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# taz.de -- Konfliktologe über Berg-Karabach: „Viele sind kriegsmüde“
> Der georgische Experte Paata Zakareishvili sieht in den jüngsten
> Gefechten zwischen Aserbaidschan und Armenien eine neue Stufe der
> Eskalation
Bild: Trauerfeier für einen getöteten General am vergangenen Mittwoch in Baku
taz: Herr Zakareishvili, seit mehreren Tagen sind wieder Gefechte zwischen
der aserbaidschanischen und der armenischen Armee aufgeflammt – die
schwersten seit 2016. Doch sie finden nicht wie üblicherweise in der Nähe
der Konfliktzone Berg-Karabach statt, sondern direkt an der Grenze zwischen
den beiden Ländern. Haben wir es mit einer neuen Stufe militärischer
Auseinandersetzungen zu tun?
Paata Zakareishvili: Was jetzt an der nördlichen Grenze der armenischen
Region Tawusch passiert ist,geht in der Tat über das hinaus, was wir bisher
gesehen haben. Denn mit den Republiken Armenien und Aserbeidschan grenzen
hier zwei souveräne Staaten aneinander. Soweit [1][die Eskalation] direkt
an der Grenze zu Armenien passiert und Dörfer in Armenien beschossen
werden, könnte Russland direkt militärisch eingreifen. Beide Staaten sind
Mitglieder eines Militärbündnisses (der Organisation des Vertrags über
kollektive Sicherheit (OVKH), Anm. d. Red.).
Halten Sie dieses Szenario derzeit für real?
Eher nicht. Denn Russland will Aserbeidschan nicht als Partner verlieren.
Außerdem steht die Türkei Russlands Machtposition im Süd-Kaukasus zunehmend
kritisch gegenüber. Anders gesagt: Nicht nur Russland, sondern auch die
Türkei versucht aufgrund der Eskalationen ihre Position in der Region zu
stärken.
Woran machen Sie das fest?
Moskau dominiert zwar als Vermittler zwischen den Konfliktparteien. Doch
die Türkei versucht, sich immer stärker einzumischen. Bis jetzt beschränkt
sich Ankaras Unterstützung auf politische Absichtserklärungen an
Aserbaidschan. Doch jetzt zeigt sich die türkische Regierung bereit,
Aserbaidschan im Krieg gegen Armenien militärisch zu unterstützen. Damit
positioniert sich Ankara nicht nur gegen Jerewan, sondern auch gegen
Moskau.
Wo bleibt da die westliche Politik? Zum Beispiel Frankreich und die USA,
die in der Minsker OSZE-Gruppe als Vermittelter an einer Konfliktlösung
mitwirken sollen?
Die Minsker OSZE-Gruppe, der USA, Frankreich und Russland angehören,
versucht seit 1992 in dem Konflikt zu vermitteln. In diesem Gremium
vertritt Frankreich sowohl seine Interessen als auch die der EU. Doch die
Bedeutung des europäischen Faktors ist immer kleiner geworden. Von
europäischen Seite ist es nicht gerade die klügste Entscheidung, die Lösung
dieses Konfliktes Russland und der Türkei zu überlassen. Noch dazu, weil
sich Brüssel auch im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik für den
Süd-Kaukasus engagiert.
Sie sind sowohl in Armenien, als auch in Aserbaidschan unterwegs. Welchen
Eindruck haben Sie von der Stimmung in den beiden Ländern?
Sowohl in Aserbaidschan als auch in [2][Armenien] ist die Bevölkerung müde
vom Krieg. Propagandistische Durchhalteparolen wie „Ein Volk, eine Armee“
sind nach der Samtenen Revolution 2018 in Armenien verschwunden. Als Nikol
Paschinjan als Premierminister an die Macht kam, gehörte auch eine
friedliche Lösung für Karabach zu seinem Programm. Die Waffen haben dann ja
auch lange geschwiegen. Doch eine weitere Eskalation könnte Pashinjans
Politik infrage stellen. Auch in Aserbaidschan haben die Menschen den Krieg
satt.
Wirklich? Bei Protesten in Baku haben Tausende einen Militäreinsatz zur
Eroberung von Berg-Karabach gefordert
Die Bevölkerung in Aserbaidschan ist leicht zu mobilisieren, vor allem
viele aserbaidschanische Flüchtlinge (Personen, die wegen des
Karabachkrieges 1992 – 1994 nach Aserbaidschan flüchten mussten, Anm. d.
Red.) fordern von der Regierung ein härteres Vorgehen gegen Armenien. Dafür
nutzen sie jede Möglichkeit. Obwohl einige versucht haben in das
Parlamentsgebäude einzudringen, verwandelten sich die Demonstrationen
trotzdem nicht in einen Anti-Regierungs-Protest.
Vielleicht, weil die Polizei brutal eingegriffen und die Proteste mit
Wasserwerfern und Schlagstöcken aufgelöst hat. Präsident Ilham Alijew hat
übrigens seinem Außenminister Verantwortungslosigkeit vorgeworfen und ihn
dann entlassen
Alijew muss seinem Volk beweisen, dass er daran arbeitet, Karabach zurück
zu holen. Um die Demonstranten zu beruhigen, sucht er nach Schuldigen und
verspricht sie zu bestrafen. Dieses Mal sind die Diplomaten dran. Auch
Personalwechsel im Ministerium würden sich nur an die eigene Gesellschaft
richten.
In Armenien denkt die Mehrheit, der Krieg sei bereits gewonnen. Deswegen
will sie den Status Quo aufrecht erhalten. In Aserbaidschan ist das
Gegenteil der Fall. Deswegen wird Baku jetzt noch mehr Alarm schlagen,
damit die Welt den Karabach-Konflikt nicht vergisst.
17 Jul 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Tigran Petrosyan
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