# taz.de -- Karliczek über Schule in Corona-Zeiten: „Eltern können viel bew… | |
> Unzufrieden mit Schule in Corona-Zeiten? Eltern sollen vor Ort für die | |
> Rechte ihrer Kinder kämpfen, empfiehlt Bildungsministerin Anja Karliczek, | |
> CDU. | |
Bild: Anja Karliczek begrüßt die Aussicht: Nach den Sommerferien sollen alle … | |
taz: Frau Karliczek, nach den Sommerferien wollen alle Bundesländer die | |
Schulen wieder für den regulären Betrieb öffnen? Wie finden Sie das? | |
Anja Karliczek: Es ist gut, dass die Bundesländer spätestens nach den | |
Sommerferien in den Schulen zum Regelbetrieb zurückkehren wollen – auf der | |
Grundlage von Schutz- und Hygienekonzepten. Damit bekommen die Schülerinnen | |
und Schüler und deren Eltern, denen in den vergangenen Wochen viel | |
zugemutet wurde, nun eine gewisse Planungssicherheit. | |
Gehen die Länder nicht zu forsch vor? | |
Derzeit erlaubt es die Infektionslage sicher, dies in Aussicht zu stellen. | |
Wir müssen uns allerdings auch bewusst sein, dass steigende | |
Infektionszahlen und lokale Infektionsausbrüche Schulöffnungen immer wieder | |
im Einzelfall oder gar in Regionen infrage stellen werden. | |
Vor einigen Wochen noch haben Sie gemahnt, eine Rückkehr zum Regelbetrieb | |
sei nicht realistisch. | |
Ich habe immer darauf hingewiesen, dass wir noch mitten in der Pandemie | |
sind und vorsichtig sein müssen. Wir wissen mittlerweile durch neue Studien | |
mehr über das Infektionsgeschehen bei Kindern und Jugendlichen. Das | |
erleichtert die Entscheidungen. Aber eines ist klar: Wir müssen auch bei | |
geöffneten Schulen die Kontrolle behalten können. | |
Wie soll das gehen, wenn die Mindestabstände nicht mehr gelten? | |
Es gibt einige Hebel, das Infektionsrisiko im Griff zu behalten. Man kann | |
die Pausen entzerren oder Präsenz- und Onlineunterricht mischen. Es muss | |
vor allem sichergestellt werden, dass Infektionen zurückverfolgt werden | |
können. | |
Steht hinter der Rückkehr zum Regelbetrieb nicht einfach das Eingeständnis, | |
dass es zu wenig Personal und zu wenig Räume gibt? Eine LehrerIn kann eben | |
nicht gleichzeitig zwei Klassen betreuen und nebenbei Videounterricht | |
geben. | |
Es gibt wirklich tolle Ansätze und Schulen, die es hingekriegt haben, | |
beides anzubieten: das Lernen in der Schule und den digitalen Unterricht zu | |
Hause. Eine Möglichkeit, zusätzliche Räume zu schaffen, ist, vor Ort | |
Container aufzustellen, wie es übergangsweise auch früher bereits | |
praktiziert wurde. | |
Das löst nicht das Personalproblem. Schon vor der Corona-Krise gab es einen | |
Mangel an Lehrerinnen und Lehrern, der sich jetzt verschärft. Wann wollen | |
Sie endlich gegensteuern? | |
Das eine ist die Frage, was zu tun ist, um mehr junge Leute für diesen | |
Beruf zu begeistern und damit dem Mangel langfristig entgegenzuwirken. | |
Kurzfristig kann man Personalkapazitäten vielleicht auch aufstocken, indem | |
man Interessierte aus der außerschulischen Bildung oder auch | |
Lehramtsstudierende gewinnt. | |
Unser Eindruck ist: Jede Schule wurschtelt vor sich hin. Müssen Sie als | |
Bundesbildungsministerin nicht spätestens jetzt eine Marschrichtung | |
vorgeben und sagen, wohin wir wollen – und wie wir kontrollieren, ob es | |
umgesetzt wird? | |
Unser Grundgesetz weist die Zuständigkeit für die Schulen allein den | |
