# taz.de -- Acker-Besetzung in Hessen: Wo Protest wächst | |
> Seit über einem Jahr halten in Hessen Aktivisten einen Acker besetzt. Sie | |
> wollen ein Logistikzentrum verhindern – den Investor haben sie vergrault. | |
Bild: Seit einem Jahr besetzt: Acker in Hessen | |
Göttingen taz | 235 Kilometer sind es bis Gorleben, 328 bis in den | |
Hambacher Forst. Rojava, die halb-autonome Kurdenregion in Nordsyrien, ist | |
von hier aus 3.534 Kilometer entfernt. So jedenfalls steht es auf dem | |
bunten Wegweiser, den jemand am Rand des Besetzer-Dorfes in den Boden | |
gerammt hat. [1][Das Camp auf einem Acker am Ortsrand von Hebenshausen] an | |
der hessisch-niedersächsischen Landesgrenze ist zu einem etwas | |
unübersichtlichen Gewirr von Holzhütten, Bauwagen, Zelten und | |
Gewächshäusern herangewachsen. Ein gutes Jahr ist es her, seitdem eine | |
Gruppe Aktivisten dieses Stück Boden besetzt hat. Sie wollen verhindern, | |
dass auf dem Acker ein 80 Hektar großes Logistikzentrum errichtet wird. | |
Die überwiegend jungen Leute, darunter Studierende aus Witzenhausen und | |
Göttingen, haben mittlerweile eine Feldküche, eine „Spülstraße“, eine | |
Werkstatt und einen Fahrradschuppen gebaut. Und es gibt ein großes | |
Zirkuszelt für Veranstaltungen und Versammlungen. Ein zehn Meter hoher | |
Holzturm überragt die alternative Siedlung. | |
An den Wänden der Hütten fordern Transparente eine Agrarwende und mehr | |
Klimaschutz. Besonders stolz sind sie hier auf einen selbst gebauten | |
Ton-Ofen. „Hier backen wir abends öfter mal Pizza“, erzählt Luca Rosenber… | |
einer der Besetzer. | |
Das geplante Logistikzentrum würde wertvollen und allerbesten Ackerboden | |
versiegeln, argumentieren die Besetzer. Die dafür geplante Fläche | |
entspricht rund 100 Fußballfeldern, die mit 16 Meter hohen Hallen für | |
Onlinefirmen und Paketzusteller bebaut werden sollten. Hunderte, wenn nicht | |
Tausende Lastwagen würden dann täglich be- und entladen. „Wir schützen den | |
Acker auch vor der zerstörerischen Privatisierung“, sagt Rosenberg. | |
## Investor ist abgesprungen | |
Bislang ist der Protest erfolgreich. Im Januar beschloss der Rat der | |
hessischen Gemeinde Neu-Eichenberg, zu der Hebenshausen zählt, die | |
Planungen für den Logistikpark für ein halbes Jahr auf Eis zu legen. Kurz | |
zuvor war der Investor, die Dietz AG aus Südhessen, abgesprungen. | |
„Das Projekt in Neu-Eichenberg betrachten wir (...) für uns als beendet und | |
stehen hier nicht mehr zur Verfügung“, schreibt das Unternehmen. Und | |
weiter: „Maßnahmen der Verfahrensgegner haben dazu beigetragen, dass der | |
Standort für den potenziellen Nutzerkreis – um es positiv zu formulieren – | |
enorm an Attraktivität eingebüßt hat.“ | |
„Widerstand lohnt sich also“, sagt Aktivistin Ida Bauer. Anfangs von den | |
Nachbarn in Hebenshausen kritisch beäugt und von einigen sogar beschimpft, | |
bekämen die Besetzer aus dem Dorf inzwischen vielfach Unterstützung. „Wir | |
bekommen Lebensmittel geschenkt und umsonst Holz geliefert“, sagt Bauer. | |
„Von anderen Anwohnern kriegen wir Strom und Wasser.“ | |
Die Aktivisten revanchieren sich mit „Mitmach-Tagen“: Nachbarn können den | |
Acker nutzen, um selbst Lebensmittel anzubauen. | |
Neben den Besetzern ist vor Ort schon länger die [2][„Bürgerinitiative für | |
ein lebenswertes Neu-Eichenberg“] gegen das Logistikzentrum aktiv. Sie | |
