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# taz.de -- Debatte um Kinderarbeit in Bolivien: Klinkerkinder und Friedhofsjun…
> In Bolivien wurden arbeitenden Kindern erstmals mehr Rechte zugesprochen.
> Dann nahm die Regierung alles wieder zurück. Was bedeutet das für die
> Kinder?
Wenn Edgar Esquivel seine Augen öffnet, geht hinter den Bergen gerade die
Sonne auf. Er braucht keinen Wecker, denn er steht jeden Morgen zur selben
Zeit auf. Edgar zieht sich an, isst seine Nudelsuppe. Dann bricht er auf.
Er wird erst zurückkommen, wenn die Sonne gerade wieder hinter den Bergen
verschwindet. Alles wird staubig sein, sein Rücken schmerzen. Edgar wird
hunderte Lehmziegel in einem Ofen gestapelt haben. Es ist der Teil, den er
am wenigsten mag, wenn er Backsteine herstellt. Weil er am anstrengendsten
ist. Noch anstrengender als das, was vor ihm liegt. Mit seiner Mutter wird
er bald den Ofen anfeuern und rund um die Uhr alle halbe Stunde Holz
nachlegen, damit die Ziegel gleichmäßig gebrannt werden. Drei Wochen lang.
Edgar ist „Ladrillero“, ein Ziegelbrenner, ein Klinkerkind. Mit sechs fing
er an zu arbeiten. Erst half er nur der Familie bei der Ernte, dann nahm
ihn der Vater mit in eine Schnurfabrik. Mit 15 übernahm er den Ziegelofen
in der Nachbarschaft. Heute ist er 17, der Älteste von acht Geschwistern.
So wie Edgar müssen nach Schätzungen von NGOs über 700.000 Kinder und
Jugendliche in Bolivien arbeiten, dem Land, das als das ärmste Südamerikas
gilt. Sie putzen Schuhe, verkaufen Kaugummi, ernten Zuckerrohr, mahlen
Gesteine in den Minen der Silberberge. Die meisten tun es, weil ihnen
nichts anderes übrig bleibt. Weil ihre Eltern zu wenig verdienen, um sie
und ihre Geschwister zu ernähren. Weil es dem Staat nicht gelingt, ihnen
eine Lebensgrundlage zu bieten, die ihnen eine Wahl ließe. Und weil die
Gesellschaft es akzeptiert.
Bolivien ist damit nicht allein. Weltweit schätzt die Internationale
Arbeitsorganisation (ILO) die Zahl unter Zwang arbeitender Kinder auf 152
Millionen. Keine guten Aussichten, wenn das Ziel der Vereinten Nationen,
[1][diese Zahl bis 2025 auf null zu senken], erreicht werden soll. Als
Bolivien [2][im Jahr 2014] das Mindestalter für arbeitende Kinder unter
bestimmten Bedingungen von 14 auf 10 Jahren herabsenkte, war die Empörung
der internationalen Kinderschutzgremien entsprechend groß. Was wollte die
Regierung unter Evo Morales damit bloß bewirken?
Um diese Frage wird seit Jahrzehnten heftig gestritten. Ein Streit, der
eine große Schublade voller weiterer Fragen öffnet: Was bedeutet Kindheit?
Wer definiert das? Können internationale Verbote und Sanktionen ein
Phänomen bezwingen, dessen Wurzeln in Armut und sozialer Ungleichheit
liegen? Oder braucht es genau solche Verbote, weil eine Liberalisierung nur
jenen zugutekommt, die im Vergleich schon privilegiert sind? Die, die im
geschützten Umfeld, unter würdigen Bedingungen arbeiten und neben der
Arbeit noch Zeit für die Schule finden und um sich politisch zu
organisieren?
## Zwischen Identität und Ideologie
Tahí Abrego würde diese Schublade wohl am liebsten einfach schließen, denn
sie hat sich entschieden. Die 44 Jahre alte Psychologin sitzt in einem Café
in Boliviens konstitutioneller Hauptstadt Sucre und erzählt von ihrer
Arbeit. Abrego ist eher unauffällig mit ihrem langen, zu einem losen
Pferdeschwanz gebundenen Haar, Jeans und Oberteil in gedeckten Farben. Nur
der schwarze Lidstrich sticht heraus, der ihre müden Augen untermalt. Vor
13 Jahren gründete sie mit zwei anderen die NGO „Realidades“, zu Deutsch:
Realitäten. Gestartet im Geiste der Graswurzelbewegung, die das Problem an
der Basis angehen wollte, versuchen sie heute vor allem Einfluss auf die
Politik zu nehmen. Sie fordern Gesetze, die Stadt und Land dazu
verpflichten, Geld für arbeitende Kinder und ihre Eltern in die Hand zu
nehmen. Für Präventionsprojekte, für Aufklärungskampagnen, für bessere
Jobs.