Ländern zu. Als Bundesbildungsministerin kann ich deshalb nur Vorschläge | |
machen und das habe ich getan. Ich habe mich dabei immer dafür | |
ausgesprochen, die Einzelheiten der Unterrichtsgestaltung am besten in den | |
Schulen zu regeln. In jeder Schule sind die räumlichen Möglichkeiten | |
verschieden und die Lehrerkollegien anders zusammengesetzt. Auch die Länder | |
werden den Schulen nicht einfach sagen können: Macht das bitte mal so und | |
so, und dann klappt das schon. | |
Nehmen Sie die Gesundheitsämter. Die sind auch vor Ort zuständig und tragen | |
die Verantwortung für den Infektionsschutz. Aber es gibt auch noch einen | |
Bundesgesundheitsminister, der auf die Pauke haut. Warum gelingt Ihnen das | |
nicht? | |
Die Frage der Öffnung der Schulen ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Die | |
Rückkehr zu einem verlässlichen Unterricht mit Vorsicht, also mein Punkt, | |
ist jetzt die allgemeine Linie. Die Situation für die Familien mit Kindern | |
war sehr schwierig. Die Forderung, die Schulen möglichst sofort und | |
vollständig wieder zu öffnen, war nur allzu verständlich. Die Umsetzung | |
geschieht an den Schulen. Da können sich auch die Eltern äußern. Unter den | |
Eltern gibt aber auch nicht wenige, die Angst vor einer Ansteckung haben. | |
Sie wollen den Eltern die Verantwortung dafür übertragen, dass das Recht | |
ihrer Kinder auf täglichen Unterricht durchgesetzt wird? | |
Nein, verantwortlich sind der Träger und die Schulleitung. Sie müssen | |
gemeinsam ein Konzept entwickeln. Aber natürlich sollten sich auch die | |
Eltern einbringen, wenn es ihrer Meinung nach nicht gut läuft. Dafür gibt | |
es Schulkonferenzen. Wir haben gezeigt, dass wir als Gesellschaft in Krisen | |
viel leisten können. Das war in der Flüchtlingskrise so, und jetzt in der | |
Coronakrise. Und auch in den Schulen können Lehrer, Eltern und Kinder | |
gemeinsam viel bewirken. | |
Im Konjunkturpaket sind 2 Milliarden Euro für Schulen und 1 Milliarde für | |
die Kitas enthalten. Bei 130 Milliarden insgesamt ist das ziemlich mager. | |
Warum haben Sie nicht härter gekämpft? | |
Der Bund investiert in die Schulen wie noch nie, obwohl er für die | |
Schulpolitik nicht zuständig ist. Das zeigt sich auch beim Thema | |
Ganztagsausbau. Bund und Länder sind sich einig, jetzt die Voraussetzungen | |
für einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung und ihre Finanzierung – | |
einschließlich der Betriebskosten – zu klären. Der Bund wird sich nach den | |
zusagten 2 Milliarden Euro mit noch einmal 1,5 Milliarden Euro engagieren … | |
… um den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder bis zum zehnten | |
Lebensjahr zu sichern. So ist es im Koalitionsvertrag vereinbart. Wäre in | |
der Krise nicht die Gelegenheit gewesen, groß zu denken und tatsächlich in | |
den Bildungsbereich zu investieren? | |
Wir investieren große Summen, die aber abfließen müssen. Man sollte in der | |
Koalition auch nur das fordern, was ich sinnvollerweise auch ausgeben kann. | |
Genau das haben wir getan. | |
Wo ist der Fehler? Sie haben zu viel Geld, das nicht ausgegeben wird. In | |
den Schulen aber gibt es kein WLAN, der Putz bröckelt und die Toiletten | |
sind kaputt. | |
Wir haben überall Engpässe bei der Umsetzung von Maßnahmen und leider auch | |
im Schulbereich. | |
