| # taz.de -- Schulöffnungen nach Corona: Vom „Geht so“ zum „Geht gar nich… | |
| > Die Kultusminister planen die Öffnung der Schulen. Wie dort der Abstand | |
| > eingehalten werden soll, ist unklar. | |
| Bild: So brav mit Maske und Abstand klappt der Unterricht wohl nur bei den Grö… | |
| Die Kultusministerkonferenz hat wie versprochen ein Konzept [1][zur Öffnung | |
| der Schulen vorgelegt]. Es ist erwartungsgemäß kein detailliert | |
| ausgearbeiteter Fahrplan mit konkreten Daten und präzisem Streckenverlauf. | |
| Das kann es auch nicht sein, da die Öffnung der Schulen wie auch die | |
| Lockerungen in der Gesellschaft unter Vorbehalt der weiteren Entwicklung | |
| der Ansteckungsraten und der Pandemie insgesamt stehen. | |
| Die Politik – das haben die MinisterInnen und die Kanzlerin – oft genug | |
| betont, fährt im Nebel der Pandemie auf Sicht. Dementsprechend tasten sich | |
| auch die Kultusministerinnen vorsichtig vor. Im Beschluss zur Schulöffnung, | |
| den sie am Dienstag verabschiedet haben, ist viel von „sollen“ die Rede. | |
| Dass die Schulen auf unbestimmte Zeit [2][nicht zum regulären Schulbetrieb | |
| zurückkehren werden], steht jedenfalls fest. Aber es soll, so heißt es im | |
| Beschluss der Kultusministerkonferenz, KMK, „bis zu den Sommerferien | |
| möglichst jede Schülerin und jeder Schüler zeitweise die Schule besuchen“. | |
| Abhängig vom Infektionsgeschehen wohlgemerkt. Dabei sollten „pädagogische | |
| Inhalte zum Lernen zu Hause mit dem Präsenzunterricht inhaltlich verbunden | |
| werden“. | |
| SchülerInnen mit Vorerkrankungen sollten von der Teilnahme am | |
| Präsenzunterricht befreit werden. Löblich ist, dass die KultusministerInnen | |
| sich auch der größer werdenden Kluft zwischen SchülerInnen aus | |
| privilegierten und benachteiligten Haushalten bewusst sind und empfehlen, | |
| dass Letztere „gezielt pädagogische Präsenzangebote an den Schulen | |
| erhalten“. | |
| Klar ist: Jede Schule muss einen Hygieneplan haben, regelmäßiges | |
| Händewaschen und ein Sicherheitsabstand von mindestens 1,50 Metern | |
| untereinander sind unabdingbare Voraussetzungen, damit der Schulbetrieb | |
| wieder aufgenommen werden kann. Das Tragen von Masken wird empfohlen, ist | |
| aber kein Muss. | |
| Das stößt auf Kritik seitens des Lehrerverbands, es dürfte aber gerade in | |
| den ersten und zweiten Klassen schwer durchzusetzen sein. Erst recht nach | |
| den Sommerferien, wenn die neuen SchulanfängerInnen eingeschult werden, für | |
| die nicht nur die Schule eine ganz neue, ungewohnte Umgebung ist, sondern | |
| die coronabedingt auch seit mehreren Monaten zu Hause gewesen sein werden. | |
| Wenn sie an ihrem ersten Schultag einer unbekannten Erwachsenen mit | |
| Mund-Nasen-Schutz gegenüberstehen, werden sie wohl erst recht davon | |
| überzeugt sein, dass Schule zum Fürchten ist. | |
| Weitere Schritte haben die KultusministerInnen ebenfalls als | |
| Soll-Empfehlung formuliert. So sollen alle Prüfungen stattfinden – wobei | |
| Berlin bereits ausgeschert ist und die schriftlichen Prüfungen für den | |
| Mittleren Schulabschluss nach Klasse 10 abgesagt hat. | |
| Dass die KultusministerInnen so vorsichtig agieren, hängt aber nicht nur | |
| mit dem unklaren Infektionsgeschehen zusammen. Sondern es ist auch ein | |
