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# taz.de -- Stressabbau mit Yoga: Atemübung mit Nebenwirkungen
> Im Yoga gibt es eine Reihe von Atemtechniken. Eine davon ist Kapālabhāti.
> Die Übung soll die Aufmerksamkeit schulen. Doch sie ist nicht
> ungefährlich.
Bild: Atemübungen sind ein fester Bestandteil der Yoga-Praxis, dazu gehört au…
Die wegen Corona eingeführten Abstandsregeln werden Schritt für Schritt
zurückgenommen. Schulen und Kitas öffnen wieder, Bars dürfen wieder Bier
anbieten, Sportstudios öffnen wieder ihre Türen. Natürlich nur unter
Berücksichtigung der nötigen Abstands- und Hygieneregeln. Aber ja, an
vielen Orten fühlt sich das Leben wieder einigermaßen „normal“ an. So auch
[1][beim Yoga], einem Sport, bei dem es nicht nur darum geht, seinen Körper
zu trainieren, auch der Geist soll zentriert werden – nach all dem Stress
[2][für viele eine Wohltat.]
In vielen Kursen wird das Atmen daher immer wichtiger. Ein Beispiel ist
Kapālabhāti, eine nasale Stoßatmung, bei der beim Ausatmen der Bauchnabel
stoßweise Richtung Wirbelsäule gezogen wird. Über mehrere Runden
durchgeführt, soll Kapālabhāti den Körper reinigen und auf die Meditation
vorbereiten. Maximales Ziel ist ein Rhythmus von etwa zwei Stößen pro
Sekunde, also etwa 120 Atemzügen pro Minute. Das ist gut achtmal schneller
als üblich. Normalerweise atmet ein Erwachsener im Schnitt 15-mal pro
Minute ein.
Doch wie sinnvoll ist solch eine Übung? Kann Kapālabhāti wirklich helfen,
den Körper zu reinigen – und wenn ja, wovon? Ist die Übung nicht auch
gefährlich? Der Atem ist schließlich etwas sehr Sensibles, er zeigt uns
nicht nur, ob wir angespannt und aufgeregt sind, sondern beeinflusst auch
unsern Herzschlag. Da stellt sich die Frage: Was passiert, wenn Ungeübte
Kapālabhāti machen oder man die Übung falsch ausführt?
Im Yoga gilt der Atem als Bindeglied zwischen Körper und Geist.
Atemübungen, das sogenannte Pranayama, sind deshalb seit Jahrhunderten
fester Bestandteil der Yogapraxis. Mit ihrer Hilfe „wird der Schleier, der
die innere Erleuchtung bedeckt, entfernt“, verspricht das Yogasutra, quasi
die Bibel des Yogas. Kapālabhāti, was übersetzt so viel wie
„Schädelleuchten“ bedeutet, ist daher nur eine Übung unter vielen.
Reguliert und bewusst gemacht wird der Atem beispielsweise auch mit
Bhramari, einem Summen beim Ein- und Ausatmen, oder Nadi Shodhana, einem
wechselseitigen Atmen durch je ein offenes Nasenloch, während das andere
mit einem Finger zugehalten wird. Je nachdem, ob man schnell oder langsam
atmet, beschleunigt oder verlangsamt sich der Herzschlag, steigt oder fällt
der Puls und reichert sich das Blut mit mehr oder weniger Sauerstoff an.
## Bewusstes Atmen
Einige Studien weisen zudem darauf hin, dass bewusstes Atmen, wie es im
Yoga praktiziert wird, Stress reduziert, das Immunsystem aktiviert und
gegen Depressionen hilft. Reinigung bedeutet bei Kapālabhāti, dass die
Praktizierenden mehr Kohlendioxyd abatmen als üblich und die An- und
Entspannung der Bauchdecke die Tätigkeit des Darms aktiviert.
Trotz dieser vermeintlich positiven Effekte sieht Regine Klinger,
psychologische Leiterin am Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin
des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), Kapālabhāti kritisch.
Denn anders als beim entspannten Bhramari-Summen oder der recht ruhigen
Wechselatmung geht es bei Kapālabhāti in der Regel ums schnelle Atmen.
Falsch ausgeführt, könne die Übung (überhaupt sehr schnelles Atmen) einer
Hyperventilation gleichkommen. Das heißt, es würde mehr Sauerstoff
eingeatmet und mehr Kohlenstoffdioxid abgegeben als üblich, wodurch es zu
einer Störung des Säure-Basen-Haushaltes käme. Mögliche Folge:
„Gehirngefäße ziehen sich zusammen, das Gehirn wird nicht mehr richtig
durchblutet, und es kann zu Muskelkrämpfen und in schweren Fällen zur
Bewusstlosigkeit kommen“, erklärt Klinger.
Atemtherapeutin Sabine Materlik ist von Kapālabhāti ebenfalls nicht
überzeugt. „Den Atem künstlich zu manipulieren setzt den Körper unnötig
unter Stress“, sagt sie. Dass die Menschen sich nach der Atemübung
entspannter und bereit für die Meditation fühlten, liege ihrer Ansicht nach
daran, dass sie sich körperlich verausgabt hätten.
