| # taz.de -- Praxiskollektiv über die Coronapandemie: „Nicht verharmlosen. Re… | |
| > Die Ärzte Michael Kronawitter und Claudius Loga zweifeln die | |
| > Sinnhaftigkeit der Maßnahmen gegen Corona an. Abweichende Meinungen kämen | |
| > zu kurz. | |
| Bild: Corona-Test in Köln: Ist Corona mit Grippeepidemien vergleichbar? | |
| taz: Herr Kronawitter, Herr Loga, am 30. März haben Sie mit dem Aufruf | |
| [1][„Gegen das Diktat der Angst“] die Coronapolitik kritisiert. Heute zeigt | |
| sich ein deutlich günstigerer Verlauf im Vergleich zu anderen Ländern. | |
| Würden Sie den Aufruf heute genauso schreiben? | |
| Michael Kronawitter: Ja. Wir sehen weiter massive Angst bei unseren | |
| PatientInnen, an einem tödlichen Atemwegsinfekt erkrankt zu sein oder | |
| andere anzustecken. | |
| Ist diese Angst nicht berechtigt? | |
| Claudius Loga: An Atemwegserkrankungen können Menschen sterben. Die meisten | |
| aber kommen ohne schwere Schäden über den Infekt hinweg. Es gibt ein | |
| Spektrum von Viren in den Atemwegen, die gefährlich sind. Corona gehört auf | |
| jeden Fall dazu. Das wollen wir nicht verharmlosen, sondern relativieren. | |
| Sie vergleichen Corona mit Grippeepidemien. Wie verträgt sich das mit dem, | |
| was in Italien passiert ist? | |
| Kronawitter: Die Gefahr, an einem Virus zu sterben, gab es schon immer, sie | |
| ist unterschiedlich groß, von Jahr zu Jahr. Wir müssen damit umgehen. Uns | |
| wurde vorgeworfen, Corona mit Influenza zu vergleichen – wie könne man so | |
| etwas nur tun? Die Influenza hat 2018 in Deutschland fast 25.000 Menschen | |
| getötet. Die Grippe 1969/70 hat in England 80.000 Menschen umgebracht. Das | |
| zu sagen, ist keine Verharmlosung, sondern ein Ins-Verhältnis-Setzen der | |
| Gefahren. | |
| Die Übersterblichkeitszahlen, etwa in Italien, zeigen, dass Corona | |
| offensichtlich viel gefährlicher ist. | |
| Loga: Wir haben unsere Kritik formuliert, weil wir den Abwägungsprozess | |
| nicht wahrgenommen haben. Unser Eindruck war, dass mit Angst gearbeitet | |
| wird. Bilder und Zahlen aus Italien wurden immer wiederholt, ohne | |
| relativiert zu werden. Wir fanden, da fehlte was. | |
| Kronawitter: Offensichtlich ist, dass in Norditalien viel mehr Menschen | |
| sterben als anderswo. Das ist dramatisch. Aber was sind die Ursachen dieses | |
| Hotspots? Auch hier muss untersucht werden, ob der Lockdown schädliche | |
| Effekte hatte, die womöglich mehr Menschen töteten. Das kann ich nicht | |
| beantworten. Das werden die nächsten Jahre zeigen. Es gilt aber schon als | |
| Ketzerei, diese Frage zu stellen. | |
| Die Frage wird doch von vielen ungehindert gestellt, etwa von Ihnen. | |
| Kronawitter: Ich sage ja nicht, dass wir in einer Diktatur leben. Aber wir | |
| haben Aggression und Vorwürfe erfahren, wenn wir mit Leuten diskutiert | |
| haben, in vielen Gesprächen mit KollegInnen, PatientInnen und auch | |
| FreundInnen. Das ist nichts Institutionalisiertes, das ist der Diskurs der | |
| Gesellschaft. | |
| Meinungsstreit eben, ganz normal. Wo ist das Problem? | |
| Das Problem ist, dass es nicht um Evidenz geht, sondern um Narrative. Man | |
| ist entweder Verharmloser, Verrückter, Verschwörungstheoretiker oder ein | |
| Rechter. | |
| Es gibt Kritiker vom rechten Rand, die Verschwörungstheorien verbreiten. | |
| Warum sollte man die nicht so nennen? | |
| Eine Verschwörungstheorie muss bestimmte Kriterien erfüllen und dann kann | |
| man sie auch so nennen. Es gibt aber genug rational begründete Kritik von | |
| Experten, die die Zahlen nur anders interpretieren. | |
| Rationale Kritik ist in den letzten Wochen an vielen Stellen gekippt. | |
| Warum? | |
| Abweichende Meinungen kamen am Anfang fast gar nicht zu Wort. Die Menschen | |
| merken, wenn eine Diskussion nicht offen gestaltet wird. Dann haben | |
