# taz.de -- Nichts dreht sich für Berliner DJs: „Nun arbeite ich als Tennist… | |
> Auch DJ Emerson macht coronabedingt als DJ eine Zwangspause. Auf Dauer | |
> aber, meint er, werden sich die Berliner das Feiern nicht verbieten | |
> lassen. | |
Bild: Der DJ und die Crowd: DJ Emerson bei der Arbeit, als das noch ging | |
taz: DJ Emerson, man hört derzeit sehr viel über die existenzbedrohende | |
Lage der Clubs, die geschlossen haben – aber nur wenig von den dadurch | |
arbeitslos gewordenen DJs. Woran liegt das? | |
DJ Emerson: Ich kann schon verstehen, dass man viel von den Clubbesitzern | |
mitbekommt, da sie immerhin mit sehr viel Geld jonglieren und an jedem Tag, | |
an dem ihr Club nicht öffnen kann, massive Verluste machen. Es wird ja | |
spekuliert, dass zwei Drittel aller Clubs in Deutschland pleitegehen | |
könnten. Aber warum sich von den DJs keiner äußert, weiß ich auch nicht. | |
Ich habe selbst auch noch gar nichts über die Probleme irgendeines DJs | |
gelesen. | |
Könnte es daran liegen, dass in den letzten Jahren so viel die Rede von den | |
horrenden DJ-Gagen die Rede war und sich die Öffentlichkeit jetzt denkt, | |
das bisschen Lockdown halten die Großverdiener locker durch? | |
Klar, es gab ja in den letzten Jahren geradezu eine Bewegung, die unter dem | |
Namen „Business-Techno“ bekannt wurde. Dort werden ganz andere Werte | |
hochgehalten als die, wegen derer ich einst mit dem Auflegen angefangen | |
habe. Businessclass fliegen, Suite im Hotel, so etwas zählt da. Vielen DJs | |
wurden zuletzt übertriebene Gagen gezahlt, es gab Exzesse, das hatte | |
eigentlich nichts mehr mit Techno zu tun. Einige DJs aus dem eher mittleren | |
Gagenbereich arbeiten hingegen mittlerweile etwa in der Gastronomie, um | |
überleben zu können. | |
Und Sie, wie schlagen Sie sich durch? | |
Ich war kurz davor, mich arbeitslos zu melden. Inzwischen arbeite ich als | |
Tennistrainer. Ich muss jetzt 40 Trainerstunden geben, um so viel zu | |
verdienen, wie ich früher im Club für zwei Stunden bekommen habe. Aber es | |
geht immerhin noch irgendwie weiter für mich. Doch die Arbeit als | |
Tennistrainer ist anstrengend, das ist ein Knochenjob. Ich habe weder die | |
Zeit noch die Kraft, um auch noch ins Studio zu gehen, um wenigstens neue | |
Musik zu produzieren. Das deprimiert mich schon. | |
Es geht weiter für Sie als Tennistrainer. Und als DJ? | |
Es gibt leider überhaupt keine Anhaltspunkte, wann und wie es wieder | |
losgehen könnte. Im Moment ist ja nur die Rede davon, dass Clubs und Partys | |
das sind, auf das man noch am ehesten verzichten kann. | |
Die Clubs werden nach Corona als Letzte wieder öffnen dürfen, heißt es | |
immer wieder. | |
Vom Stellenwert wird das der Sache nicht gerecht. Leider wird ja nicht | |
einmal überlegt, wie man wieder etwas zum Laufen bringen könnte. Es wird | |
einfach kommentarlos von der Agenda gestrichen. Dass Berlin als Stadt und | |
Kulturort insbesondere von der elektronischen Musik lebt, wird beinahe | |
ignoriert. Stattdessen wird einfach gesagt: Verzichtbar. Dabei kommt ein | |
Viertel der Berlintouristen hierher wegen des Clubbings. | |
Was wird passieren, wenn die Situation bis auf Weiteres so bleibt, wie sie | |
ist? | |
Dann wird es wahrscheinlich wieder massiv illegale Partys geben in Berlin. | |
Es könnte wieder ein wenig so werden wie in den Neunzigern. Nach der Wende | |
gab es viele leer stehende Locations, viele Geschäfte, die pleitegegangen | |
sind. Das ist ja durchaus eine Situation, die mit der aktuellen | |
vergleichbar ist. Es wird Selfmade-Locations geben, wo jemand sein | |
Soundsystem reinstellt, es werden ein paar SMS herumgeschickt, und dann | |
geht es los. Im Sommer wird sicherlich auch das eine oder andere illegale | |
