# taz.de -- Forschung zu Meditation: Stellen wir die falschen Fragen? | |
> Nicht jeder Stress ist schlecht. Nicht jede Meditation ist positiv. | |
> Studien über die Auswirkungen von Meditation sollten kritisch hinterfragt | |
> werden. | |
Bild: „Heiliger Scheiß! Was für ein Kreis! Was er hier wohl macht und wie e… | |
Im Alltag soll [1][Meditation vor allem helfen], Stress abzubauen. | |
Vielleicht sogar einen positiveren Blick auf das Leben gewähren, mehr | |
Aufmerksamkeit für die schönen Dinge bieten. Was die Meditation alles kann, | |
untersuchen zahlreiche wissenschaftliche Studien. Doch viele davon sind zu | |
sehr darauf bedacht, die richtigen Antworten zu finden, sagt Jens Sommer | |
vom Universitätsklinikum Marburg. „Man muss schauen, was wirklich in den | |
Daten steckt. Nicht, was man sehen möchte.“ | |
Das geschieht manchmal allerdings schon ganz unbewusst. Miguel Farias von | |
der Coventry University in Großbritannien warf 2018 mit zwei Kolleg*innen | |
kritische Blicke auf Studien, die Meditation im Zusammenhang mit sozialem | |
Verhalten untersuchten. Dabei zeigte sich: Manche positiven Effekte traten | |
nur dann auf, wenn der Meditationslehrer gleichzeitig ein Autor der | |
Untersuchung war. Offenbar beeinflussten die Erwartungen der | |
Wissenschaftler in diesem Fall unbewusst das Ergebnis. | |
Auch die Art der Fragestellung spielt eine Rolle. Allem voran, wer | |
überhaupt an dem Versuch teilnimmt. Möchte man Meditation im Alltag | |
untersuchen, wären berufstätige Menschen die idealen Probanden – doch | |
gerade diese Zielgruppe hat wenig Zeit für aufwendige Studien. Dennoch ist | |
es wichtig, die richtigen Leute auszuwählen. Denn es macht tatsächlich | |
einen Unterschied, welches Geschlecht man hat, ob man gesund oder krank | |
ist, und auch die Verfassung spielt eine Rolle. | |
„Mindfulness-Meditation funktioniert bei Menschen besser, die bereits | |
gestresst sind“, erklärt Miguel Farias. „Wenn man nur leichten Stress | |
verspürt, helfen die Übungen nicht nennenswert.“ | |
## Wer wird Proband | |
Besonders problematisch ist es, wenn die Autoren von Studien gar nicht | |
erwähnen, wen sie untersucht haben, sagt Jens Sommer. Denn dann kann | |
niemand wirklich beurteilen, was genau die Ergebnisse überhaupt aussagen. | |
Haben sie die richtigen Probanden gefunden, können Wissenschaftler trotzdem | |
noch die falschen Fragen stellen. | |
Dass Meditation sich positiv auswirkt, liegt unter Umständen daran, dass | |
die Forscher aktiv Meditierende mit Nichtstuern vergleichen. Das ist häufig | |
eine sogenannte Wartegruppe: Die Teilnehmer dürfen nach Ende der Studie | |
ebenfalls ein Meditationstraining machen, aber während des Experiments | |
läuft ihr Alltag unverändert weiter. Und dass irgendeine Form von Bewegung | |
oder sozialem Kontakt besser ist als der Status quo, liegt nahe. | |
Sinnvoller wäre es deshalb, Meditierende mit Teilnehmern zu vergleichen, | |
die Sport machen oder psychotherapeutische Gespräche führen. Dann könnte | |
man feststellen, ob Meditation besser hilft als diese Alternativen oder | |
zumindest gleichwertige Effekte hat. | |
Doch selbst, wenn die Untersuchungen recht behalten und Meditation | |
tatsächlich gegen Stress hilft, behandeln Praktizierende damit höchstens | |
die Symptome. Die Ursachen für den Stress bleiben. | |
Ronald Purser, ein Professor für Management an der University of San | |
Francisco, argumentiert in seinem Buch „McMindfulness“ (in Bezug auf die | |
Mindfulness- oder Achtsamkeitsmeditation) gegen Meditation als Lösung aller | |
Probleme. Es verschiebe nur die Verantwortung auf die Betroffenen, anstatt | |
an den Gründen für den Stress anzusetzen. | |
Dazu kommt, dass Stress in der Gesellschaft schnell verteufelt wird. Wer | |
sich gestresst fühlt, kann aus einer Fülle von Ratschlägen und Angeboten | |
