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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Mann an der Kandare
> Schurken, die die Welt beherrschen wollen – heute: Lars „Klimmzug“
> Klingbeil, der gestählt aus der Krise hervorgeht.
Bild: Sportlich ausgedünnt zurück aus der Krise: Lars Klingbeil
Zweimal die Woche verlässt Lars Klingbeil die SPD. Er nimmt den Atemschutz
ab, lässt das Willy-Brandt-Haus hinter sich und sucht die Box auf. Das ist
im Crossfit das, was unter normal gewachsenen Sportlern der Kraftraum ist.
Der Generalsekretär macht sich warm, springt und sprintet mit den Beinen
auf der Stelle, biegt sich erst kugelrund zum „Bagel“, wie es bekanntlich
in diesem aus den USA stammenden „Martial Gym“ heißt, macht dann im Liegen
die Kerze und jongliert mit seinen zwei Füßen drei Medizinbälle. Die
Übungen gelingen ihm ohne einen Tropfen Anstrengung, der Puls tickt ruhig.
Klingbeil gehört auch als Sozialdemokrat zu keiner Risikogruppe, er ist
gesund.
Nach einigen weiteren Routinen kommt Klingbeil zum Höhepunkt. Er schreitet
zu einem Stahlquader, der wohl oder übel einen Kubikmeter dick ist, packt
ihn und wuchtet ihn hoch! Die Muskeln schwellen an und wollen in seinem
T-Shirt über die Ufer treten. Das Gesicht verfärbt sich sozirot, der
Politiker droht auseinander zu platzen. Endlich schleudert er mit einem
Schrei den tonnenschweren Kubus von sich, Lars Klingbeil und die SPD haben
es geschafft.
Er legt die Atemmaske wieder an, denn sein eigens auf ihn abgerichteter
Personal Trainer betritt die Box. Der nickt, denn für einen
Sozialdemokraten schlägt sich sein Schützling ganz ordentlich. Crossfit ist
die männliche Form des Zirkeltrainings, gibt er zu verstehen, während er
den Stahlklotz in die linke Hand nimmt und in den Geräteraum trägt.
Vor Jahren schaffte Lars Klingbeil beim einfachen Gehen nicht einmal 100
Meter am Stück, fuhr lieber mit dem Taxi oder blieb zu Hause liegen.
Inzwischen joggt er am laufenden Meter, macht zwischendurch Kniebeugen,
Liegestützen und Überschläge. Mitten in der Coronapandemie fragt niemand
nach dem Generalsekretär der SPD, keine Menschenseele will noch ein
winziges Sterbenswörtlein von ihm hören. Klingbeil kann rund um die Uhr
tun, was er will, schweigt und turnt.
## Im Rausch des tanzenden Sports
Früher rauchte er stattdessen täglich ein Pfund Zigaretten weg. Jetzt
braucht er nur mehr seine Dosis Sport, braucht das Gefühl, über sich zu
siegen, es ist wie ein Rausch, das pure Glück. Die Endorphine tanzen in
seinem Körper, in der Wochen zwier!
Früher, da verdrückte er sich nach dem Abi in die Bahnhofsmission von
Hannover zum Zivildienst. Dabei war er am 23. 2. 1978 als strammer Sohn
eines Berufssoldaten auf die Welt marschiert! Hatte die Grundausbildung vom
Abc-Schützen bis zum ehrenvollen Abschied vom Gymnasium im
niedersächsischen Munster durchlaufen, einer von Truppenübungsplätzen
eingezäunten Stadt, wo die Bundeswehr so viel Heer macht wie nirgends
sonst, 5.000 lebende Soldaten bei 15.000 Einwohnern in Zivil.
Indes, die weltweiten Anschläge vom 11. 9. 2001 hatten ihr Gutes, sie
brachten den Träumer auf Zack. Der Drückeberger ward Kamerad der
Gesellschaft für Wehrtechnik und der auf gleicher Kette fahrenden
Gesellschaft für Sicherheitspolitik, schloss sich ohne Blutverlust dem
Förderkreis Deutsches Heer und der Soldaten und Veteranen Stiftung an.
Gefördert vom SPD-Verteidigungspeter Struck († 2012 ohne Feindeinwirkung),
setzte sich Klingbeil seither für Auslandseinsätze und einen
hochgezüchteten Wehretat mit sämtlichen Händen und Füßen ein; anders als
mancher Invalide hat er sie noch alle.
Auch sie hat er alle: die Lobbyisten der hohen Wirtschaft. Besonders
Rheinmetall fand bei ihm sperrangelweite Ohren, weil der Rüstungskonzern in
Unterlüß nahe Munster eine große Fabrik am Qualmen hat. Einmal in den
letzten zweieinhalb Jahren empfing Lars Klingbeil aber auch den Abgesandten
einer Gewerkschaft, er ist ja in der SPD.
## Treuer Parteisoldat ohne Fleischwunde
Eingefädelt hatte der frisch Gewendete seine politische Karriere, indem er
am 12. 9. 2001 (Datum ähnlich) in den Stadtrat von Munster vorstieß; 2006
okkupierte er auch den Kreistag. Zwischendurch wurde er von Gerhard
Schröder einberufen und für sein Wahlkreisbüro dienstverpflichtet. Nach
einer Reserveübung als Jugendbildungsreferent der SPD in
Nordrhein-Westfalen und als Spieß im Büro des SPD-Landesvorsitzenden in NRW
Garrelt Duin wurde er 2009 an den Standort Berlin versetzt, wo sich der
treue Parteisoldat zum Seeheimer Kreis durchkämpfte.
Er bewährte sich im Bundestag, kam in den Verteidigungsausschüssen zum
Einsatz, ohne eine Fleischwunde davonzutragen, und wurde 2017 von der SPD
an die vorderste Front befohlen und zum General befördert, zum
Generalsekretär.
Der muss eigentlich die Partei spitz auf den Vordermann ausrichten, steil
Ordnung in den Saustall bringen und die Truppe scharf zusammenhalten, auch
mal zusammenfalten. Doch kaum begann das Coronavirus an Staat und
Bevölkerung zu nagen, schloss die SPD wie von selbst die Reihen, sortierte
sich ohne Mucks hinter ihre Parteivorsitzenden, Bundesminister und
Landesfürsten ein, und niemand kräht nach dem Geschäftsführer. So kann Lars
Klingbeil statt unbotmäßiger Parteimitglieder nur sich selbst an die
Kandare nehmen. Zweimal die Woche verlässt er dazu die SPD und sucht die
Box auf.
26 May 2020
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Lars Klingbeil
SPD
Schurken
Lesestück Recherche und Reportage
Europa
Philipp Amthor
Christine Lambrecht
Sprachkritik
Armin Laschet
Schwerpunkt Coronavirus
Sprachkritik
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