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# taz.de -- Corona und die Pharmaindustrie: Von Impfstoffen und Patenten
> In der Pharmaindustrie herrscht Marktwirtschaft. Besser für die
> Gesundheit weltweit wäre ein Health Impact Fund.
Bild: Forschung nach einem Impfstoff bei der Tübinger Firma CureVac
Bei einer internationalen Geberkonferenz Anfang Mai sammelte die
EU-Kommission 7,4 Milliarden Euro für die Suche nach Medikamenten und
Impfstoffen gegen das Coronavirus ein. Bereits im März hatte die
Europäische Kommission dem Tübinger [1][Unternehmen CureVac] 80 Millionen
Euro an finanzieller Unterstützung für die Entwicklung und Herstellung
eines Impfstoffs angeboten.
Auch außerhalb Europas laufen die [2][Forschungen auf Hochtouren] Das
Pharmazieunternehmen Johnson & Johnson verkündete, mit Unterstützung des
US-amerikanischen Staats eine Milliarde US-Dollar für Forschung,
Entwicklung und klinische Tests eines Impfstoffes bereitzustellen. Der
Grund für diese immensen Ausgaben ist neben der Gesundheit der Menschen die
Wirtschaft, deren Schaden sich bereits auf ein Vielfaches der
Forschungsinvestitionen beläuft.
Krankheiten, die weitaus mehr Opfer kosten als Covid-19, fließen indessen
ungleich weniger Forschungsgelder zu. Das liegt vor allem daran, dass sie
Menschen betreffen, die für die Pharmaindustrie aufgrund ihrer Armut nur
von geringem Interesse sind. So werden beispielsweise nur 0,12 Prozent der
kommerziellen weltweiten Forschungs- und Entwicklungsgelder für Tuberkulose
und Malaria ausgegeben, Krankheiten, an denen jedes Jahr 1,7 Millionen
Menschen sterben – nur eben nicht hier.
Dies hat vor allen Dingen damit zu tun, dass die für die Forschung und
Entwicklung maßgeblichen Einkünfte von Pharmaunternehmen stark von ihren
20-jährigen Patenten abhängig sind. Die dadurch entstehenden Monopole
ermöglichen es den Unternehmen, ihre konkurrenzlosen Produkte weit teurer
auf den Markt zu bringen, als die Herstellungs- und Vertriebskosten es
erfordern.
## Immenser Preisaufschlag
Um nur ein Beispiel hierfür zu nennen: Harvoni, ein hochwirksames
Hepatitis-C-Medikament. Während die Herstellungskosten sich auf geschätzte
68 bis 136 US-Dollar beliefen, wurde es für einen Preis von 94.500
US-Dollar pro zwölfwöchiger Behandlung auf den Markt gebracht. Es handelt
sich um einen tausendfachen Preisaufschlag. Oftmals übertrifft der durch so
einen Aufschlag erwirtschaftete Umsatz weitaus die Ausgaben für Forschung,
Entwicklung, klinische Studien, einschließlich der Medikamente, die nicht
für den Markt zugelassen werden.
Folglich wird nicht nur die Erforschung von Krankheiten finanzschwacher
Gruppen vernachlässigt, sondern oft auch die [3][Entwicklung von
Medikamenten] begünstigt, die wenig therapeutischen Wert haben. Solange es
genug kaufkräftige Kunden gibt, können ähnliche Produkte zuhauf auf den
Markt geworfen werden – selbst wenn sie kaum Wirkung zeigen.
Nur, was lässt sich gegen diese marktinterne Logik tun? Wie können
Pharmafirmen weiterhin bestehen bleiben, ohne sich derart an ihren
zeitweiligen Monopolen zu bereichern? Eine Alternative wäre zum Beispiel
der Health Impact Fund, der unter anderem von dem Philosophen Thomas Pogge
entwickelt wurde. Ein Hersteller könnte sich freiwillig dazu entschließen,
sein Medikament beim Health Impact Fund zu melden. Das Arzneimittel würde
dann abhängig von den Herstellungs- und Vertriebskosten zum
geringstmöglichen Preis verkauft werden.
Allerdings erhielte der Hersteller jährliche Prämien, die sich am
Gesundheitsgewinn messen. Dies würde sogar den Anreiz schaffen, Produkte
noch günstiger zu verkaufen, als es die Herstellungs- und Vertriebskosten
eigentlich zuließen. Nämlich dann, wenn die durch die zusätzlichen Verkäufe
erzielten Gesundheitsgewinnprämien mehr wert sind als das durch den
Preisnachlass verlorene Geld.
Laut Pogge und seinen Kollegen könnten Unternehmen so je nachdem etwa mit
einem Medikament 2,5 bis 3 Milliarden Dollar in zehn Jahren verdienen.
Dabei ist der Vorteil nicht nur, dass mehr Forschung zu den tödlichsten
Krankheiten dieser Welt gefördert werden würden, sondern dass Hersteller
sich dazu veranlasst sähen, ihre Produkte so wirksam wie möglich zu machen.
## Maximaler Gesundheitsgewinn
Denn überspitzt gesagt, kann es einem Unternehmen, das nur für den Verkauf
eines Mittels entlohnt wird, statt für dessen Effektivität, herzlich egal
sein, was das Medikament an- oder ausrichtet. Zudem wäre eine Firma daran
interessiert, seinen Kundenstamm zu erhalten, was ein Fortbestehen der
Krankheit voraussetzt. Würde die Firma hingegen ihr Medikament beim Health
Impact Fund melden, erhielten sie den Hauptertrag durch den maximalen
Gesundheitsgewinn, sprich die Ausrottung der Krankheit.
Die Frage ist nur, wie sich so ein Fonds finanzieren lässt. Das könnte
entweder durch einen Beitrag der Staaten geschehen, der sich nach ihrem
Bruttoinlandsprodukt richtet. Oder durch eine internationale Steuer, etwa
auf Treibhausgasemissionen oder spekulative Finanzaktionen. In reichen
Ländern, die nicht daran teilnähmen, dürften die Produkte teurer verkauft
werden. Dies könnte als Druckmittel dafür dienen, dass Staaten in den Fonds
einsteigen und Pharmazieunternehmen mit ihren Produkten daran teilnehmen.
Unternehmen müssten dann auch nicht mehr um ihre Monopole fürchten, die von
Regierungen durch Zwangslizenzen zerschlagen werden könnten. Zumindest
nicht bei Produkten, die vielen Menschen günstig zum Erwerb angeboten
werden. Und da der Health Impact Fund eine multilaterale Institution ist,
könnte auch kein Staat dem Unternehmen die Gesundheitsprämien abknöpfen.
Wir erfahren gerade am eigenen Leib, wie wichtig es sein kann, dass nach
Medikamenten und Impfstoffen geforscht wird und diese günstig auf den Markt
kommen. Millionen von Menschen ging das vor der Coronakrise nicht anders
und wird es danach auch nicht. Der Health Impact Fund ist eine Alternative.
Und das ist, was wir mehr denn je brauchen: Alternativen.
24 May 2020
## LINKS
[1] /Zugriffsrechte-auf-Corona-Impfstoffe/!5680648
[2] /Suche-nach-Corona-Impfstoff/!5670549
[3] /Impfstoff-Test-in-Deutschland/!5680533
## AUTOREN
Krisha Kops
## TAGS
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