# taz.de -- Arbeit in Serie: der Notfallsanitäter: „So ein Dankeschön ist s… | |
> Notfallsanitäter Johannes Brandl ist im Rettungswagen oft mit | |
> rücksichtslosen Patienten konfrontiert. Für den Job würde er sich wieder | |
> entscheiden. | |
Bild: Ein Einsatz eines Rettungswagen kostet im Land Berlin 299 Euro | |
## Der Arbeitsort | |
Wenn Johannes Brandl einen Piepton aus seinem Pager hört, weiß er, dass es | |
losgeht. „Den Pager kennt man aus dem Fernsehen. Auf diese Funkgeräte | |
bekommen wir unsere Einsätze geschickt.“ Brandl ist Notfallsanitäter. Er | |
sitzt angeschnallt im Laderaum eines Rettungswagens, der mit Blaulicht | |
durch die Stadt fährt. Oder er ist im Fahrstuhl eines Berliner Altenheims | |
mit Fahrtrage und PatientIn unterwegs. Oder er rennt in den sechsten Stock | |
eines Altbaus. Auf dem Rücken trägt er einen Notfallrucksack mit | |
Verbandszeug und Medikamenten für die Erstversorgung. | |
Als Notfallsanitäter kümmert sich Brandl hinten im Rettungswagen um die | |
PatientIn. Vorne auf dem Fahrersitz sitzt der Rettungssanitäter und | |
schlängelt sich durch den Berliner Stadtverkehr. Zu jeder Schicht arbeitet | |
er mit einer anderen Person von den 18 MitarbeiterInnen vom Malteser | |
Hilfsdienst in Charlottenburg zusammen. | |
In einem von 1.200 Berliner Rettungswagen hat Brandl viele Einsätze im | |
Berliner Westen aber eigentlich auch überall in der Stadt. Es sei keine | |
Seltenheit, dass er morgens um sieben in den Prenzlauer Berg geschickt | |
wird. Die einzelnen Bundesländer geben vor, wie lange ein Rettungswagen bis | |
zum Einsatzort brauchen darf. Im Land Berlin werden acht Minuten | |
angestrebt. Doch das sei im Stadtverkehr häufig nicht realisierbar. | |
## Der Mensch | |
Brandl ist 28, seine Dreadlocks hat er zu einem Zopf zusammengebunden. In | |
seiner Freizeit trägt er rote Chucks, bei Einsätzen im Rettungsdienst | |
Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen und eine dicke Jacke mit | |
Reflektionsstreifen. Auf dem Weg zur Arbeit fährt er mit Folkmusik auf den | |
Ohren durch die Stadt. „Das ist genau das richtige, um morgens in der | |
U-Bahn nochmal abzuschalten.“ | |
Seine Freizeit verbringt Brandl gerne an der Ostsee. „Gerade in dem ganzen | |
Großstadttrubel und dem stressigen Job, brauche ich von Zeit zu Zeit die | |
Möglichkeit zu entspannen.“ An seinen freien Tagen mag er Zeit für sich in | |
der Natur. Seine Leidenschaft fürs Kochen komme neben der Arbeit häufig zu | |
kurz. | |
## Wie alles begann | |
Als Brandl 18 war, nahm sein älterer Bruder ihn das erste Mal mit auf eine | |
Rettungswache auf dem Land in Rheinland-Pfalz. „Am Sonntagmorgen zusammen | |
mit den Kollegen beim Frühstück zu sitzen, das war damals super aufregend.“ | |
Das Wachenleben und die Zusammengehörigkeit sei in Berlin etwas | |
verlorengegangen. In der Stadt habe man häufig nicht so die Zeit wie auf | |
dem Land. | |
Aufgewachsen ist Brandl in Karlsruhe. In seiner Schulzeit hat er die | |
Qualifikation zum Rettungssanitäter gemacht. An den Wochenenden ist er | |
ehrenamtlich Rettungswagen gefahren. Sein Interesse an der Medizin war ein | |
Grund, warum Brandl 2012 schließlich die Ausbildung zum damaligen | |
Rettungsassistenten gemacht hat. Seitdem arbeitet er hauptamtlich im | |
Rettungsdienst. | |
„Wegen meiner damaligen Freundin bin ich nach der Ausbildung an die Ostsee | |
nach Rostock gezogen.“ Um Medizinpädagogik zu studieren, ist Brandl dann | |
nach Berlin gegangen und fing direkt beim Rettungsdienst in Charlottenburg | |
an. Nach einem Semester brach er das Studium ab. | |
