| # taz.de -- Kabarettist über die Kanzlerfrage: „Söder hat Lunte gerochen“ | |
| > Markus Söder sieht seine Stunde gekommen – und greift nach der | |
| > Kanzlerschaft. Davon zumindest ist Kabarettist Helmut Schleich überzeugt. | |
| Bild: Hier noch ganz im Bayern-Look: Ministerpräsident Söder | |
| taz: Herr Schleich, erst vor ein paar Wochen [1][haben Sie uns in der taz | |
| gesagt]... | |
| Helmut Schleich: ...dass ich nicht glaube, dass Markus Söder Kanzler werden | |
| will. Ich weiß. Diese Aussage möchte ich ausdrücklich revidieren. | |
| Wie kommt’s? | |
| Spätestens, als die Kanzlerin sich aus dem Corona-Management zurückgezogen | |
| und den Ministerpräsidenten mehr oder weniger unverblümt zu verstehen | |
| gegeben hat, sie sollten ihren Dreck alleine machen, hatte ich den | |
| Eindruck: Jetzt hat jemand in München Lunte gerochen. Seitdem kann man gut | |
| beobachten, wie sich Söder plötzlich deutlich stärker in der Bundespolitik | |
| in Szene setzt. Der Gipfel war ja dann, als er angekündigt hat, er wolle | |
| heuer vielleicht seinen Urlaub an der Nordsee verbringen. Söder? Nordsee? | |
| Ich bitte Sie! | |
| Der hohe Norden, das ist für einen bayerischen Ministerpräsidenten durchaus | |
| heikles Terrain. | |
| Natürlich. Im Wattenmeer kann ja schon die erste Welle gefährlich sein, von | |
| der zweiten wollen wir mal gar nicht reden. Das Kalkül eines bayerischen | |
| Ministerpräsidenten, der noch nie irgendeine Affinität zum Norden gezeigt | |
| hat, ist natürlich klar: Er will auch im Norden beliebt werden. Hier in | |
| Bayern hat Söder ja den Strauß schon relativ perfekt ins 21. Jahrhundert | |
| übersetzt, auch was die Vernetzung in alle Gesellschaftsbereiche hinein | |
| angeht. Aber im übrigen Deutschland fehlt ihm das ein bisschen. Jetzt will | |
| er sich da oben einfach mal zeigen. | |
| Es hieß ja immer, Söder würde mit Berlin fremdeln, fühle sich nur auf | |
| landespolitischem Parkett wirklich sicher. | |
| Ich hatte auch immer das Gefühl, dass ihm dieses Gebilde Berlin nicht | |
| geheuer ist. Und ich glaube, er fremdelt immer noch damit. Er hat ja immer | |
| gesagt, Deutschland wolle nicht vom Hofbräuhaus regiert werden. Aber jetzt | |
| sieht er für sich die Möglichkeit, trotz dieses Bayern-Malus auch in Berlin | |
| Fuß zu fassen. Schließlich gibt es zur Zeit keinen ernstzunehmenden | |
| Konkurrenten. Strauß hatte Kohl als Widersacher, Stoiber Merkel. Söder | |
| dagegen steht allein auf weiter Flur. | |
| Bis jetzt beteuert er aber stets und ohne jedes Hintertürchen: Mein Platz | |
| ist in Bayern. Kann er jetzt so einfach sagen: Was kümmert mich mein | |
| Geschwätz von gestern? | |
| Nein, das kann er nicht. So ungeschickt ist er aber auch nicht. Nach außen | |
| hin muss es schon so sein, dass er da jetzt durch die Umstände mehr oder | |
| weniger dazu genötigt wird. | |
| Das heißt, er braucht einen Königsmacher aus der CDU, der glaubhaft machen | |
| kann, dass Deutschland jetzt unbedingt Markus Söder braucht? | |
| Darauf wird es hinauslaufen. Erstmal muss er jetzt schauen, wie sich die | |
| Führungsfrage bei der CDU entwickelt und ob ihm dann in puncto Popularität | |
| jemand das Wasser reichen kann. Momentan sieht es nicht danach aus. | |
| Könnten Laschet und Co. ihm denn noch einen Strich durch die Rechnung | |
| machen? | |
| Momentan wüsste ich nicht, wie. Die CSU wird es wahrscheinlich schaffen, | |
| die Corona-Lockerungen so zu inszenieren, dass er auch in dieser Sache | |
| alles richtig gemacht haben wird. Was ja nicht der Wirklichkeit entspricht: | |
| Die sehr holprige und planlose Rückkehr zum Schulunterricht ist desaströs | |
| und wird bleibende Schäden sozialer und psychischer Art hinterlassen, | |
| Gastronomie und Kultur liegen darnieder. Aber auf Söder wird das nicht | |
| zurückfallen. Einen Strich durch die Rechnung machen [2][kann er sich | |
| eigentlich nur noch selber]. | |
| Aber im Vergleich zu dem früheren Polterer Söder hat sich der heutige | |
| Staatsmann und Landesvater doch recht gut im Griff. | |
| Ja, das ist unglaublich. Auch die ganze Rhetorik hat sich verändert. Früher | |
| war er einer, der sich verstolpert und verhaspelt, der Satzteile | |
| verschluckt hat – das gibt es alles nicht mehr. Heute kommt alles ganz | |
| locker aus der Hüfte raus geschossen. Überhaupt nicht verkrampft, überhaupt | |
| nicht verklausuliert, sondern offen und direkt. Der Mann muss ein | |
| Wahnsinnstraining absolviert haben. Und um ihn rum muss es einen enorm | |
| professionellen Stab geben, der ihn gerade jetzt in der Corona-Zeit perfekt | |
