# taz.de -- Die steile These: Feminismus macht Männer besser | |
> Männer, die sich für emanzipiert halten, können mit Verwunderung | |
> feststellen, dass sie nicht gegen Sexismus gefeit sind. So wie unser | |
> Autor. | |
Bild: Jedes Geschlecht sollte sich schminken, Fußball spielen, Geld verdienen … | |
Zuletzt hielt die Beziehung nur noch wegen der Kinder. Bis zu diesem Punkt | |
hatte ich gedacht, dass ich und alle um mich herum emanzipiert seien. Alle | |
waren immer sehr betroffen, wenn sie von sexistischen Übergriffen hörten, | |
aber das war ja nicht unsere Welt; wir sind emanzipiert. Ich war | |
überrascht, als ich merkte, dass wir selbst blöde Sexist*innen waren. | |
„Wenn die Trennung kommt, fühlt sich der Deal, mit dem alle vorher so | |
wahnsinnig zufrieden waren, rückwirkend nicht mehr ganz so perfekt an“, | |
schreiben die Autorinnen Heike Blümner und Laura Ewert [1][in ihrem | |
Trennungsratgeber „Schluss jetzt“]. Ich hatte die klassische Rolle als | |
Familienversorger nie gewollt, war aber nach und nach in etwas Ähnliches | |
hineingerutscht. Vielleicht auch, weil meine damalige Partnerin sich ihre | |
Rolle als aufopferungsvolle Mutter zum Lebensinhalt gemacht und ich es als | |
Kind gelernt hatte, mir Dinge von Frauen abnehmen zu lassen. Wir erfüllten | |
unsere klassischen Geschlechterrollen ganz gut. Bis es nicht mehr ging. | |
Dann kam der Familienrichter und beschloss, dass die Kinder aus genau | |
diesem Grund mehr bei ihrer Mutter als bei mir leben sollten. Die fand | |
sowieso, die Kleinen würden zu ihr gehören, weil sie in ihrem Bauch | |
herangereift sind. | |
Eine Mediatorin des Jugendamts schlug vor, dass ich doch alle zwei Wochen | |
am Wochenende Spaß mit den Kindern haben und die Mutter sich den Rest der | |
Zeit um sie kümmern könne. Mein Vater gratulierte mir, ich hätte jetzt | |
endlich mehr Zeit für Männersachen. Sexistische Erwartungshaltungen | |
regneten nur so hernieder. | |
## Aber was hilft gegen Sexismus? | |
Ich lief zur feministischsten Freundin, die mir einfiel, um herauszufinden, | |
wie es so weit kommen konnte. Breitbeinig warf ich mich in ihren Sessel und | |
verlangte: „Erklär mir Feminismus.“ | |
Sie wollte nicht mit mir reden, ich sei ihr zu cis-männlich, sagte sie. Ich | |
verstand das erst nicht. „Cisgender“ bedeutet, dass die | |
Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht | |
übereinstimmt. Ich lernte aber, dass der Begriff in sozialen Medien | |
kampfrhetorisch auch für „rollenkonform“ oder „macho“ verwendet wird. … | |
traf es: Ich hatte nicht das Recht, in feinster Sexistenart davon | |
auszugehen, dass sie sich freuen müsste, mir den Feminismus zu erklären. | |
Es folgte der Besuch einer Vorführung von Lizzie Bordens Film [2][„Born in | |
Flames“]; eine tolle Abrechnung mit dem Patriarchat, aber ziemlich harter | |
Tobak. Im Saal fast nur Frauen, gefühlt ausschließlich Feministinnen. Und | |
ich. Nirgendwo ein roter Teppich. | |
Über mir saßen Leute auf einer Galerie. Plötzlich kippte jemand ein Glas | |
Rotwein um. Auf meinen Kopf. Der Wein rann mir übers Gesicht wie blutige | |
Tränen eines ängstlichen, alten weißen Mannes. Alle lachten. Für einen | |
Moment musste ich mit dem Impuls kämpfen, das als Angriff zu verstehen. | |
Dann lachte ich mit. Wer anfängt, sich für etwas Selbstverständliches wie | |
Gleichberechtigung zu engagieren, sollte nicht den Fehler machen, | |
Dankbarkeit zu erwarten. | |
## Die erste Lektion | |
Die erste große Offenbarung war, dass Sexismus nicht nur ein bisschen | |
Ungleichheit und Diskriminierung zwischen den Geschlechtern ist, sondern in | |
vielen Facetten tief in alle gesellschaftspolitischen Strukturen | |
hineingreift und schon seit Jahrhunderten eine feste Säule unserer und | |
anderer Gesellschaften ist, die von Generation zu Generation tradiert wird. | |
Sexismus betrifft alle Geschlechter. Nur wird Unterdrückung deutlicher | |
wahrgenommen, wenn man schlechter bezahlt wird und regelmäßig körperlichen | |
und psychischen Übergriffen ausgesetzt ist, wie es bei sehr vielen Frauen | |
der Fall ist. Im Gegensatz dazu lediglich verdammt zu sein, Fußball zu | |
gucken, sich um den Grill zu kümmern und Bierflaschen mit einem Feuerzeug | |
zu öffnen und überhaupt Bier zu mögen, ist ein Pipifax, der es nicht | |
unbedingt notwendig erscheinen lässt, sich mit sexistischen | |
Rollenzuschreibungen zu beschäftigen. | |
Männer sind Nutznießer und Erfüllungsgehilfen des Patriarchats, aber | |
sexistische Mechanismen richten sich natürlich auch gegen sie. Nicht nur in | |
Trennungssituationen. Sondern immer dann, wenn sie etwas tun möchten, das | |
nicht den Erwartungen entspricht, die die sexistische Gesellschaft an sie | |
stellt. Wenn sie beispielsweise, wie ich, als Junge Ballett tanzen wollen, | |
