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# taz.de -- Hagia Sophia als Moschee: Gebetsteppiche sollen wieder rollen
> Das Wahrzeichen Istanbuls soll nach dem Willen Erdoğans wieder ein
> Gotteshaus für Muslime werden. Damit schließt er sich den Islamisten an.
Bild: Innenansicht der Hagia Sophia
Istanbul taz | 86 Jahre lang war die Hagia Sophia, das bekanntesten
[1][Wahrzeichen Istanbuls], ein Museum. Nun soll sie nach dem Willen des
türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wieder in eine Moschee
umgewandelt werden.
Seit das höchste Verwaltungsgericht der Türkei vor zwei Tagen begann, über
diesen Antrag zu beraten, wittern die Islamisten des Landes Morgenluft.
Ganz Eifrige sind bereits dabei, auszumessen, wie groß der Teppich sein
soll, der den Marmorboden des altehrwürdigen Gebäudes bedecken muss, damit
die Gläubigen dort wieder niederknien können. Und [2][Erdoğan gibt den
Fanatikern Futter]: „Es war ein Fehler, die Moschee 1934 in ein Museum
umzuwandeln“, sagte er kürzlich seinem Haussender A-Haber.
Hatte er noch vor ein paar Jahren islamistischen Eiferern spöttisch
erwidert, sie sollten doch erst einmal versuchen, die gegenüberliegende
Blaue Moschee voll zu bekommen, bevor sie die Umwandlung der Ayasofia
fordern, so hat der Wind sich mittlerweile gedreht.
Jetzt tritt Erdoğan selbst im Prozess als Nebenkläger auf. Weil seine
[3][Popularität immer mehr zurückgeht], braucht er nun die Fanatiker und
Ultranationalisten, für die die Umwandlung des Museums so etwas wie ein
zweiter Sieg über den christlichen Westen ist, den sie in der Hagia Sophia
repräsentiert sehen. Schließlich war die Kirche nach der Eroberung
Konstantinopels durch die Osmanen 1453 schon einmal für fast 500 Jahre eine
Moschee.
## Symbol für Trennung von Religion und Staat
Deshalb kommt der Protest der griechischen Regierung oder des
US-Außenministeriums Erdoğan wie gerufen. „Wer regiert denn hier?“, rief …
seinen Anhängern lauthals zu, „die oder wir?“ Als die griechische Regierung
anmerkte, die Unesco müsse einer Umwandlung zustimmen, da die Hagia Sophia
ja ein Weltkulturerbe sei, beschied Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu kühl:
„Nur wir entscheiden, was aus dem Museum wird“.
Vermittelnd versuchte sich der moderate griechisch-orthodoxe Patriarch
Bartholomäus einzuschalten. Er wollte Erdoğan klar machen, dass er mit
einem solchen Schritt mutwillig Millionen Christen gegen sich aufbringen
würde. Gänzlich missverstanden hatte dagegen der armenische Patriarch von
Konstantinopel, Sahag Mashalian, die ganze Debatte. Er sei dafür, dass in
der Hagia Sophia wieder gebetet wird, sagte er. Das müsse dann aber nicht
nur für die Muslime, sondern auch für die Christen gelten.
Außerhalb der Religionsgemeinschaften sind die CHP-Republikaner gegen eine
Umwandlung, weil sie das Erbe von Republik-Begründer Kemal Atatürk, der die
Idee hatte, die „Kirche der göttlichen Weisheit“ zu einem Museum zu machen,
verteidigen wollen. In langen Artikeln in der Zeitung Cumhuriyet wird
dargelegt, dass die damalige Entscheidung rechtlich einwandfrei war und
nicht, wie von den Islamisten behauptet, nach damaligen Gesetzen illegal.
Atatürk wollte ein Museum, das für Menschen aller Glaubensrichtungen offen
ist. Zugleich sollte damit ein symbolisches Zeichen für den laizistischen
Staat, die Trennung von Religion und Regierung gesetzt werden.
Genau das wollten einige Islamisten schon immer ändern und jetzt hat sich
Erdoğan ihnen angeschlossen. Das Erbe Atatürks auszuradieren, ist eines der
wichtigsten Anliegen seiner AKP. Die liberale Bürgergesellschaft ist in dem
Konflikt dagegen weitgehend abgetaucht. Sie ist völlig damit ausgelastet,
für den Erhalt ihrer letzten Institutionen, [4][etwa die Anwaltskammer], zu
kämpfen.
## Museumskasse soll offen bleiben
Das einzige, das die Hagia Sophia als Museum jetzt noch retten kann, ist
die [5][Ebbe in den Staatskassen]. Die Hagia ist das mit Abstand
meistbesuchte Museum der Türkei. Rund vier Millionen Touristen zahlten im
letzten Jahr Eintritt für die Hagia.
Mit seiner zeitlosen Schönheit und der 56 Meter hohen Kuppel, die über den
Besuchern zu schweben scheint, ist der Bau, der 537 nach Christus als
größte Kirche Ost-Roms eingeweiht wurde, ein historisches Juwel, das auch
Ungläubige und Agnostiker berührt. Deshalb zahlen die Besucher klaglos den
hohen Eintrittspreis von fast 15 Euro – Einnahmen, die das
Kulturmministerium auch für den Erhalt anderer, weniger gut besuchten
Museen dringend braucht.
Viele vermuten deshalb, dass am Ende ein Kompromiss stehen wird, der das
Beten an bestimmten Tagen erlaubt, aber die Museumskasse dennoch weiter
offen lässt.
4 Jul 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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Krise der Demokratie
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