| Eingeständnis, dass viele Schulen überhaupt nicht darauf vorbereitet sind, | |
| Unterricht unter den gebotenen Hygienevorschriften für eine größere Zahl | |
| von Schülern anzubieten. Es mangelt an Personal, an Räumen und an | |
| Ausstattung. Die Pandemie und ihre Bewältigung legen die politischen | |
| Versäumnisse der letzten Jahrzehnte schonungslos offen. | |
| Jahrelang haben LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen auf zu kleine Räume, | |
| zu große Klassen und [3][den Mangel an Personal in den Schulen] | |
| hingewiesen. Noch in den ersten Wochen der Corona-Epidemie haben | |
| Elterninitiativen Unterschriften für saubere Schultoiletten und Räume ohne | |
| Staubflocken gesammelt. Noch vor wenigen Monaten wurden all diese Probleme | |
| mit „Geht doch irgendwie“ ausgeblendet, nun offenbaren sie sich als | |
| pandemische „Geht so gar nicht“-Herausforderungen. Es rächt sich, dass | |
| Investitionen in Schulen immer zögernd, immer halbherzig und immer erst | |
| nach langem Leiden getätigt werden. | |
| Um die SchülerInnen nun gemäß den Hygienevorschriften zu beschulen, müssen | |
| Klassen geteilt und auf verschiedene Räume verteilt werden. Sobald die | |
| ersten Jahrgänge stufenweise ab nächster Woche starten, werden schnell alle | |
| Räume belegt und alle verfügbaren LehrerInnen ausgelastet sein. Denn wer, | |
| wenn nicht sie, kann sicherstellen, so die Kultusministerinnen, „dass die | |
| Sitzabstände dauerhaft ausreichend groß sind“. Nicht zu vergessen die | |
| Pausen, wo die LehrerInnen dann zur Security mutieren, die jede Ansammlung | |
| kontaktfreudiger Teenager zerstreuen müssen. | |
| Zumal längst nicht alle LehrerInnen in der Schule einsetzbar sind: Sofern | |
| sie zur Risikogruppe gehören, können sie nur auf freiwilliger Basis vor Ort | |
| eingesetzt werden. Jede zweite Lehrkraft ist über 50 Jahre, 8 Prozent sind | |
| gar über 60 Jahre alt, in manchen Bundesländern noch deutlich mehr. Die | |
| meisten von ihnen sind sicher engagierte und erfahrene LehrerInnen. Aber es | |
| ist nicht die Generation, die das digitale Lernen umarmt und für die | |
| Lernplattformen das Parkett sind, auf dem sie sich trittfest bewegt. Genau | |
| darauf aber setzt die KMK: „Eine Kombination aus Unterricht an der Schule | |
| und eigenständigem Arbeiten zu Hause durch vorbereitete und über digitale | |
| wie analoge Medien vermittelte Lern- und Übungsinhalte ist möglich.“ | |
| Wie die Schulen unter solchen Voraussetzungen dafür sorgen sollen, dass | |
| die, wie die KultusministerInnen eingestehen, „stets erhebliche Zahl der | |
| SchülerInnen, die zu Hause lernt“, „umfassend unterstützt und gefördert | |
| werden soll“, ist schleierhaft. Augenscheinlich auch den PolitikerInnen, | |
| sonst hätten sie ihren Plan konkreter formuliert. | |
| Aber vielleicht birgt diese Krise ja auch eine Chance: So wie derzeit über | |
| eine bessere Bezahlung systemrelevanter Berufe und ein krisenfesteres | |
| Gesundheitssystem debattiert wird, wäre es auch an der Zeit, substanzielle | |
| und nachhaltige Investitionen in die systemrelevantesten Institutionen der | |
| Gesellschaft zu fordern: die Kitas und die Schulen. | |
| 29 Apr 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
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