| # taz.de -- Diskriminierender Wahlkampf in Polen: Gegenwind für Homophobie | |
| > Vor der Präsidentschaftswahl in Polen schießt sich die Regierungspartei | |
| > auf sexuelle Minderheiten ein. Das trifft zunehmend auf Widerstand. | |
| Bild: Protest gegen Duda am Sonntag vor dem Präsidentschaftspalast in Warschau | |
| Warschau taz | Mit angewidertem Gesichtsausdruck deutet Pani Basia in einem | |
| Zeitungskiosk im Stadtteil Warschau-Mokotów auf das homophobe Titelbild | |
| einer PiS-nahen Zeitschrift: „Ich habe das schon kommen sehen. Seit einem | |
| Jahr giften diese Blätter gegen unsere Schwulen und Lesben.“ Sie kramt | |
| unter der Lade: „Hier – das habe ich extra aufgehoben. Im Sommer letzten | |
| Jahres hatte die Gazeta Polska diesen Aufkleber beigelegt: ‚LGBT-freie | |
| Zone‘. Ein Gericht hatte die Verbreitung davon zwar im Schnelldurchgang | |
| verboten, aber da haben sich dann alle Leute noch schnell die Ausgabe | |
| geholt.“ | |
| Eigentlich haben die Menschen in Polen ganz andere Sorgen: Viele verloren | |
| durch die Maßnahmen gegen Corona ihre Arbeit, andere gingen in die | |
| Insolvenz. Die Preise steigen, und das Geld reicht hinten und vorne nicht. | |
| Doch worüber im Land jetzt diskutiert wird, sind Fragen wie: „Sind Schwule | |
| Menschen? Und Lesben auch? Was ist mit Bisexuellen und | |
| Transgenderpersonen?“ [1][Es ist Wahlkampf]. Am kommenden Sonntag können | |
| die WählerInnen endlich ihre Stimme für den neue Präsidenten Polens | |
| abgeben. Elf Männer und keine einzige Frau bewerben sich um das Amt. | |
| Aus Mangel an Ideen für einen zugkräftigen Wahlkampf des bisherigen | |
| Präsidenten Andrzej Duda erfanden seine Wahlkampfmanager einen neuen Feind. | |
| Und zwar bedrohe eine „LGBT-Ideologie“ die polnischen Familien, deren | |
| Traditionen und Werte. Aber ein Retter sei in Sicht: Andrzej Duda, der | |
| erneut als Kandidat der regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht | |
| und Gerechtigkeit (PiS) antritt, wetterte denn auch prompt auf einer | |
| Wahlkampfveranstaltung gegen LGBT: „Man versucht, uns einzureden, dass dies | |
| Menschen seien, aber das ist ganz einfach eine Ideologie!“ | |
| Tags zuvor war ein Nationalpopulist aus einer Talkshow des Privatsenders | |
| TVN geflogen. Seine Hetztirade „LGBT sind keine Menschen, sondern eine | |
| Ideologie“ war der Moderatorin zu viel: „Es gibt Grenzen!“ Doch nicht nur | |
| Polens Staatsoberhaupt verteidigte den Satz, mit dem über eine Million | |
| Staatsbürger und Staatsbürgerinnen Polens zu „Nichtmenschen“ erklärt | |
| wurden. Auch der PiS-Abgeordnete Przemysław Czarnek hieb in diese Kerbe. Im | |
| Staatssender TVP, im früheren öffentlich-rechtlichen Rundfunk, hielt er das | |
| Bild einer Pride-Parade in Los Angeles in die Kamera und empörte sich: | |
| „Hören wir auf, uns diese Idiotismen von irgendwelchen Menschenrechten oder | |
| irgendeiner Gleichheit anzuhören. Diese Leute sind nicht wie normale | |
| Menschen.“ | |
| Als Duda nur einen Tag später in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau aller | |
| Opfer der deutschen KZs und Vernichtungslager im besetzten Polen von 1939 | |
| bis 1945 gedenkt, erinnert ihn die linksliberale Tageszeitung Gazeta | |
| Wyborcza an die KZ-Opfer, die zur Markierung ihrer sexuellen Identität den | |