dann aber von ihren Freunden ausgelacht und „du Sissi“ oder „schwul“ | |
genannt werden, weil Sexismus und Homophobie nah beieinander liegen. | |
Sollten sie gar tatsächlich homo- oder bisexuelle Neigungen haben, bekommen | |
sie zu spüren, nicht richtig, nicht „männlich“ zu sein. Auch wenn sie | |
einfach nur mal heulen „wie Mädchen“, ist das so. | |
Oder wenn sie aufgrund ihrer auf körperliche Auseinandersetzungen | |
getrimmten Erziehung zum Militär gehen und es, weil es zum Mannsein gehört, | |
nicht hinterfragen, dass sie als Kanonenfutter dienen. | |
In Gesprächen im Bekanntenkreis hörte ich die immer gleichen Entgegnungen: | |
„Was ist falsch daran, mich rollenkonservativ zu verhalten? – Wir sind nun | |
mal unterschiedlich. – Es sind die Gene. – Es liegt in der Biologie der | |
Frauen, empathisch zu sein, Kinder zu bekommen, und in der der Männer, den | |
Wettkampf und die Baumärkte zu lieben, stark zu sein und die Familie zu | |
versorgen. – Wieso willst du uns gleichmachen? – Ich möchte männlich | |
bleiben.“ | |
## Die zweite Lektion | |
Mit einer Freundin sprach ich lange über Flirtsituationen. Wir | |
dekonstruierten unser geschlechtstypisches Verhalten, indem wir uns | |
vorstellten, wir würden es über Bord werfen. Am Ende hatte sie nackte Panik | |
in den Augen: „Aber wenn ich mich nicht mehr schminke, lasziv bewege und | |
sexy Zeug anziehe, fühle ich mich nicht mehr als Frau.“ | |
In allen Diskussionen schien das Hinterfragen des eigenen Rollenbilds große | |
irrationale Angst auszulösen: vor dem scheinbar drohenden Verlust der | |
eigenen sexuellen Identität und der vermeintlichen Sicherheit, die falsche | |
Rollenbilder und andere autoritäre Strukturen geben können. | |
Rollenverhalten ist, belegt durch zahlreiche Studien, nur zu einem sehr | |
kleinen Teil [3][biologisch oder genetisch bedingt] und zu einem sehr | |
großen durch gesellschaftliche Erwartungen. Feministinnen geht es darum, | |
diese zu reflektieren und sie schlicht nicht zu erfüllen, falls sie die | |
eigene Freiheit oder die eines anderen einschränken. Niemand kann dadurch | |
Männlichkeit oder Weiblichkeit verlieren. Jedes Geschlecht sollte sich | |
schminken, Fußball spielen, Geld verdienen oder Kinder erziehen dürfen. | |
## Die dritte Lektion | |
Meine frühere Unlust, das eigene Verhalten infrage zu stellen, ließ sich | |
leicht erklären: Wenn es sich in der eigenen Rolle gemütlich und | |
gesellschaftlich akzeptiert lebt, scheut man die Anstrengung, alles | |
umzukrempeln, so lange, bis einem das Ganze auf die Füße fällt. | |
Der Kampf zwischen den Geschlechtern tobt und treibt vor allem Männer | |
zuhauf zu unreflektierten Abwehrreaktionen, die laut [4][dem | |
psychologischen Lexikon des Magazins Spektrum Psychologie] dazu dienen, | |
„die durch Signaleffekte wie Angst, Scham oder Schuld ausgelöste Unlust | |
abzuwehren beziehungsweise unlustvolle Affekte zu vermeiden“. | |
Ein weiterer Grund, warum viele in Bezug auf ihre Selbstwahrnehmung | |
zurückgeblieben sind: Männern fehlt eine feministische Männerbewegung. Die | |
öffentliche Diskussion, inklusive #MeToo und Frauenquotenforderungen, wird | |
häufig auf einer oberflächlichen Geschlechterkampfebene ausgetragen. Aber | |
selbst wenn die Debatte zu selten die tief liegenden sozialen Ursachen | |
rational behandelt, wird der Handlungsdruck auf die Gesellschaft erhöht, | |
und das bewirkt notfalls auch ohne breite Männerbeteiligung weitere | |
Fortschritte bei der Gleichberechtigung. | |
## Die vierte Lektion | |
Das Ende meiner Beziehung war ein Neubeginn. Seit sechs Jahren arbeite ich | |
daran, den eigenen Sexismus abzuschütteln. Die soziale Prägung sitzt tief. | |
Unterdrückte Neigungen zu weiblich konnotiertem Handeln, mehr Empathie, | |
reflexartige Sexismusabwehr und rollenneutrale Erziehung – bei der man | |
schnell ausgerechnet die Jungs vergisst – entwickeln sich nur schrittweise. | |
Feminismus ist am Ende humanistisch. Er sensibilisiert für jede Art von | |
Unterdrückung und Machtausbeutung, die anscheinend vielen die einzige | |
Nahrung für ihr Selbstwertgefühl ist. Das gilt für Rassismus, die | |
Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft und darüber hinaus auch für den | |
Umstand, dass Menschen sich andere Spezies untertan machen. Zum Beispiel, | |
um sie zu essen. Feministisch zu leben hat mich nicht nur zufriedener, es | |
hat mich auch zum Vegetarier gemacht. | |
19 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2019-01/schluss-jetzt-heike-bluemner… | |
[2] http://www.lizziebordenborninflames.com/ | |
[3] /Vorurteile-ueber-Frauen/!5098146 | |
[4] https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/abwehrmechanismen/112 | |
## AUTOREN | |
Ulf Schleth | |
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