Open-Air-Festival stattfinden, irgendwo im Wald, am Stadtrand. Die Berliner | |
werden sich auf Dauer nicht das Feiern verbieten lassen. | |
Würden Sie auf solchen Veranstaltungen auflegen? | |
Klar würde ich da auflegen. Weil ich wieder das machen möchte, was mir am | |
meisten bedeutet. Weil ich meine Musik präsentieren möchte. Ich kaufe mir | |
immer noch ständig neue Musik, auch wenn ich sie gerade nicht spielen kann. | |
Ich liebe Techno und würde ihn auch gerne wieder leben. | |
Der Partybetrieb wird wahrscheinlich erst wieder richtig hochfahren können, | |
wenn es einen Impfstoff gibt. Wie wird das Business nach Corona aussehen? | |
Das kommt darauf an, wie lange es dauert, bis der Impfstoff gefunden wird. | |
Die Clublandschaft wird nach Corona wahrscheinlich anders geformt sein. | |
Neue Kollektive werden sich etablieren mit guten Ideen und schönen | |
Locations. Derartige Neuanfänge finde ich auch interessant, nur sind das | |
nicht die Umstände, unter denen ich mir einen solchen gewünscht hätte. Ich | |
begrüße schon, dass es dann wahrscheinlich wieder back to basics gehen | |
wird. Die Frage ist nur, wie viel vom Kern der Szene, der Kultur überhaupt | |
noch existieren wird. Auch der ganze DJ-Tourismus könnte sich massiv | |
ändern. Für DJs wie mich waren besonders Länder wie Italien, Frankreich | |
oder Spanien interessant: alles Länder, die massiv von Corona betroffen | |
sind. Dass ich in den nächsten zwei Jahren ein Booking in Italien haben | |
werde, das kann ich mir kaum vorstellen. In Italien gibt es kaum | |
Subventionen für Labels oder Clubs, da wird die ganze Szene für | |
elektronische Musik weggebügelt sein. Das wird Jahre dauern, bis sich dort | |
wieder etwas entwickelt. | |
Wie wird die Situation in Berlin sein? | |
Es gibt vielleicht keine andere Stadt auf der Welt, in der es so viele | |
Clubs gibt wie in Berlin. Wenn die hier weitgehend wegfallen, wird Berlin | |
fundamental anders sein. Auch der ganze Tourismus wird ganz anders | |
aussehen, wenn es keine Clubs mehr gibt. Manche Fluglinien werden | |
wahrscheinlich gestrichen. Berlin–Manchester via Easyjet beispielsweise, | |
da saßen an den Wochenenden 200 Leute in den Flugzeugen, die hier feiern | |
waren. Diese Flugstrecke braucht dann wahrscheinlich niemand mehr. | |
Sie befürchten einen Bedeutungsverlust Berlins. Spiegeln Sie sich in einem | |
solchen auch persönlich? | |
Klar, ich wurde bereits von Leuten gefragt, ob ich überhaupt noch etwas zu | |
essen habe. Es war nicht einfach, über 25 Jahre so eine Karriere | |
aufzubauen. Das alles steht gerade auf dem Spiel für mich. Lange Zeit habe | |
ich gedacht, DJs wie ich, die schon lange dabei sind, einen ganz guten | |
Namen haben und eine „normale“ Gage bekommen, stehen ganz gut da, denn der | |
Gagenbereich, unter den ich falle, den können sich die Clubs auch nach | |
Corona noch leisten. Aber was gerade passiert, ist eben, dass die Clubs | |
massiv von den Bookern der ganzen Superstar-DJs angeschrieben werden. Die | |
sagen dann: Hey, lass uns schon mal ein Date planen, wir machen euch ein | |
super Angebot, zwischen 500 und 2.000 Euro Gage. Die Situation bei den | |
Bookings wird dann vielleicht so ähnlich sein, als würden sich Roger | |
Federer und ich um dieselben Jobs als Tennistrainer bewerben. | |
Haben Sie sich bereits gedacht, Sie haben sich den falschen Job ausgesucht? | |
Mir war tatsächlich nicht klar, dass ich einen Job habe, der | |
pandemiegefährdet ist. Ich hatte schon gedacht, dass der Job recht | |
krisenfest ist. Partys gehen immer, hatte ich geglaubt, auch wenn es den | |
Leuten gerade nicht so gut geht. Mit so einem Virus habe ich nicht | |
gerechnet. | |
21 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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