Abrego spricht schnell, in jedem Satz das Flackern eines Gefühls, wenn sie
in die Schicksale eintaucht, die ihr bei ihrer Arbeit begegnen. Sie erzählt
von einem sieben Jahre alten Mädchen, das als „mobile Verkäuferin“ bunter
Götterspeise für umgerechnet 13 Cents pro Plastikschlauch die Schulden
ihrer Eltern abbezahlte. Von zwei 11 und 12 Jahre alten Jungen, die
Autofahrern bei Rot etwas vorjonglierten, bis ihr vier Jahre alter Bruder
nicht mehr am Straßenrand warten wollte und loslief, als die Ampel auf grün
umschaltete – und überfahren wurde. Oder von einem zehnjährigen Hirten auf
dem Land, der sich den Strick umband, an dem er eine Kuh führte. Als ein
Blitz einschlug, rannte die Kuh los, der Junge starb. Bis sich das Gefühl
Bahn bricht und sich Abregos Augen mit Tränen füllen. Wenn sie erzählt,
wirkt es, als gäbe es nicht viel anderes in ihrem Leben.
Abrego haderte lange mit sich, ob sie es gut findet, wenn die Gesetze
gelockert und damit die Lebenswirklichkeiten der Kinder rechtlich anerkannt
würden. Boliviens „Ley 548“, Gesetz 548, von 2014 verfolgte dieses Ziel. Es
erlaubte Kindern zwischen 10 und 14 Jahren nach einer offiziellen
Genehmigung selbständig und 12 bis 14-Jährigen, für einen Arbeitgeber zu
arbeiten. Davon ausgenommen „gefährliche Arbeiten“, wie Bergbau oder
Zuckerrohrernte. Den 12- bis 14-Jährigen garantierte das Gesetz damit auch
ein Recht auf einen Arbeitsvertrag, geregelte Arbeitszeiten, den
gesetzlichen Mindestlohn. Doch das UN-Kinderhilfswerk Unicef und die ILO
reagierten mit scharfer Kritik, denn Bolivien verstieß damit gegen zwei
ratifizierte ILO-Konventionen. Sie verbieten die Arbeit von Kindern unter
14 Jahren unter allen Umständen.
Evo Morales wiederum erinnerte daran, dass er als Kind selbst Lamas gehütet
habe. Er begründete die Gesetzesänderung auch damit, dass die Arbeit von
Kindern Teil der kulturellen Identität seines Landes sei und ihnen „soziale
Verantwortung“ beibringe. Für Abrego hat die Sache einen ideologischen
Beigeschmack: Morales habe unter dem Deckmantel der Kultur seine
Ressentiments gegen den Einfluss internationaler Organisationen geschürt,
sagt sie.
Doch was für Abrego noch mehr wog, waren die Gespräche mit den Kindern. Sie
stellte ihnen die Gretchen-Frage: „Und wenn du einmal Kinder hast, werden
sie auch arbeiten gehen, wie du?“ Die Antwort sei immer Nein. Für Abrego
der klare Beweis dafür, dass die Kinder litten. Auch jene, die behaupteten,
sie arbeiteten freiwillig und gern. Also entschied Abrego: Arbeitenden
Kindern sei mit mehr Rechten nicht geholfen, denn sie würden ausgebeutet,
Punkt. Sie schlage ihnen auch jene Wünsche ab, die sie in ihrer Arbeit
hielten, wie zum Beispiel einen neuen Schuhputzkasten. Wenn andere NGOs das
machten, fein. Aber sie müsse da konsequent sein.
„No al trabajo infantil“, Nein zur Kinderarbeit: Damit liegen Abrego und
ihre NGO auf einer Linie mit Unicef und der ILO. Und sie gewannen den
Streit für sich: Als ausgerechnet die USA damit drohten, dem Land
Zollvorteile zu entziehen, nahm die Regierung das Gesetz im Dezember 2018
schließlich zurück. Die USA sind das einzige Land der Weltgemeinschaft, das
die UN-Kinderrrechtskonvention bis heute nicht unterzeichnet hat.
