# taz.de -- Vorurteile über Frauen: Wahr wird, was sie dir erzählen | |
> Frauen können nicht einparken. Solange man ihnen das sagt. Stereotype | |
> beeinflussen unser Handeln, sagt die Psychologin Cordelia Fine. Ihre | |
> Antworten auf elf beliebte Thesen. | |
Bild: Sag ihr, wie sie ist und sie wird es sein. Sagt Cordelia Fine. | |
1. An Klischees über Frauen und Männer glauben nur Minderbemittelte. | |
Die meisten unserer Geschlechterstereotype wirken unbewusst. Man schnappt | |
Assoziationen aus der Umwelt auf. Deshalb ordnen ProbandInnen in | |
Assoziationstests Frauennamen leichter gemeinschaftsorientierten Begriffen | |
(etwa „zusammengehörig“ oder „unterstützend“) zu, Männernamen dagegen | |
individuell handlungsbetonten (etwa „individualistisch“ oder „ehrgeizig�… | |
Man kann diese Assoziationen auch unbewusst beeinflussen: Hat man einen | |
Film über weibliche Actionheldinnen oder eine Präsidentin gezeigt, fällt es | |
den ProbandInnen leichter, die Assoziationen umgekehrt zuzuordnen. | |
2. Männer und Frauen ticken einfach unterschiedlich. | |
Das ist gar nicht so unveränderbar. Ein Test zeigt: Sobald in Männer und | |
Frauen unterschieden wird, die ProbandInnen etwa ihre | |
Geschlechtszugehörigkeit in einem Kästchen ankreuzen mussten, verhielten | |
sie sich stereotyp. Wo der Unterschied keine Rolle spielt, wurde sich | |
weniger stereotyp verhalten. Es kommt, das zeigte eine andere Untersuchung, | |
zum Beispiel auch darauf an, mit wem man sich identifiziert: Die Vorgabe, | |
sich vorzustellen, für einen Tag in die Rolle eines Professors zu | |
schlüpfen, erhöhte die analytischen Fähigkeiten von Männern und Frauen. Die | |
Vorstellung als Cheerleader für einen Tag dagegen verminderte sie. Bei | |
beiden. | |
3. Frauen sind empathiefähiger als Männer, Männer können sich dafür besser | |
räumlich orientieren. | |
Auch da zeigen Tests ein anderes Bild. Frauen sind dann empathisch, wenn | |
sie an Empathie als ihre vermeintliche Fähigkeit erinnert werden. Wenn | |
nicht, sind sie eigentlich wie Männer: mitfühlend, wenn es um die eigene | |
soziale Gruppe geht, eher kalt, wenn es um „die anderen“ geht. Und wenn man | |
ProbandInnen erzählt, dass Männer bei einem Orientierungstest besser | |
abschneiden, dann tun sie es auch. Wenn man sagt, dass Frauen besser | |
abschneiden, sind die Frauen genauso gut wie die Männer. | |
4. Über simple Stereotype sind Frauen erhaben. | |
Diese Annahme verkennt die immens wirkmächtige Kraft der | |
„Stereotypen-Bedrohung“. Ein Beispiel: Zukünftige Ärzte fallen ab und an | |
beim Anblick ihrer ersten Leiche in Ohnmacht. Ärztinnen aber erlauben sich | |
das nicht – weil sie sich vom Stereotyp der zartbesaiteten, ergo | |
ungeeigneten Frau bedroht fühlen. Für derartige Stereotypen-Bedrohung gibt | |
es zahllose Beispiele: Frauen schneiden in Mathetests schlechter ab, wenn | |
sie am Anfang des Tests ihr Geschlecht angeben müssen Auch wenn Frauen | |
während des Tests in der Minderheit sind, rechnen sie schlechter. | |
Die Gruppe spielt ebenfalls eine Rolle: Wenn sie mit bewusst oder unbewusst | |
sexistisch eingestellten anderen Probanden oder Testleitern konfrontiert | |
sind, sitzen sie eher ratlos vor den Aufgaben. Die Sterotypen-Bedrohung | |
kann übrigens nicht nur bei Frauen gemessen werden, sondern auch bei | |
anderen sozialen Gruppen wie Minderheiten oder Ausländer. | |
5. Eine wahre Führungspersönlichkeit lässt sich von solchem Kiki nicht | |
kirre machen. | |
Frauen sind in Männerdomänen, zum Beispiel Chefetagen, meist in der | |
Minderheit. Und da ist die Stereotypen-Bedrohung schon mangels weiblicher | |
Masse groß: Auf Minderheiten wird besonders viel projiziert. Deshalb zeigen | |
die Studien auch: Je einsamer eine Frau in ihrer Umgebung ist, desto | |
schlechter schneidet sie im Mathetest ab. Wenn ihnen als Führungsperson das | |
angeblich egal ist, verschlechtert dies ihre Chancen sogar: Je stärker | |
Frauen die Stereotyp-Bedrohung verdrängen, desto schlechter werden sie im | |
Mathetest. | |
Ohnehin haben es die Führungsfrauen nicht leicht: Oft sind es Frauen mit | |
einem verstärktem Statusdenken. Die Stereotypen-Bedrohung stellt aber immer | |
wieder ihren Status infrage: Gehört sie nicht doch der unterlegenen Gruppe | |
der Frauen an? Die Folge: Stress. | |
6. Viele Frauen wollen gar nicht Chefin werden. | |
Ja, aber warum nicht? Die Beschallung von Frauen mit stereotyper Werbung | |
