# taz.de -- Schwangerschaftsabbruch an Uniklinik: Immer weniger Ärzt:innen ber… | |
> Grünen-Politikerin Bärbl Mielich möchte die Bereitschaft zu Abbrüchen als | |
> Einstellungskriterium einführen – und muss zurückrudern. | |
Bild: Abtreibungsgegner? Mittelfinger hoch | |
Die Aufregung war groß. „Grüne wollen Ärzte entrechten“, [1][empörte si… | |
das katholische Magazin für Kirche und Kultur] diese Woche, [2][„Gegen | |
Abtreibungspflicht“] titelte die Süddeutsche Zeitung. Und der | |
stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Hermann | |
Gröhe, twitterte schlicht: „Skandalös!“ | |
Was war passiert? Die baden-württembergische Sozialstaatssekretärin Bärbl | |
Mielich [3][hatte in der taz gesagt], ihr Land prüfe, inwiefern die | |
Bereitschaft, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, eine | |
Einstellungsvoraussetzung für Ärzt:innen an Unikliniken sein könne. Gerade | |
eine Woche dauerte es, bis die Landesregierung den Vorstoß kassierte – und | |
Mielich sich in einer Pressemitteilung selbst widersprechen musste. Diese | |
Einstellungsvoraussetzung werde es nicht geben. Stattdessen versuche man | |
nun, mit den Universitätskliniken über das „komplexe und ethisch | |
anspruchsvolle Thema“ ins Gespräch zu kommen. | |
[4][Die eigenen Reihen waren Mielich in den Rücken gefallen]: Die grüne | |
baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer distanzierte | |
sich „in aller Form“ von dem Vorschlag, der „grundlegend falsch“ sei. U… | |
Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Grüner und bekennender Katholik, | |
beendete die Debatte, zumindest im Ländle: „Man kann Ärztinnen und Ärzte | |
selbstverständlich nicht dazu verpflichten, Abtreibungen vorzunehmen – und | |
das sollte auch kein Einstellungskriterium sein.“ | |
Nur einzelne Grünen-Politiker:innen widersprechen Kretschmann. „Aus meiner | |
Sicht ist es ein milder Eingriff, darauf zu achten, dass Menschen | |
eingestellt werden, die bereit sind, Abbrüche zu machen“, sagt die | |
Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther, die selbst Ärztin ist. „Das | |
heißt nicht, dass hundert Prozent der Ärzt:innen an einer Klinik dazu | |
bereit sein müssen – aber so viele, dass die Versorgung gesichert ist.“ Und | |
wenn es an einer Klinik zu wenige gebe, müsse man eben Menschen einstellen, | |
„die dazu bereit sind und es können“. | |
## Laut Gutachten ein Muss | |
Genau diese Vorgabe an die Kliniken wäre sowohl möglich als auch rechtens. | |
Angesichts dessen, dass in ganzen Regionen wie etwa der Oberpfalz, | |
Niederbayern oder dem Emsland kaum noch oder sogar gar keine Ärzt:innen | |
mehr Abbrüche machen, gab die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion | |
im Bundestag, Cornelia Möhring, 2019 ein Gutachten in Auftrag. Der | |
Wissenschaftliche Dienst des Bundestags sollte klären: Können Krankenhäuser | |
dazu verpflichtet werden, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen? | |
Einerseits müssen die Länder nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz | |
ausdrücklich die Versorgung ungewollt Schwangerer sicherstellen und in | |
zumutbarer Entfernung Einrichtungen vorhalten, die Abbrüche durchführen. | |
Andererseits muss niemand an einem Abbruch mitwirken – es sei denn, der | |
Frau drohen schwere gesundheitliche Schäden oder der Tod. | |
Möhrings Gutachten kommt zu einem fast überraschend eindeutigen Schluss: | |
„Die Bereitschaft, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, darf zur | |
Einstellungsvoraussetzung gemacht werden“, schreibt der Wissenschaftliche | |
Dienst. Um trotz des Weigerungsrechts der Ärzt:innen die Versorgung | |
sicherzustellen, seien gesetzliche Regelungen der Länder denkbar, „mit | |
denen sie (zumindest den öffentlichen) Krankenhäusern die Durchführung von | |
Schwangerschaftsabbrüchen verbindlich auferlegen.“ Unikliniken gehören zu | |
den öffentlichen Krankenhäusern. | |
Warum also die ganze Aufregung? „Die Grünen schielen auf Schwarz-Grün im | |
Bund – und die kirchlichen Kreise sind einfach zu stark“, vermutet Möhring. | |
Und die Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Familienplanung, | |
Sexualpädagogik und Sexualberatung [5][Pro Familia], Regine Wlassitschau, | |
sagt: „Wie die Debatte läuft, zeigt, wie tabuisiert das Thema | |
Schwangerschaftsabbruch hierzulande ist.“ Das eigentliche Problem sei die | |
Tatsache, dass viel zu wenige Gynäkolog:innen überhaupt noch Abbrüche | |
machen. | |
Nur rund 1.200 Ärzt:innen gibt es hierzulande, die diese | |
Gesundheitsleistung anbieten – ein Rückgang um 40 Prozent seit 2003. Grund | |
dafür ist unter anderem die öffentliche Stigmatisierung und Tabuisierung | |
des Eingriffs. „In Deutschland scheint es normaler und akzeptierter zu | |