Alles beim Alten, alles gut? Für die Kinder änderten neue Bestimmungen
ohnehin nicht viel, sagt Abrego. „Das größte Problem hier ist, dass die
Gesetze nicht angewendet werden.“ Von 2014 bis Ende 2018, während die
Sonderregelungen für 10- bis 14-Jährige galten, hätten die
Rechtsschutzstellen keine einzige der vorgesehenen Arbeitsgenehmigung für
Kinder unter 14 Jahren ausgestellt. Stichprobenartig gebe es hier und da
Kontrollen, vor allem in den Städten und nach 22 Uhr. Dann ließen sich die
Hüter_innen der Ordnung von den Kindern zu ihren Eltern führen, und die
bekämen eine Abmahnung. Selten würden die Kinder oder Jugendlichen aus
ihren Familien herausgenommen. Das sei auch besser so, sagt Abrego. In den
Kinderheimen seien die Kinder selten besser aufgehoben.
## Kampf um Anerkennung
Elizabeth Muñoz stimmt Abrego in diesem Punkt zu. 47 Jahre alt, eine
zierliche Frau mit weicher Stimme und durchdringendem Blick. Seit sechs
Jahren leitet die Juristin das „Haus der Freunde“ des Zentrums für
arbeitende Minderjährige, CIMET. Ein eingeschossiger Bau, eingeklemmt
zwischen einem Bolz- und einem Spielplatz im Zentrum von Sucre.
Und auch hierin sind sich die beiden Frauen einig: „Bildung ist der einzige
Weg aus dem Teufelskreis der Armut“. Das Problem, so Muñoz: „Viele Eltern,
die selbst kaum zur Schule gegangen sind, sehen in ihrer Not vor allem das
Hier und Jetzt. Arbeit, auch die der Kinder, bringt Geld, heute, für den
Bus nach Hause, für das Abendessen, für die nächste Miete. Die Schule aber
mit ihren Heften, Stiften und Büchern frisst dieses Geld wieder auf.“ Es
ist eine Abwägung zwischen akutem Hunger und einem Wohlstand, der für sie
in weiter Ferne liegt.
Muñoz erzählt, manchmal kämen verzweifelte Kinder zu ihr, weil sie nicht
genug Geld verdient hatten und fürchteten, zu Hause mit Schlägen dafür
büßen zu müssen. Dann suchen sie und ihre Mitarbeiter_innen das Gespräch
mit den Eltern. Oder Muñoz hilft mit ihrer Expertise als Anwältin, den Fall
vor Gericht zu bringen, gratis.
Und doch tun sich zwischen Abrego und Muñoz zwei Welten auf: Die eine, in
der Kinder durch Verbote geschützt werden. Die andere, in denen ihnen
ebenjene schaden. Muñoz sagt: „Ein Verbot bringt niemandem etwas. Wir
müssen die Kinder unterstützen, ihnen etwas von ihrer Last abnehmen.“ Das
CIMET, finanziert vom katholischen Trinitarier-Orden und einer deutschen
Partnerökumene, hilft deshalb mit dem Nötigsten aus, auch materiell. Ein
neues Stipendienprogramm soll den Ehrgeizigsten in Zukunft ein Studium
finanzieren. Ob und wie sie vorher neben der Schule arbeiten, spielt keine
Rolle.
Man könnte sagen, Muñoz springt dort ein, wo der Staat versagt. Tahí Abrego
aber findet, Einrichtungen wie das CIMET erhielten die Missstände aufrecht.
Muñoz ist enttäuscht über den Rückzieher der Regierung. Sie sagt, das
Gesetz 548 von 2014 hätte zum Schutz der Kinder beitragen können, indem es
die Realität, in der sie nun mal lebten, anerkannte, anstatt sie zu
kriminalisieren und gesellschaftlich auszugrenzen.
## Beten für Bakschisch
Das CIMET hat vor allem eine Zielgruppe: Friedhofskinder. Andrés Chavez, 13
Jahre alt, ist eines dieser Kinder. An einem Dienstagmittag stolpert er in
seiner Schuluniform in den Speisesaal des Projekts. Er schiebt einen
symbolischen Boliviano, 13 Cents, über den Tisch, nimmt sich eine Schüssel
von der Anrichte und schlürft eilig seine Nudelsuppe. Als er aufgegessen
hat, hastet er aus dem Raum und kommt wenig später in einem abgewetzten
Trainingsanzug zurück. Aber Andrés geht nicht auf den Bolzplatz nebenan, er
geht Gräber pflegen und Gebete sprechen.