zum Beispiel vermindert ihren Wunsch, eine Führungsrolle zu übernehmen. | |
Werden Chefs stereotyp männlich dargestellt, wie es oft genug passiert, | |
dann konnten Frauen es sich kaum vorstellen, selbst Chefin zu werden. | |
Betonte man dagegen in der Darstellung von ChefInnen Teamfähigkeit und | |
kommunikative Kompetenzen, wollten Frauen lieber Chefin werden. | |
7. Frauen in Topjobs sind oft ganz schön schwierig. | |
Sie stehen nicht nur in einer permanenten Stereotypen-Bedrohung, sondern | |
geradezu in einem Stereotypen-Sturm: Als sich die fiktiven „Papierpersonen“ | |
Karen Miller und Brian Miller mit identischen Bewerbungen und Lebensläufen | |
um Assistentenstellen für Psychologen an der Uni bewarben, hielten 75 | |
Prozent der Professoren Brian Miller für geeignet, aber weniger als die | |
Hälfte hatten dasselbe Vertrauen zu Karen Miller. | |
Wurde einem Papiermann in seinen Zeugnissen ein „schonungsloser Kritikstil“ | |
bescheinigt, so wurde er weiterhin als „sympathisch“ eingestuft. Im | |
Gegensatz zu der Papierfrau mit exakt dem gleichen Zeugnis, die als weniger | |
geeignet eingestuft wurde. Frauen wurden auch stärker abgelehnt, wenn sie | |
besonders fleißig waren, den Papierfrauen wurden Gehaltserhöhungen öfter | |
verweigert als den Papiermännern. | |
8. Starke Frauen können mit Frauenförderung nichts anfangen. | |
Ja, denn all diese Bedrohungen bleiben nicht ohne Folgen: Frauen, die etwa | |
in Naturwissenschaften gut abschneiden wollen, verleugnen oft einen Teil | |
ihrer Weiblichkeit, um dazuzugehören. Oft eignen sich diese Frauen | |
dezidiert antiweibliche Standpunkte an: Sie finden, dass Frauen oft zu | |
emotional sind. Sie äußern sich abfällig über Frauenförderung, würden | |
niemals auf eine Frauenversammlung gehen. | |
9. Männer sind mathematisch begabter. Das liegt am Testosteron. | |
Alle bisherigen Studien zeigen keinen klaren Zusammenhang zwischen | |
Testosteron und Mathematikfähigkeiten. Wie sollte das Testosteron erklären, | |
dass asiatisch-amerikanische Kinder öfter mathematisch hochbegabt sind als | |
solche mit europäischen Wurzeln? Und was passierte mit dem Testosteron | |
zwischen 1980 und 2005? 1980 kam auf 13 mathematisch hochbegabte Jungen ein | |
hochbegabtes Mädchen. 2005 hatte sich das Verhältnis auf 2,8 Jungen zu | |
einem Mädchen gewandelt. Was aber funktioniert: Wenn man kleinen Jungen und | |
Mädchen erzählt, was sie angeblich besonders gut können, dann werden sie | |
auch eher gut in diesen Disziplinen. | |
10. Männer denken ganz anders, das zeigt die Gehirnforschung. | |
Zuerst musste das kleinere Hirn der Frauen als Erklärung herhalten. Dann | |
ihr stärkerer Verbindungsbalken zwischen den Hirnhälften, das Corpus | |
callosum. Wenn sie kommunizieren, sind andere Hirnteile aktiv als bei | |
Männern. Die Interaktion der Hirnhälften ist höher: Nur weiß kein Mensch, | |
wie das mit konkretem Verhalten der Frauen und Männer zusammenhängt. So | |
zeigten etwa mathematisch begabte Männer ebenfalls eine erhöhte Interaktion | |
der Hirnhälften – die angeblich die emotionale Intelligenz der Frauen | |
belegen sollte. | |
11. Aber an Kindern kann man genau studieren, wie sie nach den stereotypen | |
Sachen gieren. Das muss angeboren sein. | |
Jungen wollen Darth-Vader-Figuren, Mädchen eine Barbie. Jungen wollen | |
Autos, Mädchen einen Kinderherd. Jungen wie Mädchen scheinen nach | |
Stereotypen geradezu zu lechzen. Allerdings tun sie dies nicht im | |
luftleeren Raum: Mütter planen bereits vor der Geburt von ihren Töchtern, | |
wie schön sie sie später anziehen werden. Und Väter erwarten von Söhnen, | |
dass sie mit ihnen Sport treiben werden. Wer von Ihren Verwandten würde | |
Ihrem Sohn eine Puppe schenken? Oder der Tochter einen Spielzeug-Lkw? | |
Nur zwei von 12 Jungen gaben im Test an, ihre Eltern freuten sich, wenn sie | |
mit einer Puppe spielen. Noch ein Hinweis auf ihre Flexibilität: Wenn man | |
ihnen sagt, ein Xylofon ist ein Jungenspielzeug, spielen Jungen dreimal so | |
lang damit, als wenn es als Mädchenspielzeug tituliert wird. Liest man | |
Mädchen Geschichten von untypischen, „wilden“ Mädchen vor, spielen sie | |
danach mit angeblichem Jungsspielzeug. | |
## Alle erwähnten Ergebnisse sind in Cordelia Fines neuem Buch "Die | |
Geschlechterlüge. Die Macht der Vorurteile über Frau und Mann" | |
dokumentiert. Stuttgart 2012 | |
19 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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