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# taz.de -- Arbeit in Serie: Schauspielabsolventin: „Wir haben schon jemanden…
> Milena Arne Schedle ist Schauspielabsolventin: Phasen ohne festes
> Engagement gehören zu ihrem Beruf. Festanstellungen scheinen zurzeit
> unerreichbar.
Bild: Sätze wie „Wir haben schon jemanden, der so dein Typ ist“ hat sie sc…
Die Arbeitsorte Präcorona
Wir treffen uns in der Kantine der Berliner Volksbühne. Es ist genau zwei
Stunden vor dem Corona-Shutdown, von dem wir aber jetzt noch nichts wissen.
Bekannte Gesichter gehen an den Tischen ihre Texte durch, im Hintergrund
ertönen Durchsagen der Probendurchläufe aus den Lautsprechern. Milena Arne
Schedle probt gerade für das Projekt einer Regiestudentin und ist im
Gastvertrag für ein Stück an der Volksbühne. Sie hatte anfangs Ehrfurcht
vor der riesigen Bühne hier. „Ich dachte mir: Hört man mich überhaupt?“
Vorsprechen für mögliche Festengagements probt sie sonst in kleinen
schwarzen Probenräumen an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst
Ernst Busch in Mitte. Dort ist sie noch bis September eingeschrieben.
Danach folgt: Arbeitslosigkeit.
An die ohnehin schwer zu kommenden Festengagements ist jetzt gar nicht mehr
zu denken, die Theater sind bis zum Ende der Spielzeit geschlossen. „Es ist
nicht so, als wäre es vorher nicht schon schwer gewesen, aber jetzt werden
sich zum Ende des Jahres die Absolvent*innen doppeln, dazu kommt, dass die
Theater vermutlich aus finanziellen Gründen weniger Festengagements
vergeben werden“, sorgt sich Schedle.
Der Mensch
Milena Arne Schedle, 25 Jahre, freundliches und offenes Lachen. Hört man
ganz genau hin, lässt sich noch ein salzburgerischer Akzent erkennen, dort
ist sie aufgewachsen. Die blonden Haare hat sie hochgebunden, blaue Augen,
dazu Karohemd und Sneaker. Bei Vorsprechen hat sie schon oft Sätze wie den
folgenden gehört: „Wir haben schon jemanden, der so dein Typ ist.“
Schedle schüttelt den Kopf, lacht: „Na klar habt ihr überall schon eine
kleine Blonde, ich muss aber trotzdem irgendwo arbeiten!“ Sie ist Mitglied
beim „Ensemble Netzwerk“, bei „Pro Quote Bühne“ und Teil der „Queer …
Society“. Politisches Engagement und Solidarität statt Egoismus und
Konkurrenz sind ihr auf und hinter der Bühne wichtig.
Wie alles begann
Seit dem ersten Theaterbesuch entschlossen, Schauspielerin zu werden,
spielt Schedle zunächst in Jugendproduktionen am Landestheater Salzburg und
später in Projekten von Regiestudierenden am Mozarteum Salzburg mit. Mit
17, nach der Matura, spricht sie das erste Mal vor. „In Salzburg habe ich
mich nicht beworben, ich musste da ganz dringend raus. Dafür aber so
ziemlich überall sonst an den staatlichen Schulen in Deutschland,
Österreich und der Schweiz.“
18 Vorsprechen und 32 Runden später landet sie mit 21 Jahren in Berlin. Der
Prozess, überhaupt an einen Studienplatz zu kommen, ist zäh, es bewerben
sich an der HfS Ernst Busch an die 900 junge Frauen und Männer auf etwa 20
Plätze. Frauen haben es schwerer, weil sich viel mehr Frauen als Männer
bewerben. Gab es auch Alternativen? „Ich hätte es noch ein Jahr
weiterprobiert. Mir war schon bewusst, dass es jetzt mal Zeit wurde, aber
ich habe mir keinen Plan B überlegt und mir ganz pragmatisch gedacht: Das
funktioniert jetzt!“ Ob sie jetzt an der Entscheidung zweifelt, da dieser
Arbeitsbereich besonders unter den Corona-Eindämmungsmaßnahmen leidet? „Ich
kann nichts anderes tun als das. Ich bewerbe mich, so viel es geht, online,
aber es macht mir schon Angst, wie es ab September werden wird.“
Die Arbeitszeit
Je nach Produktion und Probenphase variiert die Länge ihres Arbeitstags. An
einer Produktion wird ungefähr vier bis acht Wochen gearbeitet, je nach
Theaterhaus und Ressourcen. Die Proben gehen meist von 10 bis 18 Uhr, in
den Endproben auch mal bis Mitternacht. „Dadurch, dass Theater mit so viel
Leidenschaft verbunden ist, hat man erst mal Lust, seine ganze Energie zu
investieren. Trotzdem ist es aber noch ein Job, und ich habe auch ein Recht
auf Pausen“, sagt Schedle.
Das intensive Proben, das tiefe Eintauchen in die Arbeit und das kollektive
Schaffen – hinter dem man dann auch steht – seien aber trotzdem „das
schönste Gefühl auf der Welt“ – auch wenn sie manchmal das Gefühl hat, im
Theaterkosmos zu verschwinden.
Die Bezahlung
Derzeit kommt Schedle mit allen laufenden Projekten auf rund 350 Euro im
Monat. Ohne ein Stipendium würde sie die Miete nicht bezahlen können. Nun
zahlen ihr die Theaterhäuser, an denen sie unter Gastvertrag steht, trotz
der durch das Coronavirus ausfallenden Vorstellungen Gage. Sobald ihr
Studierendenstatus ausläuft, ist sie auf Hilfe vom Staat angewiesen.
