, genauso die | |
| marmorverkleideten Wände. | |
| Heutige Besucher erlebten bisher im Innern eine perfekte Symbiose der | |
| christlichen und islamischen Geschichte des Hauses. Man hat die | |
| byzantinischen Mosaiken in der Apsis wieder freigelegt, die Engel an den | |
| Spitzen der vier Säulen die die Kuppel tragen sind restauriert worden doch | |
| gleichzeitig steht da, wo vordem der Altar war, jetzt der Mihrab, die | |
| islamische Gebetsnische und rechts davon die Kanzel, von der der Vorbeter | |
| sprach. | |
| Unter den Emporen hängen drei große auffällige ovale Holzschilder auf denen | |
| in arabischer Schrift die Namen Allah, Mohammed und al Bakri (der erste | |
| Kalif nach Mohammed) verzeichnet sind. Gleichwohl sind im Marmorfußboden | |
| noch die Muster zu sehen, die die zeremoniellen Einmärsche von Kaisern und | |
| Bischöfen markierten, mit denen die wichtigsten Staatsakte von Byzanz | |
| vollzogen wurden. | |
| ## Justinian, der letzte große römische Kaiser | |
| Um die Bedeutung der Hagia Sophia zu verstehen, muss man von Kaiser | |
| Justinian sprechen, der die Kirche in der heutigen Form bauen ließ. | |
| Justinian wurde am 1. August 527 römischer Kaiser in Konstantinopel. | |
| Westrom war 100 Jahre zuvor endgültig untergegangen. In der | |
| Geschichtsschreibung gilt Justinian als der letzte große römische Kaiser, | |
| er eroberte Nordafrika und weite Teile Italiens zurück und herrschte noch | |
| einmal von Gallien bis Ägypten. | |
| Vor seinen großen militärischen Erfolgen wurde er jedoch um ein Haar das | |
| Opfer eines von Konkurrenten geschürten Aufstandes, den er nur knapp | |
| überlebte. Bei diesem so genannten Nika-Aufstand im Januar 532, viereinhalb | |
| Jahre nach seiner Thronbesteigung, wurde das gesamte Zentrum | |
| Konstantinopels niedergebrannt, darunter die Basilika, die zuvor an dem | |
| Platz gestanden hatte, wo er dann die Hagia Sophia erbauen ließ. | |
| Obwohl im römischen Reich seit Kaiser Konstantin, also 200 Jahre vor | |
| Justinian, das Christentum zur herrschenden Religion geworden war, hatte | |
| Konstantinopel bis dahin noch keine zentrale Kathedrale. Genau die | |
| beschloss Justinian nach dem Nika-Aufstand zu bauen, nicht zuletzt um | |
| seinen Untertanen zu zeigen, dass er nach wie vor der von Gott gesandte | |
| Kaiser ist. Er beauftragte den Architekten Anthemios von Tralleis und den | |
| Mathematiker Isidor von Milet mit dem Bau einer Kirche, die nicht ihres | |
| gleichen haben sollte. | |
| Tatsächlich schufen die beiden Griechen einen Bau, der bis heute sprachlos | |
| macht und dessen statischen Geheimnisse erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts | |
| entschlüsselt werden konnten. Die 55 Meter hohe und 31 Meter breite Kuppel | |
| die lediglich auf vier Stützpfeilern ruht, war eine mathematische und | |
| ingenieurstechnische Revolution. | |
| Justinian ließ sämtliche Ressourcen des Reiches für den Bau | |
| zusammenkratzen, sehr hilfreich war dabei, dass sein Feldherr Belisar ein | |
| Jahr nach Baubeginn die Vandalen in Nordafrika vernichtend schlagen konnte, | |
| Karthago eroberte und die Schätze dieses Königreiches für den Bau der Hagia | |
| Sophia beisteuerte. Die Säulen ließ Justinian aus paganen Tempeln überall | |
| im Reich herbeischaffen, der Marmor kam aus den besten Steinbrüchen. | |
| ## Der orthodoxe, Reichtum und Macht verheißende Glaube | |
| Am Ende entstand in nur fünf Jahren Bauzeit – große Kathedralen in | |
| Westeuropa wurden über Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte gebaut – eine so | |
| eindrucksvolle, Gold- und Marmorblitzende Kirche, dass der Legende nach | |
| eine russische Abordnung nach einem Besuch der Hagia Sophia ihrem Zar | |
| empfohlen haben soll, sich dem orthodoxen Glauben anzuschließen, weil er | |
| Reichtum und Macht verhieße. | |
| Fast tausend Jahre lang blieb die Hagia Sophia dann das Zentrum des | |
| östlichen Christentums, bis dem osmanischen Sultan Mehmet II. 1453 die | |
| Eroberung Konstantinopels gelang. Mehmet war zwar vergleichsweise tolerant | |
| gegenüber Christen und Juden, doch die orthodoxen Patriarchen mussten sich | |
| seitdem mit einer wesentlich kleineren Kirche in Konstantinopel begnügen. | |
| Jetzt wird aus dem Museum, das allen Gläubigen und Ungläubigen zugänglich | |
| war, wieder eine exklusive Einrichtung der Muslime. Erdogan hat | |
| angekündigt, dass am Freitag dem 24. Juli das erste Gebet in der Ayasofia, | |
| wie sie im Türkischen heißt, stattfinden wird. Bis dahin wird umgebaut, das | |
| Museum ist ab sofort geschlossen. „Natürlich“, sagt Erdogan, dürfen | |
| Touristen das Gebäude auch zukünftig besuchen, wie alle anderen Moscheen | |
| auch. | |
| Doch das wird nicht mehr der Besuch eines Museums sein, sondern man wird, | |
| Barfuß und die Frauen mit bedecktem Kopf, von einer Ecke aus einen Blick | |
| hineinwerfen dürfen, natürlich ohne die Gläubigen zu stören. Immerhin, die | |
| kunsthistorisch so wertvollen Mosaiken und Fresken in der Hagia Sophia | |
| sollen nicht zerstört sondern nur zugehängt werden. Vielleicht ist der | |
| religiöse Spuk ja bald wieder vorbei. | |
| 12 Jul 2020 | |
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| [2] https://www.duvarenglish.com/domestic/2020/07/10/nobel-prize-winning-orhan-… | |
| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
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