# taz.de -- Bedingungsloses Grundeinkommen: Im Grunde gut | |
> Jetzt in der Coronakrise hat die Debatte um das bedingungslose | |
> Grundeinkommen wieder eine neue Dringlichkeit. | |
Bild: Eine(r) wird's gewinnen: Michael Bohmeyer bei Verlosung eines Grundeinkom… | |
Demnächst im Juli wird Nummer 628 verlost. Als Michael Bohmeyer im Jahr | |
2014 bei seiner Internetfirma kündigte und den Verein [1][„Mein | |
Grundeinkommen“] gründete, da hätte er sicher nicht seine Hand dafür ins | |
Feuer gelegt, dass er in ein paar Jahren genug Spenden für 627 Gewinner | |
beisammen haben würde. 627 Menschen, die sich mit ein paar Klicks und Infos | |
auf der Webseite des Vereins angemeldet haben, ausgelost wurden und ein | |
Jahr lang 1.000 Euro im Monat überwiesen bekommen, ohne Fragen, ohne | |
Bedingungen. Und in Kürze eben die Nummer 628. | |
Was Bohmeyer wohl auch nicht vermutet hätte: Dass sechs Jahre später eine | |
Pandemie die Welt zur Vollbremsung zwingen würde. Die Maschinen stehen | |
still zum Wohle aller: Das hat viele Debatten frisch befeuert – auch die | |
übers Grundeinkommen. | |
„Die Coronakrise hat wieder einmal gezeigt, dass wir in Deutschland nicht | |
sehr krisenfest sind“, sagt Bohmeyer zur taz. „Das Grundeinkommen wäre | |
sinnvoller denn je, besonders, wenn man bedenkt, dass sich in den nächsten | |
Jahren durch die Digitalisierung unsere Arbeitswelt auch ohne Corona | |
tiefgreifend verändern wird.“ | |
Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet eine Berliner Kreative, die sich | |
bislang eher wenig für die Debatte ums Grundeinkommen interessierte, eine | |
Petition fürs Grundeinkommen jetzt während der Coronakrise gestartet hat. | |
Inzwischen wurde die Petition der Inhaberin einer Korsettmanufaktur Tonia | |
Merz von fast einer halben Million Menschen unterschrieben. Berlin, das ist | |
bekanntes Narrativ, ist die Stadt der Kreativen. Mindestens seit den | |
achtziger Jahren kamen Menschen hier an, die es zu nutzen wussten, dass sie | |
weniger Druck bekamen als an vielen anderen Orten der Welt. Besonders nach | |
der Wende konnte man hier billiger leben und wohnen als sonst wo. | |
## Eine Art Lebensunterhalt | |
Auch wenn Berlin noch immer zu den günstigsten Metropolen Europas gehört, | |
hört man aber inzwischen immer öfter von Kreativen, die den Kampf mit dem | |
Finanzamt oder um bezahlbare Arbeitsräume einfach nicht mehr aushalten. Und | |
jetzt auch noch die Coronakrise. | |
In seinem im Jahr 1516 erstmals erschienenen Roman „Utopia“ ging Thomas | |
Morus davon aus, man könne Diebstahl verhindern, indem man allen Menschen | |
im Land eine Art Lebensunterhalt zahlt. Wenig später postulierte der | |
Staatstheoretiker und Philosoph Thomas Hobbes den starken, sanktionierenden | |
Staat. | |
An diesen beiden Argumentationslinien, die einfach von völlig | |
entgegengesetzten Menschenbildern ausgehen, hat sich bis heute wenig | |
geändert. Die einen denken, der Mensch sei egoistisch und werde von dunklen | |
Impulsen geleitet, und das einzige, was uns davor bewahre, sei die zarte | |
Schicht der Zivilisation. Die anderen meinen, dass eigentlich seit | |
Jahrtausenden mitnichten das Prinzip „Survival of the Fittest“ gilt, | |
sondern vielmehr das Prinzip „Survival of the Friendliest“. | |
## Kein Problem mit dem Geld | |
Und woher soll man das Geld fürs Grundeinkommen nehmen? Nur ein Jahr 1.000 | |
Euro im Monat für jeden kostet fast eine Billion Euro. Der Bundeshaushalt | |
2019 entsprach einem Drittel dieser Summe. Trotzdem kein Problem, sagen die | |
Befürworter des Grundeinkommens. Man spare viel Bürokratie. Ansonsten gibt | |
es plausible Vorschläge zur Reform des Steuersystems. | |
Im Grunde braucht die Politik keine groß angelegten Feldversuche mehr um | |
festzustellen, dass die wenigsten aufhören würden zu arbeiten oder keine | |
Drecksarbeit mehr machen würden, wenn sie bedingungsloses Grundeinkommen | |
bekämen. Es gibt genug Versuche, die es zeigen: Der Mensch arbeitet weiter, | |
auch wenn er es nicht gegen Bezahlung tut. Er arbeitet sogar besser. | |
Der niederländische Historiker Rutger Bregman verweist in seinem Bestseller | |
„Im Grunde gut“ auf eine Studie, bei der Wissenschaftler beweisen konnten, | |
dass der IQ einer Handvoll Zuckerbauern in Indien um ganze 15,5 Punkte | |
variiert. Vor der Ernte können sie nicht klar denken vor Angst, nach der | |
Ernte haben sie ihre sieben Sinne wieder beisammen. | |
Finnland hat 2017 und 2018 bei einem Test herausgefunden, dass 2.000 | |
Menschen mit Grundeinkommen [2][glücklicher und gesünder wurden]. Spanien | |
hat [3][eine Art Grundeinkommen] beschlossen, diese Woche wurde schon mal | |
Geld an 75.000 Haushalte überwiesen. Und wehte nicht dieses Jahr im April | |
schon auch hier ein Hauch von bedingungslosem Grundeinkommen durchs Land? | |
In Windeseile überwies der Senat Tausenden Kreativen 5.000 Euro, ohne | |
zunächst groß nachzufragen und zu prüfen. | |
Das Ergebnis war, dass viele, die es dann doch nicht brauchten, das Geld | |
zurücküberwiesen. Und einige von ihnen, die es tatsächlich brauchten, | |
begannen darüber nachzudenken, wie sie sich gesamtgesellschaftlich | |
engagieren könnten, wie sie die Solidarität zurückgeben könnten. | |
Vielleicht ist die Zeit fürs Grundeinkommen nach mindestens 500 Jahren | |
Diskussion reif genug. | |
Weiter im Grundeinkommen-Schwerpunkt geht es mit: [4][Eine Gewinnerin des | |
Grundeinkommens] und ein [5][Interview mit Tonia Merz], die die Petition | |
gestartet hat | |
5 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mein-grundeinkommen.de/ | |
[2] /Grundeinkommen-in-Finnland/!5683477 | |
[3] /Einkommen-in-Spanien/!5688379 | |
[4] /Bezieherin-eines-Grundeinkommens/!5692684 | |
[5] /Eine-Petition-zum-Grundeinkommen/!5696971 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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