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# taz.de -- Die Wahrheit: Da de di do dum so dumm
> Neues von der Sprachkritik: Des Genitivs Schönheit betört nicht alle
> Sprachnutzer gleichermaßen. Beliebter sind hässliche Hilfskonstruktionen.
Bild: Genetivverächter halten ihre Zunge leider ungern im Zaum
Ob seiner altmodischen Eleganz erfreut sich der Genitiv eines gewissen
Rufs, eines guten und schlechten. Die einen wollen seiner nicht entraten
und genießen es, mithilfe des Genitivs einen ästhetischen Mehrwert zu
erzeugen. Die anderen möchten sich seiner am liebsten entledigen, schon um
der Vereinfachung der Grammatik willen, deren das Deutsche angesichts der
Migranten bedarf, die dieser schwierigen Sprache noch nicht mächtig sind
und ihrer so leicht wie möglich Herr werden sollen.
In den Deutschkursen der Volkshochschule bedient man sich der Einfachheit
halber statt des Genitivs deshalb des Dativs mithilfe der Präposition
„von“. Dieser Genitiversatz ist ohnehin weit verbreitet, selbst viele
Muttersprachler sind des traditionellen Genitivs müde geworden. „Das ist
ein Erfolg vom Österreicher René Benko“, schreibt die taz über den
Warenhausbesitzer anlässlich irgendeiner Transaktion und meldet, dass ein
Literaturarchiv „wertvolle Briefe vom zu Weimar wirkenden Dichterfürsten
Goethe“ anschaffen konnte, der sich dieses Dativs vielleicht geschämt
hätte.
Wahrscheinlich hätte er sich auch des Kopfschüttelns nicht erwehren können
ob des Senders Phoenix, der „eine Produktion von BBC“ ausstrahlt; und des
Schmunzelns wäre womöglich kein Ende gewesen, wäre er der Schlagzeile der
Magdeburger Volksstimme ansichtig geworden: „Frau nach Tötung von altem
Mann verhaftet“. Spätestens dann wird man sich des Umstandes bewusst, dass
zwecks einer fehlerfreien Verständigung die deutsche Sprache des
ehrwürdigen Genitivs nach wie vor bedürftig ist.
Genug des „von“ also – schon weil es jenseits dieser Präposition genüge…
andere gibt, man muss sich ihrer nur entsinnen! „Saudi-Arabien greift an
der Spitze einer Koalition aus arabischen Staaten im Jemen ein“, berichtet
die taz und findet irgendetwas „für eine zivilisierte Nation völlig
unwürdig“; die Obdachlosenzeitung Tagessatz fragt wegen der
vernachlässigten „Mentoren-Rolle der Älteren“: „Berauben wir uns und die
Gesellschaft dann nicht um elementare Dinge?“
## Tod noch nicht eingetreten
Wer sich mangels Grammatikkenntnissen um den Genitiv beraubt, spottet
schnell jeder Beschreibung. Aber weil der Genitiv für eine Kultursprache
würdig ist, ist der Tod vom Genitiv ungeachtet der Häufung aus solchen
Grammatikunfällen bislang nicht eingetreten. Er ist noch da. Nur wie! Der
MDR wirbt für einen Aufenthalt im „Reich des legendären Rübezahls“ und e…
taz-Autor beschreibt „die aufgequollene Haut eines Harald Juhnkes“, denn
das Merkmal des Genitivs ist das s. Der Deutschlandfunk besucht
infolgedessen „Ukraines Präsident“, und die taz berichtet aus Tschechien
über „Babiss ANO-Bewegung“, denn das ist der Genitiv von Andrej Babis.
Eingedenk der Rechtschreibregel, derzufolge in einem solchen Fall anstelle
des s ein Apostroph stehen muss, folgt natürlich, dass in allen Fällen
anstelle des s ein Apostroph stehen muss. Infolgedessen schreibt die
Titanic über „die Verbreitung des Zika-Virus’“ – noch besser wäre
„Virussens“, aber infolge des Sprachwandels ist diese Behelfsform wohl den
Weg allen Fleisches gegangen.
## Aussterben nicht gewiss
Man kann des Aussterbens des Genitivs nicht gewiss, aber seines fragilen
Status bewusst sein. Sein Gebrauch ist in jedermanns Belieben gestellt;
aber das Beispiel des Englischen lehrt, dass gerade die Liebhaber des
Genitivs seiner Gefährdung innewerden müssen. Das Englische, das kraft
seiner globalen Stellung andere Sprachen beeinflusst und ummodelt, hat sich
des sächsischen Genitivs bereits weithin entschlagen und erinnert sich
seiner nurmehr bei Lebewesen („Gentlemen’s Agreement“) oder Zeitangaben (…
hard day’s night“). Er ist zugunsten der Bildung mit der Präposition „of…
in den Hintergrund getreten, wobei die Angelsachsen ihrerseits unter dem
Einfluss des das Altenglische umkrempelnden Französischen gestanden haben
mögen: Es ermangelt wie andere romanische Sprachen, das Spanische, das
Italienische, das Portugiesische, des Genitivs seit Unzeiten und bildet ihn
wie das Deutsche anhand der Präposition „von“, pardon: mittels der
Präpositionen „da“, „de“, „di“, „do“, „dum“.
Ob eines Tages die Deutschsprechenden des Genitivs gänzlich überdrüssig und
sich dieses Kasus guten Gewissens entäußern werden, statt weiterhin einer
schönen und des Öfteren exquisit wirkenden Ausdrucksweise zu befleißigen,
niemand weiß es. Zum einen gibt es mehr und mehr Leute, die sich unbedacht
dieser Chance auf eine feinere Rede begeben und lieber der Ruhe pflegen als
dem Genitiv, pardon: des Genitivs. Andererseits gibt es auch Menschen guten
Willens, die sich des Genitivs annehmen, voll des Lobes für ihn sind und ob
der Tatsache, dass der Gang der Geschichte unvorhersehbar und man stets
einer Überraschung gewärtig sein muss, nicht schwarzsehen.
Ob sie aber wirklich der Zukunft des Genitivs froh werden können, hängt
davon ab, dass sich mehr und mehr Deutsche dem Genitiv erbarmen. Äh, des
Genitivs natürlich!
6 Oct 2020
## AUTOREN
Peter Köhler
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Sprachkritik
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Literatur
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Philipp Amthor
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