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# taz.de -- Die Wahrheit: Musterknabe mit müffelnden Macken
> Schurken, die die Welt beherrschen wollen – heute: Philipp „Augustus“
> Amthor, das ehemals größte Talent der Christdemokraten.
Bild: Auf dem Rückzug im Regen: Philipp Amthor geht in den Wald, um unbewaffne…
Immer wieder drehen sich seine Gedanken zurück. Noch vor wenigen Wochen
flog er regelmäßig wie ein Uhrwerk nach Amerika, checkte ein im Waldorf
Hilton Baccarat Paradise mit Blick über New York, Washington und das
Silicon Valley. Auf der Dachterrasse konnte er die Sterne mit bloßen Händen
greifen. Er badete in flüssigem Champagner, speiste in geldschwerer Runde
Nackensteaks vom Hochlandsaurierbaby und schlief in goldenen Betten.
Vorbei! Jetzt sitzt Philipp Amthor in Deutschland und knabbert einen Keks.
Auf seinem abgemagerten Terminkalender stehen eine Rede im Klärwerk von
Ueckermünde zum 10. Jahrestag der Inbetriebnahme des Belebungsbeckens zur
Belüftung des Belebtschlamms sowie eine Bürgerbegegnung vor dem Lidl in
Torgelow. Statt sich für ein Wochenende mit Firmengründern und
Unternehmensberatern zum Delfinreiten vor Korsika zu treffen oder in St.
Moritz zur lustigen Schneeballschlacht im Adamskostüm, muss er sich seinem
Brotberuf als CDU-Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Mecklenburgische
Seenplatte I – Vorpommern-Greifswald II widmen, der mit 5.000
Quadratkilometern fast doppelt so groß wie das Saarland und viermal so leer
ist.
Die feste Stelle in Berlin hat er seit dem Jahr 2017, nachdem er sich im
Büro seines Vorgängers Matthias Lietz mit schöner Unschuldsmiene im
geschniegelten Gesicht das komplette Handwerkszeug hatte zeigen lassen und
den Alten dann aus dem Fenster schmiss. Kaum in der Hauptstadt angelangt,
warf Amthor seine Leinen aus, ging für ein gut belegtes Butterbrot bei der
US-amerikanischen Wirtschaftskanzlei White & Case an Land und fand mit
seiner glatten Spürnase den Weg zu dem deutschamerikanischen Start-up
Augustus Intelligence, für das er sogar den Bundeswirtschaftsminister
anzapfte.
## Schuljunge mit Segelohren
Herrliche Software zur Gesichtserkennung für oben vorne und hinten unten
will die Firma zusammenlöten. Nun aber muss Amthor selbst in den Spiegel
gucken – und sieht einen 27-jährigen Schuljungen mit Segelohren, der aus
kurzen Verhältnissen stammt und um jeden Preis nach oben wollte. Der alles
daransetzte, von klein auf groß zu werden, und es faustdick hinter der
Hornbrille hat!
Der seit dem 11. November 1992 davon träumte, einmal 2.817 Aktienoptionen
einer Softwarefirma zu besitzen. Der schon im Kindergarten sich danach
sehnte, ins „Board of Directors“ von Augustus Intelligence aufzurücken und
damit gestempelte Visitenkarten zu verteilen. Der schon bei der Einschulung
davon schwärmte, mit Karl-Theodor von und zu Guttenberg und Hans-Georg
Maaßen von einem Teller zu essen und eines Tages von der brillanten
Hauptstadtpresse als „Merkels Embryo“ identifiziert und geschmückt zu
werden (Die Wahrheit v. 13. 4. 2018).
Dieser aufstrebende homo politicus studiert folglich keine Fächer für
angehende WC-Reinigungskräfte wie Kunstgeschichte oder Moderne
Kompositionslehre, sondern die politisch kleidsamen Rechtswissenschaften.
Er hakt sich als Stipendiat bei der Konrad-Adenauer-Stiftung ein, um die
Zukunft mit nützlichen Beziehungen zu polstern und beim herrlich
wirtschaftstreuen Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg erste Fäden zu spinnen.
Philipp Amthor aber weiß, dass der Lolli noch nicht ganz gegessen ist: Um
die Karriere wasserdicht zu machen, braucht ein Mensch außer zwei geraden
Beinen den Doktortitel. Philipp Amthors Thema seit 2017: „Staatswohl und
Staatsgeheimnisse zwischen Regierung und korruptem CDU-Abgeordnetem“ – so
oder so ähnlich lautet das Werk, an dem er schreibt, wenn er nicht gerade
denkt oder im Wald ist, wo der junge Herr seinem neuen Hobby nachspürt und
auf der Jagd nach unbewaffneten Rehen ist.
## Täufling mit Phoenix-Konsum
Kaum aus dem Ei gekrochen, hatte Philipp Amthor nämlich erkannt, dass die
CDU Eigentümerin, die SPD bloß Mieterin der Bundesrepublik war, und
erlernte die christlich-demokratische Politik wie eine Muttersprache. Die
Reden und Gesten der CDU-Politiker mit den mächtigsten Eiern konnte er dank
ausgiebigem Phoenix-Konsum bald bis unter die Haut auswendig.
Etwas länger brauchte der Musterknabe bloß, um das Kürzel CDU zu knacken
und das Wort „christlich“ zu entschlüsseln – was zu entschuldigen war, a…
dem Gebiet der verstorbenen DDR gibt es nach wie vor fast keine Religion.
2019 aber war es so weit: Mit 26 Lenzen in Sicherheit und aus dem
Knabenalter halbwegs raus, ließ er sich katholisch imprägnieren und ins
römische Taufbecken eintauchen. Im Juni anno 2020 wurde der prominente
Täufling – es gibt auch für die Kirche nichts umsonst – daraufhin in den
Diözesanrat berufen, die schönste Laienvertretung der Katholiken im
Erzbistum Berlin.
Wahrscheinlich ist Philipp Amthor der einzige Mensch, der über beide Backen
mit Deutschland zufrieden ist und das gern in die Welt trompetet. Was ihm
allenfalls die gute Laune versalzt, sind die Clan-Kriminalität außerhalb
von Industrie und CDU sowie die Parallelgesellschaften jenseits der
Seilschaften in seiner Partei. Und dass man ihm einfach so die Sache mit
der Firma verhagelt hat!
Unter dem Strich hat Philipp Amthor aber alles richtig gemacht. Fehler
gehören in der CDU zu einem mit Volldampf betriebenen Leben, zeugen von
intaktem Ehrgeiz, können als Lernstoff genutzt und schließlich auf der
Habenseite verbucht werden. Bald wird Gras über die Gegenwart gewachsen
sein, und die Zukunft beginnt von Neuem, mitsamt hauchzartem Mammutfilet
und perlenden Weibern. Am Ende wird der ewig junge Philipp Amthor mit den
Reichen und Mächtigen an einer Zigarre ziehen – und der neue Augustus sein!
22 Jun 2020
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Philipp Amthor
CDU
Schwerpunkt Korruption
Lesestück Recherche und Reportage
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