| in Szene setzt. Wie er da auftritt, wie er sich bei den Pressekonferenzen | |
| filmen lässt, selbst wie er diese weißblaue Rauten-Maske einsetzt, um | |
| Bilder zu erzeugen, da ist nichts zufällig. Und das schlägt offensichtlich | |
| voll durch. | |
| Da gäbe es noch ein Detail: Söder ist in der CSU, einer Regionalpartei. | |
| Voraussichtlich wäre sie in der neuen Regierung der kleinste | |
| Koalitionspartner. | |
| Und das ist ein absolut problematisches Detail. Genau das war ja immer der | |
| Grund, warum Leute wie zum Beispiel der frühere CSU-Chef Theo Waigel gesagt | |
| haben, ein Kanzler von der CSU sei nicht vorstellbar. Aber nachdem sich das | |
| Parteiengefüge ja stark verändert, spielt das vielleicht nicht mehr diese | |
| Rolle wie früher. Dann ist er halt von der CSU. Gewählt wird er nicht als | |
| CSU-Chef, sondern als Markus Söder. | |
| Brauchen wir denn in einer Post-Merkel-Ära die CDU überhaupt noch? Oder | |
| wäre es nicht konsequent, wenn sie der Übersichtlichkeit halber einfach | |
| geschlossen der CSU beitritt? | |
| Tatsächlich sagen ja viele CDUler: Wie sollen wir denn ohne Merkel | |
| überhaupt in einen Wahlkampf ziehen? Wen können wir denn da überhaupt noch | |
| hinstellen? Deshalb glaube ich ja, dass bei der Union realistisch | |
| betrachtet nur Söder für die Kanzlerschaft in Frage kommt. Für die CDU, die | |
| ja deutlich größer ist als die CSU, ist das natürlich ein Armutszeugnis. | |
| Aber daran trägt Merkel die Schuld, die die CDU zur Ein-Frau-Partei gemacht | |
| hat. | |
| Nach der derzeitigen Gemengenlage könnte es auf Schwarz-Grün hinauslaufen – | |
| kann Söder das? | |
| Schwarz-Grün kann er mit Sicherheit – auch wenn er bestimmt hofft, dass es | |
| für Schwarz-Gelb reicht. Aber da passt er sich an. Solange er der Chef ist, | |
| ist das für ihn kein Problem. Als Gefahr dürfte er längere Zeit eher | |
| Grün-Schwarz gesehen haben. Wenn er Kanzlerkandidat gewesen wäre und am | |
| Ende hätte Habeck das Rennen gemacht, das wäre sein persönliches | |
| Worst-Case-Szenario gewesen. Aber diese Gefahr ist ja jetzt wohl vom Tisch. | |
| Und auch das dürfte eine Rolle dafür gespielt haben, dass er sich, wie ich | |
| glaube, umentschieden hat. | |
| Kann er denn – wenn es schief gehen sollte – einfach problemlos als | |
| Ministerpräsident weitermachen? | |
| Die Gefahr, dass es ihn beschädigt, besteht natürlich. Wenn sich der Wind | |
| dreht und er sich nicht schnell genug mitdreht. Andererseits hat der Strauß | |
| auch nach einer verlorenen Kanzlerkandidatur in Bayern noch acht Jahre lang | |
| unangefochten als Ministerpräsident weitergemacht. Und die Gefahr, dass | |
| sich ein Söder nicht schnell genug mit dem Wind mitdreht, ist | |
| vergleichsweise überschaubar. | |
| Ist der Kanzlerjob überhaupt so attraktiv für einen, der als bayerischer | |
| Ministerpräsident und CSU-Chef fest im Sattel sitzt? | |
| Für einen, der so ehrgeizig und machtbewusst ist wie der Söder, schon. Da | |
| ist die Staatskanzlei irgendwann nur noch mäßig spannend. Auch wenn die | |
| Haltung „Ist mir doch egal, wer unter mir Bundeskanzler ist“ in Bayern ja | |
| durchaus Tradition hat. | |
| Und es ist ja nicht so, dass er aktuell nichts mitzureden hätte im Bund. | |
| Nein, ganz im Gegenteil. Aber das könnte man ja institutionalisieren. | |
| Und was wird dann aus Bayern? Söder hat die bayerische Politik ja zu einer | |
| One-Man-Show gemacht. Da ist der Unterschied zur CDU nicht so groß: Sobald | |
| der Hauptdarsteller ausfällt, wird’s schwierig... | |
| Das stimmt schon, momentan drängt sich da niemand als Nachfolger auf. Aber | |
| die CSU würde dann schon jemanden finden. Und dieser Jemand hätte ja bis | |
| zur Landtagswahl 2023 zwei Jahre Zeit, sich eine eigene Reputation zu | |
| verschaffen. | |
| Jetzt mal Hand aufs Herz: Glauben Sie wirklich, dass Markus Söder | |
| Deutschlands nächster Kanzler wird? | |
| Grundsätzlich ist bei Söder natürlich immer alles möglich. Da sind | |
| plötzliche Hakenschläge nicht ausgeschlossen. So viel Seehofer steckt ja | |
| auch in Söder. Aber in der jetzigen Situation bin ich mir so gut wie | |
| sicher, dass er der Kandidat der Union wird. Und, ja, damit wird er dann | |
| wohl zwangsläufig auch Kanzler werden. | |
| Wollen wir wetten? Um einen Kasten Bier? | |
| Das kann ich riskieren. Aber bitte nur edlen Münchner Stoff! | |
| 10 Jun 2020 | |
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| Dominik Baur | |
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