Um die Ecke liegt der Zentralfriedhof von Sucre. Ein Ruhepol in der Hektik
einer lateinamerikanischen Großstadt, bewaldet von 293 Zypressen, die wie
Wachtürme seit 1892 um ein Labyrinth aus unzähligen Kolumbarien und
Mausoleen herum stehen. Es ist zehn vor drei. Der Friedhof hat seine Siesta
vor 50 Minuten beendet und seine Pforten wieder geöffnet. Andrés bleiben
zwei Stunden und vierzig Minuten, um so viel Geld wie möglich zu machen. Er
postiert sich am Seiteneingang, wo schon ein paar andere Mädchen stehen.
„Sie haben mich beim Beten erwischt, da musste ich blechen“, erzählt er von
seinem ersten Tag auf dem Friedhof im August 2019. Sie, das sind die
anderen Friedhofskinder, deren Vorgänger_innen vor 23 Jahren anfingen sich
zu organisieren. Seitdem regeln sie ihre Angelegenheiten in einem eigenen
Gremium, das von der Stadtverwaltung unabhängig ist. Das oberste Gebot: Auf
dem Friedhof darf nur arbeiten, wer auch angemeldet ist. Die Gebühr: 50
Bolivianos, umgerechnet 6,60 Euro. Das Geld hatte Andrés selbst
zusammengespart. Mit den Erlösen aus seinem vorherigen Job als
Autoscheibenwischer. Wenn Andrés betet, dann betet er nicht für sich,
sondern für trauernde Fremde. Kniend, mit zusammengefalteten Händen, vor
einem toten Fremden. Dafür gibt es 5 Bolivianos, 66 Cents. Dreimal „Ave
Maria“, dreimal „Vater Unser“, dreimal „Gloria, Ehre sei Gott in der H�…
Andrés steht kerzengerade im Torbogen des Eingangs, eine Frau mit einem
Bund Schleierkraut in der Hand nähert sich dem Eingang. „Treppen?“,
„Treppen?“, „beten?“, „beten?“, rufen Andrés und die Mädchen durc…
Die Kundin geht an Andrés. Er sprintet los und holt eine der Holzleitern,
die an einer Zypresse lehnen. Die kleine, untersetzte Frau tippelt
hinterher. An Grab 130 angekommen, stellt Andrés um auf Autopilot: Leiter
ansetzen, hochklettern, Türchen öffnen, verwelkte Nelken raus, wieder
runter, schnell zur Wasserstelle und – die Zunge fest zwischen die Lippen
geklemmt – Vase auswaschen. Die Frau schaut Andrés mit liebevollem Blick zu
und sagt: „Wie gut, dass die Kinder hier arbeiten. So bleiben sie nicht auf
irgendwelchen Drogen hängen, wie in anderen Ländern.“ Andrés stopft das
Schleierkraut in die Vase, Leiter wieder hoch, Türchen zu, fertig. 4
Bolivianos, bitte, 53 Cents.
Zurück am Friedhofstor, steht nur noch eines der Mädchen dort. Außer Atem
fragt Andrés: „Und? Wie viel hast du schon gemacht?“ Sie verzieht die
Mundwinkel, „Erst 15 Bolivianos“, „Und du?“ Aber Andrés ist schon wied…
vorgerannt und ruft: „Treppe? Beten?“
## Zwischen Aktivismus und Verdrossenheit
Das Gremium der Friedhofskinder ist nicht die einzige von Kindern und
Jugendlichen geführte Organisation. Schon in den 1970er Jahren gründeten
sich in einigen Ländern Südamerikas Kindergewerkschaften. Die Bewegung
„Pro-NATs“, Pro-Kinder und Jugendliche in Arbeit, ist der Gegenspieler der
UN-Kinderschutzgremien mit ihrer „Nein zur Kinderarbeit“-Kampagne. Aus ihr
wurde 2000 die [3][nationale Gewerkschaft UNATSBO] geboren. Anfang der
2010er Jahre zählte sie zehntausende Kinder und Jugendliche.