Das liegt wieder einmal an den Ländern? | |
Auch dort, aber zum Teil auch vor Ort. Es gibt in den Kommunen zu wenig | |
Planungskapazitäten. Wenn alle Planungsbüros ausgelastet sind, lässt sich | |
der Neubau einer Schule leider nicht zügig umsetzen. Ich bedaure dies sehr. | |
Ich finde, gerade Schulen müssten Priorität haben. | |
Die 5 Milliarden aus dem Digitalpakt sind größtenteils noch nicht | |
ausgegeben. Woran liegt das? | |
Die Schulen beziehungsweise die Schulträger bekommen eben erst Geld, wenn | |
sie ein Digitalkonzept vorgelegt haben und die Weiterbildung der Lehrer | |
gesichert ist. Manche Bundesländer haben vorgearbeitet und vorausschauend | |
Förderrichtlinien erlassen. Manche Länder hatten schon zu Jahresbeginn | |
recht viele Mittel eingesetzt – insbesondere Hamburg und Bremen. | |
Die Länder bekommen aus dem Digitalpakt Geld für Hard- und Software. Für | |
Weiterbildungsmaßnahmen der Lehrerinnen und Lehrer jedoch nicht, das müssen | |
sie selbst organisieren. Müsste der Bund nicht gerade jetzt verstärkt in | |
die Fortbildung investieren, damit alle Lehrkräfte in der Lage sind, | |
digitalen Unterricht anzubieten? | |
Wir haben festgelegt, dass es Geld aus dem Digitalpakt erst gibt, wenn die | |
Länder die Weiterbildung der Lehrer gesichert haben. Die | |
Ministerpräsidenten haben in der gemeinsamen Besprechung mit der | |
Bundeskanzlerin am letzten Donnerstag bekräftigt, dass sie die digitale | |
Weiterbildung der Lehrkräfte verstärken werden. Der Dreh- und Angelpunkt, | |
damit die Digitalisierung funktioniert, ist das Lehrerkollegium. Es geht | |
nicht allein um die Geräte. Sondern es geht darum, die Infrastruktur | |
pädagogisch nutzbringend einzusetzen. Und das geht nur mit gut | |
ausgebildeten Lehrinnen und Lehrern. | |
Viele Lehrerkräfte gelten nicht als besonders technikaffin. Vor der | |
Coronakrise hat gerade mal ein Drittel Laptops oder Smartboards im | |
Unterricht genutzt. Auch in der Krise hat manche Lehrerin noch nicht mal | |
einen Laptop. Warum tun sich viele schwer damit? | |
Das ist doch überall so. Oft wird an den bewährten Strukturen und | |
Arbeitsweisen festgehalten, ohne dass man merkt, dass dies ein wenig | |
überholt ist. Veränderung ist oft anstrengend. Ich glaube aber, dass durch | |
diese Krise ganz viel Bewegung entstanden ist. Es kann sein, dass auch in | |
Zukunft Schulen immer wieder geschlossen werden müssen, weil es neue | |
Infektionen gibt. Sehr viele Schulen werden dann aber schon in der Lage | |
sein, besseren Digitalunterricht anzubieten. | |
Sollten Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer in digitalen Methoden | |
nicht verpflichtend sein – und auch viel stärker in die Ausbildung | |
integriert werden? | |
Lehrer aus- und fortzubilden, ist Sache der Bundesländer. Wir unterstützen | |
sie mit der Qualitätsoffensive Lehrerbildung und haben einen Schwerpunkt | |
auf digitale Bildung gelegt. Was mich aber bewegt, ist, wie wir es | |
hinkriegen, dass eine Motivationskultur entsteht. Druck wird wenig | |
bewirken. Alle für Schule Verantwortlichen sollten stattdessen die guten | |
Beispiele in den Mittelpunkt stellen und fleißig loben. Dann fühlen sich | |
auch die angesprochen, die skeptisch sind. | |
23 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
Anna Lehmann | |
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