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# taz.de -- Thüringen und die Folgen: Der Teufel an der Türe
> Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ist zum moralischen
> Imperativ der Konservativen geworden. Und das kommt so:
Bild: Das bin ich: Markus Söder aus dem 3D-Drucker
Gott sei Dank gibt es Markus Söder. Dieser Gedanke war mein persönlicher
Dammbruch nach Thüringen. An einem ganz normalen Tag im Jahr 2020 musst du
Videos mit Markus Söder retweeten. Söder als einer der vernünftigsten
Konservativen in diesem Land. Das sagt viel über Deutschland aus.
Rechts von der CDU/CSU sei kein Platz, sagt Markus Söder. Das ist die
Lektion, die er aus dem letzten Wahlkampf gezogen hat. Markus Söder war der
Prototyp des Politikers, an dem sich jemand mit linken Einstellungen reiben
kann: Ein Ego wie ein Felsmassiv, weil Zweifel nicht zum Selbstbild eines
Konservativen gehören, schließlich hat ein Konservativer die Welt
überschaubar sortiert. Machtlust gepaart mit Machtfürsorge. Das ist ja der
älteste Trick der Konservativen: daherkommen wie Väter, um jene
anzusprechen, die Verantwortung gerne an zuverlässige, saumagenessende
Übermächte abgeben.
Nach Thüringen ist Söder plötzlich der wandelnde moralische Imperativ der
Konservativen. [1][Einer, der das Konservative in die Zukunft retten
möchte] – und es vielleicht vermag. Vor einigen Jahren habe ich in einer
Konfrontation mit Söder verstanden, was der Unterschied zwischen einem
Söder und einem Gauland ist. Einem Demokraten und einem Antidemokraten
also.
Das war bei Anne Will. Wir talkten zum Thema Merkel und Willkommenskultur.
Söder hielt Monologe, für Konservative ist Mansplaining eher
Zulassungsvoraussetzung als Makel. Plötzlich redete er über das Thema
doppelte Staatsbürgerschaft und weshalb diese nicht möglich sei – obwohl es
rechtlich längst geht. Ich entgegnete damals: „Nein, Herr Söder, was nicht
geht, ist zig jungen Deutschen ihre Identität rückabwickeln.“ Da hielt
Söder kurz still und widersprach nicht. Er merkte, warum auch immer: Es
geht hier um die Zukunft Deutschlands, um friedliches Zusammenleben, um
Menschen, die Teil dieses Landes sind und für die er als Politiker
mitverantwortlich ist.
## Jugend entheimaten
Danach dachte ich: Wie wäre das Gespräch gelaufen, wenn da an Söders Stelle
Gauland gesessen wäre? Gauland wäre es schlichtweg egal, wie vielen jungen
Deutschen mit eingewanderten Eltern er den Boden unter den Füßen wegreißt.
Er würde meine Sätze als Sprungbrett missbrauchen, weiter zu spalten und
diese Jugend zu entheimaten.
In diesem Moment wurde mir erstmals in einer Debatte erlebbar, warum wir
von demokratischen Parteien sprechen und von solchen, die es nicht sind.
Demokratische Parteien halten sich an demokratischen Konsens. Artikel 1 des
Grundgesetzes, zum Beispiel: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Diese
Würde reservieren undemokratische Politiker – in noch vorsichtigen Dosen –
nur für einige Menschen. Alle wissen, welche das sind. Und welche nicht.
Die Trennlinien sind völkisch, mehr nicht. Diese Trennlinie zu inszenieren
ist eines ihrer Ziele – in jedem Gespräch.
Die deutsche Mitte hat jahrzehntelang extrem rechte Positionen mitgetragen.
Sie war es gewohnt, Alt-Nazis in Führungspositionen zu hieven nach dem
Krieg, weil man ja Eliten brauchte. Die deutsche Mitte ließ Ende der
Neunziger Roland Koch Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft
sammeln. Ich war 21 Jahre alt damals und verstand: Der sammelt gegen
Menschen wie mich. Ich schrieb wegen diesem Roland Koch meinen ersten
Artikel. Sie waren peinlich, diese Roland Kochs, sie wurden bald schon
lächerlich. Die CDU hat sich weiterentwickelt. Hin zur Mitte. Kann sie
weiter in die Zukunft? Das ist die Frage, um die es jetzt geht.
Denn zwanzig Jahre nach der Unterschriftenaktion ist Deutschland ein
anderes Land, auch weil die CDU gewachsen ist. Thüringen ist der Teufel an
der Türschwelle: Gehst du weiter oder lässt du dich zurück ins
Zerstörerische ziehen? Die CDU hat, selbst in Thüringen, durch ihr
Taktieren nach rechts 10 Prozentpunkte verloren. Sieht sie das ein oder
versenkt sie sich in der Vergangenheit – und damit die Idee der
Volksparteien?
## CDU in die Zersetzung getrieben
Vergangenheit ist nicht nur Hitlerdeutschland. Vergangenheit ist auch die
Ära Kohl und Männer-CDU. Die AfD treibt die CDU in die Selbstzersetzung.
Friedrich Merz und [2][die Werteunion] zersetzen mit. Unterdessen fürchten
Minderheiten um ihre Sicherheit. Es ist nicht akzeptabel, Deutschland so
weit unter seinem Niveau debattieren zu lassen, nur weil man in Parlamenten
plötzlich Antidemokraten sitzen hat, die in Talkshows allen Ernstes von
Bolschewismus schwadronieren und Grundrechte als Machtpoker verstehen.
Politikverdrossenheit ist als Begriff aus der Mode geraten. Er wurde
abgelöst von etwas Gefährlicherem: Politikverneinung. Immer mehr
Bürgerinnen ignorieren Politik einfach. Sie fragen: „Was war denn in
Thüringen?“, oder: „Wer ist Robert Habeck?“ Unter den Politikverneinern
sind viele Ärzte, Architekten, fachlich Hochgebildete und Mittelständler.
[3][In Thüringen waren knapp 40 Prozent der Wahlberechtigten nicht an der
Wahlurne]. Wenn ich die Berichterstattung zu Thüringen sehe und die
Verantwortlichen, die sich vor die Kameras stellen, frage ich mich schon:
„Wo sind denn die Heutigen? Wo ist Gegenwart?“ Das mag herablassend
klingen, ist aber eine Frage nach Partizipation.
Konservative Politik ist in die Hände jener geraten, die in der
Vergangenheit hängengeblieben sind. Sie ist gar zum Auffangbecken für
solche geworden, die mit den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht
mitkommen. Die Jugend wählt die Straße und den Protest, wählt soziale
Unternehmen und Plattformen, statt die alten Strukturen herauszufordern und
zu erneuern. Zunehmend veraltete Parteien oder Alte im Geiste wie die Junge
Union schaffen die politischen Rahmenbedingungen. Thüringen ist einerseits
eine Katastrophe der Hufeisen und der Dammbrüche. Thüringen ist aber auch
ein Symptom dafür, wie sehr sich die progressiven, verjüngenden Kräfte aus
der Politik zurückgezogen haben. Wenn die Konservativen in der Mitte
bleiben wollen, führt ihr Weg nicht über rechts, sondern über die Mitte.
12 Feb 2020
## LINKS
[1] /Parteienforscher-ueber-CDU/!5663299
[2] /Nach-Rueckzug-von-AKK/!5663198
[3] /Tabubruch-in-Thueringen/!5658850
## AUTOREN
Jagoda Marinić
## TAGS
Schlagloch
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