| rosa Winkel tragen mussten. Dabei zitiert sie den Tweet eines aufgebrachten | |
| polnischen Bürgers, der ein Häftlingsfoto von einem Schwulen postete und | |
| dazu schrieb: „Das ist ein Auschwitz-Opfer. Er trägt einen rosa Winkel auf | |
| der Häftlingsjacke. Wie könnt ihr gleichzeitig an die Nazi-Opfer erinnern | |
| und sagen, dass Homosexuelle nicht wie normale Menschen sind? WIE?“ Doch | |
| weder Duda noch ein Politiker der PiS nahm die Worte „LGBT – das sind keine | |
| Menschen“ zurück. | |
| Stattdessen meldete sich – ebenfalls auf Twitter – der | |
| TVP-Deutschlandkorrespondent Cezary Gmyz zu Wort. „Viele Homosexuelle in | |
| den Konzentrationslagern waren außergewöhnliche Degenerierte und | |
| Vergewaltiger. Zudem verweise ich auf ein Buch von Roman Frister, der in | |
| ‚Autoporträt mit einer Narbe‘ beschreibt, wie er selbst Opfer einer analen | |
| Vergewaltigung wurde.“ Fassungslos über diesen Tweet, erstattete Ulle | |
| Schauws, die Sprecherin für Queerpolitik der Grünen-Fraktion im deutschen | |
| Bundestag, Anzeige bei der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Gmyz wegen | |
| homofeindlicher Hetze. | |
| Im Kiosk in Warschau-Mokotów begutachtet eine ältere Dame mit Stock und | |
| Strohhut den homphoben Aufkleber und sagt: „Na, da hat unser Präsident ja | |
| wohl ein bisschen übertrieben. Zu behaupten, dass das keine Menschen sind! | |
| Mir gefallen diese Gleichheitsparaden ja auch nicht. Aber als Nächstes, | |
| Pani Basia, sind wir vielleicht keine Menschen mehr?“ Die Kioskbesitzerin | |
| nickt: „Genau, alt und schon bald arbeitsunfähig.“ | |
| Auch Juden in Polen können kaum glauben, welche Hasswelle sich da plötzlich | |
| im Wahlkampf, ausgehend vom Staatspräsidenten Polens, über die | |
| LGBT-Minderheit ergießt. „Wir Juden, Überlebende des Holocaust und deren | |
| Nachkommen, wollen und können nicht gleichgültig bleiben angesichts der | |
| dehumanisierenden Worte über die LGBT-Personen“, schrieb der Vorstand der | |
| Warschauer Jüdischen Gemeinde in einem offenen Brief, „Wir widersetzen uns | |
| der Hasssprache der Vorurteile und der Aggressivität.“ Polens Juden wüssten | |
| nur zu gut, dass es zu Tragödien und Pogromen führe, wenn einer | |
| gesellschaftlichen Gruppe ihre Würde und Menschlichkeit abgesprochen und | |
| dem Rest der Gesellschaft eine völlig unbegründeten Angst vor dieser Gruppe | |
| eingejagt werde. „Wir haben das Recht, NEIN zu sagen zu jeder | |
| Diskriminierung sexueller Minderheiten“, heißt es in der Erklärung vom 15. | |
| Juni. „Wir unterstützen alle LGBT-Personen in ihrem Bestreben, die | |
| Gleichberechtigung aller Staatsbürger und Staatsbürgerinnen Polens zu | |
| erreichen.“ | |
| Mochte dieser Protest schon unangenehm für Polens Nationalpopulisten und | |
| ihren Präsidentschaftskandidaten sein, so versetzte ihnen zusätzlich eine | |
| Demonstration der Mütter homosexueller Kinder vor dem Präsidentenpalast in | |
| Warschau einen schmerzhaften Schlag. Denn bei der Konzentration auf die | |
| „Verteidigung der polnischen Familie, ihrer Traditionen und Werte“ war | |
| ihnen entgangen, dass natürlich auch Lesben, Schwule, Bisexuelle und | |
| Transgenderpersonen in eine Familie hineingeboren werden, dass sie Väter, | |