| Verschwörungstheoretiker leichtes Spiel. Denn manche von denen haben ja | |
| recht, wenn sie sagen, dass bestimmte Informationen in den Medien an den | |
| Rand gedrängt wurden. | |
| Welche Informationen zum Beispiel? | |
| Zum Beispiel wurde sehr viel über das Angst machende Worst-Case-Szenario | |
| gesprochen. Das Best-Case-Szenariao trat nicht wahrnehmbar in Erscheinung. | |
| Und eben die fehlenden Vergleichszahlen zur täglichen normalen | |
| Sterblichkeit – 2.200 Menschen über 65 sterben in Deutschland jeden Tag. | |
| Das gehört für mich zur Aufklärung, die von vielen Medien nicht geleistet | |
| wurde. Stattdessen Alarmismus, Katastrophe, überall die Gefahr, meine | |
| Angehörigen könnten gleich sterben, wenn ich etwas falsch mache. | |
| Sie nennen die Corona-Eindämmungspolitik ein „Diktat der Angst“. Das | |
| impliziert, die Maßnahmen seien undemokratisch dekretiert. | |
| Loga: Erst mal war gemeint, dass die Angst den Menschen Maßnahmen diktiert | |
| hat. Viele – auch Politiker – sind in Starre verfallen, statt | |
| unterschiedliche Maßnahmen zu diskutieren. Das kreiden wir an – und | |
| natürlich, dass die so beschlossenen Maßnahmen durchgesetzt wurden und man | |
| keinen Widerspruch geduldet hat. | |
| Es widersprechen Leute permanent, im Internet, in Medien, auf der Straße. | |
| Kronawitter: Dem linken Initiator der Hygiene-Demo in Berlin, Anselm Lenz, | |
| wurde ein Aufenthaltsverbot erteilt. Das finde ich ganz schön gefährlich. | |
| So etwas schreckt Leute ab, die sich Sorgen machen und deshalb | |
| demonstrieren wollen. Das kann ich nicht kleinreden. Die Einschränkung der | |
| Grundrechte sind keine Kleinigkeit. | |
| Wie hätten Sie sich in der gebotenen Kürze der Zeit eine demokratischere | |
| Aushandlung vorgestellt? | |
| Kronawitter: Je schneller man auf eine Epidemie reagiert, desto besser ist | |
| es. Aber es wurde sehr stark auf die Sicht des Virologen Christian Drosten | |
| und des RKI fokussiert. Man hätte andere Virologen und Epidemiologen mit | |
| abweichender Einschätzung hören müssen, auch Fachleute, die sich etwa mit | |
| Kinderrechten, häuslicher Gewalt, der Lage psychisch Kranker auskennen. Und | |
| muss man Maßnahmen autoritär erzwingen? | |
| Was wäre medizinisch gesehen die Alternative zum Lockdown gewesen? | |
| Loga: Wir sind als Ärzte gehalten, unsere Maßnahmen auf Evidenz zu prüfen. | |
| Das ist beim Lockdown nicht geschehen. | |
| Es wird doch permanent von Wissenschaft und Politik ausgewertet, was der | |
| Lockdown gebracht hat. | |
| Kronawitter: Es gibt noch immer keine ausreichende Evidenz für die | |
| Maßnahmen. Die Nebenwirkungen werden gar nicht erforscht. | |
| Loga: Kontaktverbote haben gesundheitliche Auswirkungen auf unsere | |
| Patient*innen. Berührung und menschliche Nähe, Bewegung sind extrem | |
| wichtig, auch für das Immunsystem. | |
| Kronawitter: Es sind massenhaft Menschen gegen ihren Willen total | |
| vereinsamt. Das ist dramatisch. | |
| Kritik an der Gesundheitspolitik zielte seit März besonders auf die | |
| Corona-Maßnahmen. Die Ökonomisierung des Gesundheitssektors wurde dabei | |
| fast als Nebenwiderspruch thematisiert. | |
| Loga: Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens ist ein Grundübel. | |
| Gesundheit ist keine Ware. Menschliche Medizin braucht viel Personal, Zeit | |
| und Zuwendung. Krankheiten und Naturkatastrophen können immer auftreten. | |
| Dazu sind in normalen Zeiten Überkapazitäten notwendig und müssen | |
| finanziert werden. Also müssen wir die Gesundheitsversorgung | |
| gesellschaftlich wichtiger nehmen und jetzt Ressourcen schaffen. | |
| 20 May 2020 | |
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| Christian Jakob | |
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