wählen, um sich zu entspannen. Dabei wird vergessen: Nicht jeder Stress ist | |
schlecht. Verspürt man etwa vor einer Prüfung oder einem Jobinterview die | |
Schmetterlinge im Bauch, kann das sogar helfen. | |
„Wenn wir Stress nicht als Gefahr wahrnehmen, sondern als etwas, das uns | |
vorantreibt, reagiert unser Körper besser auf die Herausforderungen“, | |
erklärt Jeremy Jamieson, Professor für Psychologie an der University of | |
Rochester. Dabei komme es darauf an, wie man die eigenen Ressourcen | |
einschätzt: Ist man der Aufgabe gewachsen? | |
Allerdings geht es hierbei um akute Situationen. Kommt der Stress von einer | |
Tatsache, die man nicht ändern kann – etwa die Angst vor Gewalt –, hilft | |
eine positivere Interpretation wenig. Ob Meditation dann eine sinnvolle | |
Antwort wäre? Gut geplante Studien beantworten diese Frage vielleicht | |
irgendwann. | |
Man könnte es ausprobieren. Einen Meditationskurs aufsuchen und einfach | |
machen. Dabei sollte man allerdings eins bedenken: Meditation kann sich | |
auch negativ auswirken. Das ist eine relativ neue Überlegung in der | |
Forschung, denn bisher haben sich die Studien meistens um die hilfreichen | |
Eigenschaften der Übungen gedreht. Doch immer mehr Versuche zeigen, dass | |
Meditation zu verstärkter Angst, Unruhe, verzerrten Emotionen oder | |
negativen Gedanken führen kann. Wie häufig das vorkommt, ist noch nicht | |
geklärt. | |
Eine Untersuchung von über eintausend Freizeitmeditierenden legt allerdings | |
nahe, dass etwa ein Viertel der Untersuchten unschöne Erfahrungen macht – | |
eine recht hohe Zahl bei einer Methode, die eigentlich positiv wirken soll. | |
Dabei ist es genauso falsch, die Meditation als ineffektiv oder gar | |
schädlich zu verteufeln. Es gibt durchaus Menschen, die davon profitieren | |
können. Gut belegt ist das bei der Meditation als Zusatztherapie bei | |
Depressionen, sagt Miguel Farias. Aber auch in der Behandlung von | |
Essstörungen wird Meditation eingesetzt. Hier geht es darum, die | |
Aufmerksamkeit der Patienten weg von den vermeintlichen Mängeln auf den | |
Körper als Ganzes zurückzulenken. | |
Welche Art von Meditation am nützlichsten ist, muss ebenfalls noch | |
untersucht werden. Meistens kommen derzeit die Achtsamkeitsmeditation und | |
die sogenannte Loving-Kindness-Meditation (Liebende Güte oder Metta | |
genannt) zur Anwendung. Doch es gibt viele andere. Jede Meditationsrichtung | |
hat ihre Besonderheiten und bietet unterschiedliche Ansatzpunkte für einen | |
Nutzen. | |
Man kann also durchaus sagen, dass Wissenschaftler und die Gesellschaft | |
noch immer häufig die falschen Fragen stellen, wenn es um Meditation geht. | |
Und selbst in derzeit laufenden Untersuchungen werden zu viele wichtige | |
Details vernachlässigt. Sei es aus Zeit- und Budgetgründen oder weil die | |
Wissenschaftler die Fallstricke gar nicht alle kennen. Ein Weg, zumindest | |
die Versuche zu verbessern, wäre eine sogenannte kontradiktorische | |
Kollaboration, sagt Miguel Farias. | |
Dabei arbeiten Meditation befürwortende Wissenschaftler mit solchen | |
zusammen, die den Übungen mit Skepsis begegnen. „Auf diese Weise ist es | |
viel wahrscheinlicher, dass man nicht auf die eigenen Erwartungen | |
hereinfällt“, so Farias. Derartige Teamarbeit sei jedoch noch sehr selten. | |
Trotz aller Unklarheiten spricht nichts dagegen, dass gesunde Menschen | |
Meditation ausprobieren, solange sie dabei aufmerksam sind und auch | |
negative Auswirkungen erkennen. Dass Meditation eine schöne und erfüllende | |
Erfahrung sein kann, steht außer Frage. Nur sollte man nicht mit der | |
Erwartung mit einem Meditationstraining beginnen, dass dadurch alle | |
Probleme beseitigt werden. | |
20 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Stefanie Uhrig | |
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