# taz.de -- Verfassungsgericht zu Teilhabepaket: Bund darf Städte nicht belast… | |
> Seit 2011 müssen Kommunen das Schulessen oder Musikunterricht für Kinder | |
> aus Harz-IV-Familien zahlen. Jetzt muss eine Neuregelung her. | |
Bild: Frühstück an einer Grundschule | |
Freiburg taz | Der Bund hat im Rahmen seiner Hartz-IV-Gesetzgebung die | |
Rechte der Kommunen verletzt. Das stellte jetzt das | |
Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzbeschluss fest. Der Bund durfte | |
die Verwaltung des Bildungs- und Teilhabepakets für arme Kinder nicht den | |
Kommunen auferlegen. | |
Das Bildungs- und Teilhabepaket war 2011 eingeführt worden, nachdem das | |
Bundesverfassungsgericht im Vorjahr die Berechnung der Hartz-IV-Sätze für | |
Kinder und Jugendliche beanstandet hatte. Es sei nicht zulässig, für Kinder | |
einfach nur einen Prozentsatz der Leistungen für Erwachsene vorzusehen. Ihr | |
Bedarf, insbesondere für schulische Aufwendungen, müsse gesondert beziffert | |
werden, so Karlsruhe damals. | |
Im Bildungs- und Teilhabepaket wurden dann einige Zusatzleistungen für | |
bedürftige Kinder und Jugendliche eingeführt. So bezahlt der Staat derzeit | |
150 Euro für Schulbedarf pro Jahr und er übernimmt die Kosten für | |
Schulessen, Schulausflüge, Beförderung zur Schule und Nachhilfe. Außerdem | |
stehen pro Monat 15 Euro für Vereinsmitgliedschaften oder Musikunterricht | |
zur Verfügung. | |
Das Paket war sozialpolitisch umstritten, weil die Leistungen bei den | |
meisten Berechtigten nicht ankamen. So erhielten in NRW im Jahr 2018 nur | |
2.643 Kinder und Jugendliche entsprechende Zahlungen. Ab 2020 müssen | |
deshalb teilweise keine Anträge mehr gestellt werden. Die [1][komplizierte | |
Ausgestaltung der Ansprüche] war aber nicht Thema am | |
Bundesverfassungsgericht. | |
## NRW-Städte haben geklagt | |
Zehn Städte aus NRW hatten vielmehr geklagt, weil sie die Zuweisung der | |
Aufgabe per Bundesgesetz für verfassungswidrig hielten. Tatsächlich heißt | |
es im Grundgesetz: „Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und | |
Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden“ (Artikel 84 Absatz 1 | |
Satz 7). | |
Dieses sogenannte Durchgriffsverbot war 2006 bei der Föderalismusreform ins | |
Grundgesetz eingefügt worden. So wollte man sicherstellen, dass nur die | |
Länder den Kommunen Aufgaben zuweisen, weil in allen Landesverfassungen ein | |
Anspruch der Kommunen auf Gegenfinanzierung durch die Länder enthalten ist. | |
Das Bundesverfassungsgericht hat nun erstmals systematisch ausgelegt, was | |
das Durchgriffsverbot konkret bedeutet. Danach darf der Bund den Kommunen | |
keine neuen Aufgaben zuweisen, aber auch bestehende Aufgaben nicht | |
erheblich verändern. | |
## Gericht gewährt Übergangsfrist | |
An diesem Maßstab gemessen, war das Gesetz über das Bildungs- und | |
Teilhabepaket verfassungswidrig. Zwar waren die Kommunen schon bisher für | |
die Mehrkosten bei Schulbedarf und mehrtägigen Klassenfahrten zuständig, | |
alle anderen Ansprüche aus dem Paket, etwa auf die Bezahlung von | |
Schulessen und Musikunterricht, waren jedoch neu. Auch die Prüfung der | |
Anträge bringe zusätzlichen Aufwand für die Kommunen, erklärte das Gericht. | |
Obwohl Karlsruhe das Gesetz nun für verfassungswidrig erklärt hat, gilt es | |
bis zum 31. Dezember 2021 fort. Denn die Leistungen an Kinder- und | |
Jugendliche gehörten zum Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, | |
so die Richter. | |
Bis dahin muss der Bundestag die Zuständigkeit für das Bildungs- und | |
Teilhabepaket neu regeln. Vermutlich wird er den Ländern die nähere | |
Bestimmung überlassen. Die Grünen sehen allerdings die Chance, nun einen | |
ganz anderen Ansatz einzuführen, sie fordern eine „Kindergrundsicherung | |
ohne Antragsdschungel“. (Az.: 2 BvR 696/12) | |
7 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Bildungs--und-Teilhabepaket-BuT/!5530021 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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