In der Literatur ist zudem [3][der Fall einer jungen Frau bekannt, die sich
wegen Kapālabhāti selbst ins Krankenhaus einweisen musste.] Die 29-Jährige
aus den USA hatte die Atemübung am Abend zuvor alleine praktiziert und
wachte am nächsten morgen mit Schmerzen in der linken Brust auf, wodurch
ihr das Atmen schwerfiel. Ausgelöst wurden Schmerzen und Kurzatmigkeit
durch eine Luftansammlung zwischen dem inneren und äußeren Lungenfell,
dort, wo normalerweise keine Luft sitzt. In der Medizin nennt man das einen
Spontanpneumothorax. Die Luft musste dann mit einem Thoraxtubus, einem
dünnen Kunststoffschlauch, der ihr durch die Brustwand gelegt wurde,
entfernt werden. Erst nach sieben Tagen durfte die Frau wieder nach Hause.
Der Fall stammt allerdings aus dem Jahr 2004 und scheint damit eher die
Ausnahme als die Regel zu sein. Sat Bir S. Khalsa, Yogaforscher an der
Harvard Medical School in den USA, geht deshalb davon aus, dass es sich bei
einem Spontanpneumothorax um „kein alltägliches Ereignis“ handelt.
Auch Fälle von Hyperventilation sind in der medizinischen Literatur im
Zusammenhang mit Kapālabhāti schwer zu finden, was ebenfalls dafürspricht,
dass dieser Nebeneffekt eher selten auftritt. Wahrscheinlicher seien
leichte Benommenheit oder Schwindel bei Anfängern, sagt Bir S. Khalsa – und
das gehe meist relativ schnell und von ganz alleine wieder weg.
„Für gesunde Menschen ist Kapālabhāti im Allgemeinen ungefährlich“, ist…
Wissenschaftler überzeugt – zumindest „solange es korrekt und im Rahmen der
üblichen Praxisrichtlinien praktiziert wird“. Dieser Ansicht sind auch die
Autoren und Autorinnen einer Übersichtsarbeit zum Pranayama, [4][die 2019
im Journal of Ayurveda and Integrative Medicine veröffentlicht wurde.]
Ihr Fazit: Atemtechniken wie Kapālabhāti scheinen allgemein sicher, sollten
aber immer nur unter Anleitung ausgebildeter Yogalehrer durchgeführt
werden – auch weil die genauen Wirkmechanismen bislang noch nicht geklärt
sind.
Jutta Bachmeier-Mönnig, Yogalehrerin und Mitglied im Berufsverbands der
Yogalehrenden (BDY), unterrichtet Kapālabhāti daher nur, wenn sie die
Schüler und Schülerinnen kennt und sich über eventuelle Vorerkrankungen
informiert hat. Denn wer hohen Blutdruck oder Herzprobleme habe, für den
sei die Atemtechnik nicht geeignet, da schnelles Atmen die Herzfrequenz und
den Blutdruck zusätzlich erhöhe. Wichtig ist Bachmeier-Mönnig zudem, dass
die Gruppe nicht zu groß ist. So hat sie jeden im Blick und kann
diejenigen, die die Übung falsch machen, individuell verbessern.
## Persönlicher Kontakt wichtig
Im Grunde eine simple Sicherheitsanleitung, sie umzusetzen ist jedoch nicht
immer einfach. Denn Yoga ist über die Jahre immer mehr zum Volkssport
geworden, was wiederum dazu führt, dass die Kurse größer werden und es
mittlerweile Studios gibt, in denen bis zu 60 Leute gleichzeitig
unterrichtet werden – oft sogar mit Mikrofon. Da ist individuelle Betreuung
schwierig.
Durch Angebote wie Urban Sports Club oder ClassPass werden die Yogastudios
zudem oft gewechselt, es geht leicht der persönliche Kontakt verloren.
Kapālabhāti in solchen Settings durchzuführen, findet Bachmeier-Mönnig
„problematisch“, es sei umso wichtiger, dass die Kursteilnehmer angeleitet
würden und selbst auf ihre Grenzen achteten.
Eine Empfehlung, die sich auf die gesamte Yogapraxis übertragen lässt. Denn
wer bei Übungen wie der Krähe, dem Krieger oder dem Schulterstand nicht auf
seinen Körper hört, kann sich schnell verletzen. Umso wichtiger, dass
Menschen, die mit Yoga anfangen, unter guter Anleitung erst die
Grundpositionen lernen und langsam an Atemtechniken wie Kapālabhāti
herangeführt werden.
9 Jul 2020
## LINKS
[1] /40-Jahre-taz-Yoga-und-Meditationstechnik/!5536151
[2] /40-Jahre-taz-Yoga-und-Meditationstechnik/!5536151
[3] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15136413/
[4] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29395894/
## AUTOREN
Stella Hombach
## TAGS
Yoga
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Forschung
Schwerpunkt Coronavirus
Yoga
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