Daniela Rodriguez erinnert sich gern an diese Zeit zurück. 18 Jahre, Vans,
rosa Jacke, rosa Fingernägel, fünf fach gepiercte Ohren. Auch sie ist ein
Friedhofskind und Vizepräsidentin der Kindergewerkschaft FEDNAYJTS in
Sucre. Damals, mit 12 Jahren, sei sie als Abgesandte des Friedhofsgremiums
in die Hauptstadt La Paz zum Gewerkschaftskongress der UNATSBO gereist.
„Das war unsere beste Zeit“, sagt sie mit einem Anflug von Wehmut.
Denn der Streit der Erwachsenen färbte schon bald auf die Heranwachsenden
ab. Im selben Jahr zerbrach die UNATSBO über der Frage, wie viel Einfluss
von außen sie zulassen wolle. Ein Teil der Gewerkschaft ergriff die Hände
wohlwollender Organisationen aus dem Ausland, ein anderer verweigerte sich
ihnen. In einem von ihnen auf Facebook veröffentlichtem Statut heißt es:
„Herrschaften der ILO, kommen Sie von ihrem Ego runter“, und: „Bolivien i…
nicht Europa.“
Daniela sagt, die Bewegung werde auch in ihrer Stadt immer schwächer.
Schuld daran sei ein ehemaliger Präsident der Kindergewerkschaft von Sucre.
Er habe ein paar von der Stadt gespendete Computer veruntreut, und die
jungen Gewerkschaftsmitglieder dazu gezwungen, bei einer Demonstration der
MAS-Partei von Evo Morales mitzulaufen. Die Kinder und Jugendlichen sind
längst selbst zum Politikum geworden. Doch viele wollten das Spiel der
Erwachsenen nicht mitspielen, sagt sie.
Daniela hat mit Bestnoten ihren Schulabschluss gemacht und studiert seit
ein paar Monaten Erdöltechnik. Von CIMET bekommt sie ein Stipendium.
Grabpfleger Andrés weiß, dass er nach aktueller Gesetzeslage mit seinen 13
Jahren eigentlich nicht arbeiten darf. Aber es ist ihm egal, weil sein
größter Wunsch ist, „mal wer zu werden“.
Edgar, das Klinkerkind, am Stadtrand von Sucre, zuckt mit den Schultern,
als er gefragt wird, ob er dieses Jahr zur Schule geht. Und er zuckt mit
den Schultern bei der Frage, was er über seine Rechte weiß. Was Edgar aber
sicher weiß, ist, dass in seinem Ofen 20.0000 Lehmziegel auf ihn warten,
die er möglichst schnell verkaufen muss.
## Die Folgen der Coronakrise
Die Pandemie hat für sie alle die Lage verändert. Für Andrés und Daniela
bedeutet die Krise, dass sie nicht mehr arbeiten gehen können. Der Friedhof
ist geschlossen und auch ihre Anlaufstelle CIMET darf nicht öffnen. Um den
Kontakt zu den Kindern nicht zu verlieren, rufen die Leiterin Elizabeth
Muñoz und ihre Mitarbeiter_innen des CIMET regelmäßig an. Doch nicht alle
Kinder und Jugendliche haben ein Handy oder das Geld für Guthaben. Und
Muñoz sagt: „Es macht einen großen Unterschied, ob man den Kindern in die
Augen schauen kann oder nicht, wenn sie behaupten, es gehe ihnen gut.“
Aber die Pandemie hat auch neue Bündnisse geschaffen: Tahí Abrego von der
NGO „Realidades“ und Elizabeth Muñoz haben gemeinsam mit anderen
kirchlichen und staatlichen Institutionen eine Kampagne gestartet und
Spenden von umgerechnet 3.000 Euro eingeholt. Sie kauften davon
Nahrungsmittel wie Reis, Zucker, Mehl, schnürten Pakete und fuhren sie an
193 Familien in Sucre aus, deren Kinder normalerweise arbeiten gehen
würden. Zuletzt sind die Fallzahlen in der Stadt wieder gestiegen. „Was
bleibt uns mehr als zu hoffen?“, sagt Muñoz.
11 Jun 2020
## LINKS
[1] /Weltkonferenz-gegen-Kinderarbeit/!5461135
[2] /Kinderarbeit-in-Bolivien/!5038449
[3] /Gesetzentwurf-zu-Kinderarbeit-in-Bolivien/!5105829
## AUTOREN
Nora Belghaus
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