Initiativen wie das „Ensemble Netzwerk“ halten dazu an, sich ehrlich
untereinander auszutauschen – über das Verhältnis von Bezahlung und
Arbeitszeit und konkret über (unterschiedliche) Bezahlung. Sich den
Stundenlohn auszurechnen ist oft kaum möglich, und nicht alle Theaterhäuser
halten sich an den Normalvertrag (NV) Bühne – die Verpflichtung für den
Tarifvertrag ist ohnehin freiwillig.
Schedle ärgert sich über die fehlende Bereitschaft mancher Dozent*innen,
etwas zu verändern: „Ich habe oft gehört: Na ja, am Theater ist es halt
so.“ Aber als Einzelperson aufzubegehren ist schwer und braucht zumindest
die Solidarität von Kolleg*innen. Hierarchien, die ungesunden Respekt
schaffen, sind aber Gift für Solidarität: „Die Angst, ausgetauscht zu
werden, ist real.“
Das Gewissen
Wie Theater spielen, wenn rundherum alles Kopf steht? „Ich habe durchs
Theater politisch denken gelernt. Und ich glaube daran, dass Theater ein
Medium der friedlichen Revolution sein kann, ohne den Leuten zu sagen, was
sie zu tun haben. Klar, es ist nicht der wichtigste Beruf auf der Welt, und
ich werde auch nie so tun, als wäre er das – aber ich habe ihn gewählt,
weil ich ihn liebe.“
Im zweiten Studienjahr inszenieren sie und vier andere Frauen das Stück
„Pretty when you cry“, das gleich zwei Preise gewinnt. Die Idee war, „kein
Zeigefingerstück“ zu entwerfen. „Wir sind dann bei Frauenrollen in
Klassikern gelandet und wie diese porträtiert werden. Und wir haben schnell
gemerkt: Es ist einfach immer das Gleiche.“
Für Männerrollen findet man in Klassikern moderne Adaptionen, Frauenrollen
werden dagegen seltener modernisiert. „Entweder werden sie umgebracht, oder
sie bringen sich für Männer um. Während Hamlet über den Sinn des Lebens
philosophiert, sind die Konflikte, die Frauen in Klassikern haben, immer
dieselben: Was denkt Gott, was denkt der Mann, was denkt der Vater –
manchmal auch der Bruder.“
Aber es verändert sich etwas, bei Intendant*innen und Regisseur*innen. Als
Schedle sich am Anfang des 2. Studienjahres befindet, geht gerade die
#MeToo-Debatte los. „Allein wie Leute untereinander Sprache benutzen,
diskutieren oder wie sich die feministische Awareness in der Denke und
Kommunikation geändert hat. Es wurde sich viel mehr aufgelehnt gegen Leute,
die das nicht unterstützt haben.“
Die Wertschätzung
Trotz der Veränderungen durch Initiativen und Debatten gibt es noch große
Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in der Branche. Ist da manchmal eine
Unlust, Teil davon zu sein? „Bei mir ist es eher ein ‚Jetzt erst recht!‘�…
Was ist es, in der Essenz, das sie antreibt? „Wenn ich merke, dass sich
Leute empowered fühlen. Wenn eine Regie da ist, die sich Gedanken macht, ob
sie mit dem Team auf einem Konsens ist. Klare Anweisungen und kein
Psychoshit.“
Klischees, Klischees, Klischees
Wie ist das mit dem Konkurrenzdruck, Missgunst und Neid unter Kolleg*innen?
„Ich finde, man kann grundsätzlich wählen, wie man sich dazu verhält. Dass
Neid da ist, ist klar, denn irgendwann teilt es sich halt auf in die, die
was habe, und die, die nichts haben. Das ist ja immer so.“ – Ob sie
manchmal Angst hat? „Generell? Ja, na klar! Ich glaube, jeder Mensch in
dieser Branche hat irgendwann Angst zu versagen, und es ist wahrscheinlich
schon eines der schlimmsten Gefühle, die ich kenne – das ist natürlich
privilegiert, dass ich keine schlimmeren Gefühle kenne – auf der Bühne zu
sein und vollkommen verloren zu sein. Nina aus Tschechows „Die Möwe“ sagt
das ja auch: ‚Sie kennen diesen Zustand nicht, dieses Gefühl, dass man ganz
abscheulich spielt.‘“
Die Perspektive
Angst, irgendwann körperlich fertig zu sein? „Ich glaube, es liegt an jedem
einzelnen, Grenzen zu erkennen und auf sich zu achten“, sagt Schedle und
fügt ganz schnell hinzu: „Was ich nämlich überhaupt nicht mag, ist diese
Verherrlichung kaputter Künstler*innen, die Kette rauchen, sich besaufen,
nicht schlafen und komplett psychisch fertig sind. Dass das so glorifiziert
wird, sich selbst und die eigene Substanz kaputt zu machen. Denn die
Substanz ist doch gerade das, was dir hilft, den Beruf weiterzumachen.“
Und wie geht es jetzt weiter? „Ich merke, dass viel darüber läuft, dass man
empfohlen wird oder dass jemand jemanden kennt, der jemanden kennt, der
jemanden kennt … Also allein zu irgendjemandem durchzudringen, um sich
überhaupt zu bewerben, und dass die Bewerbung dann auch gelesen wird und
dass sie dann noch jemanden suchen – das ist schon krass.“
Zum Schluss: Was kaufen Sie sich für unverhoffte 100 Euro?
„Ich würde sie zurücklegen für eine Zeit, in der ich sie dringend brauche.
Und die wird kommen.“
13 May 2020
## AUTOREN
Alissa Geffert
## TAGS
Arbeit in Serie
Schauspieler
Theaterprobe
prekäre Beschäftigung
Künstlerin
Theater Osnabrück
Arbeit in Serie
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