setzt vor allem auf Arbeit in den Gremien, Petitionen und klassische | |
Öffentlichkeitsarbeit. „Wir ergänzen uns sehr gut“, findet Bauer. Die BI | |
habe in den vergangenen Jahren viel erreicht, „dann kamen wir und haben den | |
Protest auf eine neue Stufe gehoben“. | |
## Plan für eine agrarökologische Alternative | |
Gewonnen ist der Kampf allerdings noch längst nicht. Aber das Moratorium | |
bietet eine Chance, ernsthaft nach Alternativen für die Nutzung des Ackers | |
zu suchen. Über zwei Ideen hat der Gemeinderat bereits kurz beraten. Eine | |
sieht den Bau eines Solar-Parks vor. Der durch Photovoltaik erzeugte Strom | |
würde vor Ort gespeichert, entstehende Abwärme zu Heizzwecken genutzt. Bei | |
den Besetzern stößt das auf Ablehnung. | |
„Auch dieser Vorschlag sieht ein 15 Hektar großes Gewerbegebiet inklusive | |
Bodenversiegelung vor“, sagt Bauer. Außerdem werde das Land privatisiert: | |
„Grüner Kapitalismus ist keine Alternative.“ | |
Dem gegenüber steht das Konzept der Initiative „Land schafft Zukunft“, in | |
der sich Studierende mit Praktikern aus Landwirtschaft und Gartenbau | |
zusammengeschlossen haben, um eine agrarökologische Alternative für die 80 | |
Hektar zu entwerfen: Das Modell vereint nachhaltige Landwirtschaft, | |
ländliche Entwicklung, Wohnen, Bildung sowie Umweltschutz. Durch ein | |
Nebeneinander von Baumpflanzungen, Gemüseanbau und Saatgutproduktion bliebe | |
die Bodenqualität erhalten. | |
„Das entspricht inhaltlich dem, was wir hier schon betreiben“, sagt Ida auf | |
einem Rundgang durch die von den Besetzern angelegten Beete. In langen | |
Reihen haben sie Mais, Bohnen, Kürbisse, Erbsen und Möhren gesät, | |
Kartoffeln und Zwiebeln gesetzt. „Wir bewirtschaften hier insgesamt 0,7 | |
Hektar“, erzählt eine junge Frau, die mit Spaten und Hacke in der braunen | |
Erde buddelt. | |
Die Situation ist in der Schwebe, im weiteren Verfahren mischen viele | |
Beteiligte mit. Der Acker gehört dem Land Hessen, vermarktet wird die | |
Fläche nebst zugehöriger Domäne von der Hessischen Landgesellschaft (HLG). | |
Ob diese ihre Bemühungen in der Planungspause weitertreibt, ist unklar. | |
Die HLG hat auch die bisherigen Planungskosten in Höhe von rund 1,5 | |
Millionen Euro bezahlt. Sollte es nichts werden mit dem Logistik-Park, | |
könnte die HLG das Geld zurückfordern, befürchtet die Gemeinde. Sie ist für | |
den Bebauungsplan zuständig – und muss letztendlich die Entscheidung | |
treffen. | |
## Herrschaftsfreier Raum | |
Die Besetzer wollen auf jeden Fall bleiben. Neben dem politischen | |
Widerstand leben sie hier ein Stück weit ihren Traum von einem anderen | |
Zusammenleben, einem anderen, kollektiven Wirtschaften. „Wir versuchen, | |
hier einen herrschaftsfreien Raum zu schaffen“, sagt Rosenberg. „Einen | |
selbst organisierten Ort, der von der Offenheit lebt.“ | |
Unterstützung sei jederzeit willkommen, jede und jeder könne sich im | |
Protestcamp einbringen mit Ideen und Projekten. „Wir haben sogar Internet | |
hier“, sagt Rosenberg dann noch. „Man kann hier also auch Homeoffice | |
machen.“ | |
17 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Besetzung-von-nordhessischem-Acker/!5590080/ | |
[2] https://neb-bleibt-ok.de/worum-gehts/ | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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