| Mütter und oft auch Geschwister haben. | |
| „Herr Präsident, was Sie über unsere Kinder sagen, ist schmerzhaft und | |
| enorm schädlich“, sagt Helena Biedron, die Mutter des [2][linken | |
| Präsidentschaftskandidaten Robert Biedron]. „Wir haben Angst um unsere | |
| Kinder. Wir wollen sie nicht verlieren, nur weil jemand, der verletzende | |
| Worte hört, beschließt, unsere Kinder zu schlagen, zu bespucken, zu | |
| ermorden oder in den Selbstmord zu treiben.“ | |
| Mateusz Morawiecki, Polens PiS-Regierungschef, hätte ein Machtwort sprechen | |
| und die homophobe PiS-Kampagne von Andrzej Duda absagen können. Franciszek | |
| Broda, Morawieckis 17-jähriger Neffe, hatte bereits sein Coming-out, | |
| interessiert sich lebhaft für Politik und fragt sich jetzt, ob sein Onkel | |
| ihn bereits völlig abgeschrieben hat. „Ich bin ein Mensch und schäme mich | |
| dessen nicht“, antwortete er dem PiS-Abgeordneten Zalek auf Facebook. | |
| „Aber Sie sollten sich schämen. Scham! Und solche Leute sollen uns | |
| regieren?“ Als ihm der PiS-EU-Parlamentarier Ryszard Czarnecki in dem | |
| Boulevardblatt Superexpress antwortete, dass es so etwas wie eine | |
| Familiensolidarität gebe und Broda mit der Kritik an seinem Onkel und an | |
| der PiS bis nach den Wahlen hätte warten können, antwortete der Teenager | |
| sofort. „Ich werde nicht zulassen, dass Sie und Ihre (Partei-)Kollegen eine | |
| Situation herbeiführen, in der jemand Selbstmord begeht oder in eine tiefe | |
| Depression fällt.“ | |
| ## Wahlprognosen ändern sich | |
| Die homophobe Kampagne der PiS war von langer Hand vorbereitet worden und | |
| kam zunächst als eine harmlos wirkende „Familien-Charta“ daher. Gerade in | |
| Ostpolen kam diese Charta, in der auch viel über den Schutz der Kinder vor | |
| „Unsittlichkeit“ stand, gut an. Doch, und das war das Entscheidende, es gab | |
| auch eine längere Passage über die angebliche Gefahr, die von einer | |
| dubiosen „LGBT-Ideologie“ für die Kinder ausgehe und die man als Dorf-, | |
| Stadt-, Kreis-oder Wojewodschaftsverwaltung aufs Schärfste bekämpfen werde. | |
| Inzwischen hat ein gutes Drittel Polens die LGBT-diskriminierende | |
| Familiencharta angenommen. | |
| Die PiS ging davon aus, dass diese Kampagne sowie die permanent negative | |
| LGBT-Berichterstattung in den PiS-nahen Medien ihr die Wähler und | |
| Wählerinnen nur so zutreiben würde. Doch dieses Kalkül muss nicht aufgehen. | |
| Noch führt zwar Andrzej Duda mit rund 40 Prozent Zustimmung, doch sein | |
| Verfolger von der liberalen Bürgerkoalition ist ihm mit 34 Prozent dicht | |
| auf den Fersen. Verlieren werden mit der Kampagne wohl alle – zuallererst | |
| Lesben, Schwulen, Bisexuelle und Trans*, aber auch jene, die sich von der | |
| Homophobie anstecken ließen, und die, die sich nun angewidert von der | |
| Regierung abwenden. | |
| Ein junger Mann, um den Hals einen Sommerschal in Regenbogenfarben, möchte | |
| am Kiosk eine kleine Cola kaufen, sieht den Aufkleber und schaut betroffen. | |
| Doch Pani Basia lacht ihn an: „Na, sind Sie nun ein Mensch? Oder wem soll | |
| ich jetzt die Cola verkaufen?“ | |
| 23 Jun 2020 | |
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| Gabriele Lesser | |
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