sein, als Gynäkologin keine Abbrüche zu machen, als es zu tun“, sagt Alicia | |
Baier vom Ärzt:innen-Netzwerk Doctors for Choice. „Wir würden es begrüßen, | |
wenn die Bereitschaft, Abbrüche vorzunehmen, ein Einstellungskriterium sein | |
könnte.“ | |
## Das Problem in der Ausbildung | |
Aus ihrer Sicht müsse „von Anfang an klar sein, dass Abbrüche zum | |
Aufgabenfeld von Gynäkolog:innen dazugehören.“ Für diejenigen, die Abbrüc… | |
lernen wollen, sei es ohnehin schwer, eine Klinik zu finden, an der das | |
möglich ist, sagt Baier. | |
Bei der Ausbildung anzusetzen, darauf pocht auch Brandenburgs | |
Gesundheitsministerium, unter der ebenfalls grünen Ministerin Ursula | |
Nonnemacher. Der Vorschlag aus Baden-Württemberg sei „zu kurz gegriffen“, | |
er stelle eine „schnelle“, aber nicht nachhaltige Lösung des Problems dar: | |
„Es ist dringend notwendig und auch nachhaltiger, den Abbruch verstärkt in | |
die ärztliche Ausbildung einzubinden und somit eine Awareness zu erzeugen“, | |
sagt ein Ministeriumssprecher auf Anfrage der taz. | |
Wolle man die Bereitschaft, Abbrüche durchzuführen, zum | |
Einstellungskriterium machen, komme es sehr auf die Ausgestaltung an, sagt | |
Matthias Bloechle, Vorstandsmitglied der Berliner Ärztekammer. „Wenn jede | |
Einstellung an einer Uniklinik davon abhängig gemacht werden soll, dass ein | |
Arzt bereit ist, Schwangerschaftsabbrüche zu machen, wäre das höchst | |
problematisch.“ Ganz anders sehe es aus, wenn eine Uniklinik die | |
entsprechenden Ärzt:innen gezielt einstellen würde. „Einige | |
Spezialistenstellen auszuschreiben, um die Versorgung sicherzustellen, wäre | |
gar kein Problem. So etwas gibt es an Kliniken ja in vielfältigster Art und | |
Weise, da werden zum Beispiel Spezialisten für Brustkrebs oder | |
Eierstockkrebs eingestellt“, sagt Bloechle. | |
Ähnlich sieht es auch Ulf Meißner, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin. | |
Denn tatsächlich darf in Deutschland keine Ärztin und kein Arzt gezwungen | |
werden, gegen das eigene Gewissen Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. | |
„Darum geht es aber gar nicht, wenn die Uniklinik die Stelle von vornherein | |
entsprechend ausschreibt“, sagt Meißner. „Die Anforderungen für eine Stel… | |
legt der Arbeitgeber fest. Wenn also die Bereitschaft, | |
Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, in der Ausschreibung ganz klar als | |
Grundvoraussetzung für die Stelle benannt wird, dann sollte das möglich | |
sein.“ | |
## Der stille Spahn | |
Was aber, wenn eine Ärztin bereit ist, Abbrüche durchzuführen, an der | |
Uniklinik eingestellt wird – und ein Jahr später ihre Meinung ändert? | |
„Damit würde sie der Klinik gegebenenfalls einen personenbedingten | |
Kündigungsgrund geben, falls keine andere Einsatzmöglichkeit besteht“, sagt | |
Meißner. In diesem Fall würde ja niemand gezwungen, Abbrüche durchzuführen. | |
„Stattdessen wird festgestellt, dass dieser Person durch ihre Entscheidung | |
fortan die Eignung fehlt, die entsprechende Stelle zu besetzen.“ | |
Und Gesundheitsminister Jens Spahn? Der hält sich raus. Ein Konzept aus | |
seinem Haus, wie die Qualifizierung von Ärzt:innen zu Methoden des | |
Schwangerschaftsabbruchs „fortentwickelt und ausgeweitet“ werden kann, um | |
die Versorgungslage zu verbessern, sollte schon Ende letzten Jahres auf dem | |
Tisch liegen. Nun heißt es, darüber werde „noch beraten“, einen Termin f�… | |
die Veröffentlichung könne man nicht nennen. Und was die | |
Einstellungsvoraussetzung an Krankenhäusern angeht, möge man sich bitte an | |
die Länder wenden. | |
Ärztekammervorstand Matthias Bloechle hat derweil noch einen anderen | |
Vorschlag, um die Versorgungslage für ungewollt Schwangere zu verbessern. | |
„Das Land könnte erst mal sicherstellen, dass die entsprechenden Ärzte und | |
ihre Patientinnen nicht von Leuten attackiert werden, die sich selbst als | |
Lebensschützer begreifen“, sagt er. Ungewollt Schwangere würden vor | |
Arztpraxen „heimgesucht und beschimpft“, Ärzt:innen fänden ihre Namen an | |
„Internet-Prangern“ auf Websites wie abtreiber.com oder babycaust.de | |
wieder. Dort würden Abtreibungen teils mit dem Holocaust gleichgesetzt. „Da | |
muss man sich nicht wundern, wenn die Bereitschaft gering ist.“ | |
18 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://katholisches.info/2020/07/13/gruene-wollen-aerzte-entrechten-und-zu… | |
[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/aerzte-an-unikliniken-gegen-abtreibungs… | |
[3] /Gruenen-Politikerin-ueber-Abtreibung/!5696119 | |
[4] /Streit-um-Abtreibungen-bei-den-Gruenen/!5694897 | |
[5] https://www.profamilia.de/ | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
Dinah Riese | |
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