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# taz.de -- 70 Jahre Eisenhüttenstadt: Geburtstag des Stahl-Riesen
> Vor 70 Jahren beschloss die SED den Bau des „Eisenhüttenkombinats Ost“.
> Heute ist es eines der größten Flächendenkmäler in Deutschland.
Bild: Als die Welt noch schwarzweiß war: Eisenhüttenstadt 1974
Eisenhüttenstadt epd | Es waren Aufbruchzeiten: Im Juli 1950 hielt die SED
in Ost-Berlin ihren dritten Parteitag ab, den ersten nach Gründung der DDR.
Der erste Fünfjahresplan wurde beschlossen, der Abriss des Berliner
Stadtschlosses – und die Gründung des „Eisenhüttenkombinats Ost“ nahe d…
polnischen Grenze. [1][Es sollte die junge DDR unabhängig machen von
Stahlimporten].
Bereits kurz nach dem Parteitag vom 20. bis 24. Juli ging es los: Der
symbolische erste Axthieb für das Großprojekt bei Fürstenberg an der Oder
wurde am 18. August gesetzt, am Neujahrstag 1951 der Grundstein für den
ersten Hochofen gelegt. Und es wurde eine Wohnstadt für das EKO-Stahlwerk
geplant, die nach dem Willen der SED die „erste sozialistische Stadt
Deutschlands“ werden sollte.
Walter Ulbricht gab das Programm vor: „Bürgerlich-kapitalistische
Verdummungseinrichtungen“ sollte es in der neuen Stadt nicht geben. Kirchen
waren nicht vorgesehen. Nur zwei Gebäude mit Türmen waren geplant – ein
Rathaus und ein Kulturhaus mit einem „noch schöneren Turm“. So kündigte es
der DDR-Parteichef in seiner als „Turmrede“ bekanntgewordenen Ansprache an,
als die entstehende Siedlung 1953 den Namen „Stalinstadt“ bekam.
Die ersten drei modernen Wohnkomplexe wurden bis 1957 errichtet. Der Aufbau
des Kombinats und seiner Wohnstadt wurde in der DDR ausgiebig publizistisch
begleitet. „Es ging um die Präsentation beispielhafter Fortschritte im
ersten Fünfjahrplan“, hat es der Historiker Andreas Ludwig zusammengefasst,
der nach der Wiedervereinigung in Eisenhüttenstadt das
Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR aufgebaut hat. Die DDR habe als
„bessere Alternative in gesamtdeutscher Ausrichtung“ dargestellt werden
sollen.
## Romane über das Stahlkombinat
Auch die Kultur war mit dabei. „Achtung, Achtung, West-Berlin, hier gibt's
Arbeit“, zitiert Ludwig aus der Chorkantate „Eisenhüttenkombinat Ost“, d…
1951 von Hans Marchwitza und Ottmar Gerster verfasst wurde. Und: „Notiert
Genossen, E.K.O. stellt noch ein.“ Romane und weitere Musikstücke über das
Stahlkombinat und seine Stadt folgten.
Die Wohnkomplexe I bis IV wurden als „sozialistische Idealstadt“ gebaut.
Doch Materialmangel und fehlende Arbeitskräfte kündigten bald
wirtschaftliche Schwierigkeiten an. Die späteren Wohnkomplexe fielen dann
bescheidener aus und wurden überwiegend als Plattenbauten in industrieller
Bauweise errichtet.
Die Kirche war trotz der widrigen Umstände aktiv. Heinz Bräuer nahm dort
als erster evangelischer Pfarrer Anfang 1953 seine Arbeit auf. Gepredigt
hat er zunächst in einem Bretterwagen. „Der Wagen stand direkt am
Werkseingang“, hat der Theologe, der 2007 mit 91 Jahren gestorben ist,
einmal erzählt: „Da kamen die Leute.“ Dann wurde ein Zelt aufgebaut und im
Herbst 1954 eine Baracke – als Provisorium für 24 Jahre. Ab 1978 entstand
dann für rund 1,8 Millionen D-Mark ein evangelisches Gemeindezentrum,
massiv, aus Stein, auf Dauer. Und diese Kirche wurde aus Kostengründen
tatsächlich ohne Turm gebaut.
## Von Stalin zu Eisenhütten
1961 wurde Stalinstadt in Eisenhüttenstadt umbenannt, 1986 die erste
deutsch-deutsche Städtepartnerschaft mit Saarlouis geschlossen. Zu
Hoch-Zeiten haben im Stahlwerk rund 16.000 Menschen gearbeitet, inzwischen
sind es nur noch rund 2.500, das Werk gehört jetzt zum Konzern
ArcelorMittal. Tausende Stahlarbeiter verloren zu Wendezeiten ihren
Arbeitsplatz. In der Stadt habe damals eine „Atmosphäre der Angst“
geherrscht, hat es eine frühere Einwohnerin einmal beschrieben.
Die Einwohnerzahl sank von mehr als 50.000 auf deutlich unter 30.000. Mehr
als 6.000 Wohnungen wurden wegen Leerstands abgerissen, die frühen
Wohnkomplexe I bis III stehen inzwischen unter Denkmalschutz. Und
Eisenhüttenstadt ist heute eines der größten städtebaulichen
Flächendenkmäler der Bundesrepublik.
Die Stadt sei wie das „Bilderbuch einer sozialistischen Idealstadt, ein
Gesamtkunstwerk“, sagt Brandenburgs Landeskonservator Thomas Drachenberg:
„Sie können noch heute in Eisenhüttenstadt den Traum vom Sozialismus
erleben.“ Städtebau und Architektur zeigten zugleich, wie die DDR gedacht
habe – und wie es der DDR tatsächlich ging. Nach 1989 sei die Stadt
vorbildlich saniert worden, betont Drachenberg: „Das ist eine großartige
Leistung aller Beteiligten vor allem in der Stadt selber.“
Die in der DDR legendäre Großgaststätte „Aktivist“ ist heute Sitz der
Eisenhüttenstädter Wohnungsbaugenossenschaft. In einer ehemaligen
Kindertagesstätte im Wohnkomplex II ist das Dokumentationszentrum
Alltagskultur der DDR untergekommen. Das „Haus der Parteien und
Massenorganisationen“ ist zum Rathaus geworden. Und die Schule I der Stadt,
vor der Ulbricht einst den Namen Stalinstadt ausrief, heißt jetzt
Astrid-Lindgren-Schule.
19 Jul 2020
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