## Die Arbeitszeit | |
Offizielle Mittagspausen gibt es für Brandl nicht. „Wenn ich fünf, sechs | |
Einsätze hintereinander fahre, kann es sein, dass ich mein Frühstück erst | |
um 14.30 Uhr oder mein Mittagessen erst um 17 Uhr esse.“ | |
An drei bis vier Tagen die Woche klingelt sein Wecker um 4.45 Uhr. Um 6 Uhr | |
ist Dienstübergabe auf der Rettungswache mit den KollegInnen vom | |
Nachtdienst. Früher arbeitete Brandl gerne nachts. „Da sind die Straßen | |
freier, da hat man einfach mehr Platz.“ Doch der Rhythmus der | |
Nachtschichten würde seiner Gesundheit nicht gut tun. | |
Es komme häufiger vor, dass kurz vor Dienstübergabe ein Einsatz reinkommt | |
und Brandl Überstunden machen muss. Die Anzahl der Einsätze während einer | |
Schicht sind sehr unterschiedlich. Das Minimum sind fünf Einsätze in zwölf | |
Stunden, das Maximum zehn. „Das ist dann schon echt viel.“ In | |
Charlottenburg in der Nähe des Bahnhof Zoo gebe es viele Alkoholkranke und | |
Drogenabhängige, zu denen der Rettungsdienst gerufen wird. | |
Silvester und Weihnachten sind für Brandl ganz normale Arbeitstage. | |
Vergangenes Jahr war er Silvester dran, dieses Jahr wird es Weihnachten | |
werden. „Wir hatten an Silvester in der Wache Raclette gemacht, saßen | |
zusammen und haben „Dinner for One“ geschaut.“ | |
## Die Bezahlung | |
„Mein Gehalt ist angelehnt an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes“, | |
sagt Brandl. Das sind bei den Maltesern in Berlin mit drei Jahren Erfahrung | |
35.425 Euro brutto im Jahr. Für Nachtschichten und Wochenenden gibt es | |
einen Zuschlag. | |
Für sein Zimmer in einer WG im Prenzlauer Berg zahlt Brandl 220 Euro. „Das | |
ist so günstig, das darf man eigentlich echt nicht sagen.“ Da er ansonsten | |
nur sich selber finanziert, reiche ihm das Geld auf jeden Fall zum Leben. | |
„Natürlich hängt das vom eigenen Lebensstandard ab.“ Er sei aber ein sehr | |
genügsamer Mensch. Und ein bisschen Geld zum Reisen bleibe am Ende des | |
Monats auch übrig. | |
## Das Gewissen | |
Seine KollegInnen auf der Wache sind für Brandl wie eine kleine Familie. | |
Die Einsätze hätten ihn und die anderen sehr zusammengeschweißt. „Man redet | |
natürlich auch privat. Das ist schon alles sehr intim hier.“ Nach seinem | |
Dienst bleibt Brandl gerne auf eine Tasse Kaffee länger, um mit den anderen | |
über die Erlebnisse aus der Schicht oder mit einem Kollegen über seinen | |
Urlaub zu reden. | |
Es hängt stark von den PatientInnen ab, ob Brandl sich nach einem | |
Arbeitstag gut fühlt. Insgesamt gefällt ihm die Arbeit mit Menschen. | |
„Deswegen lohnt es sich auf jeden Fall jeden Morgen so früh aufzustehen.“ | |
Wenn man im Rettungsdienst arbeitet, könne man von den Superreichen bis zu | |
den Obdachlosen in alle Gesellschaftsschichten schauen. Bei seiner Arbeit | |
sind für Brandl alle gleich. | |
Seit diesem Jahr gibt es beim Malteser Hilfsdienst ein | |
Kriseninterventionsteam mit AnsprechpartnerInnen, die 24 Stunden zur | |
Verfügung stehen. „Dass man belastende Einsätze komplett außer Acht lässt, | |
wenn man zu Hause ist, funktioniert nicht“, erzählt Brandl. Kindereinsätze | |
sind ein rotes Tuch für ihn. „Ob das Verletzungen sind oder körperliche | |
Gewalt gegen Kinder, Einsätze mit Kindern beschäftigen einen besonders | |
lange.“ | |
## Die Wertschätzung | |
Vergangenes Jahr an Silvester wurde Brandl zusammen mit einem Kollegen von | |
einer 78-jährigen Patientin gerufen. Vor Ort habe er direkt gemerkt, dass | |
ihr einfach menschliche Nähe fehlte. „Sie hat angerufen, weil Silvester | |
keiner da war.“ | |
Die Sehnsucht nach menschlicher Interaktion begegne Brandl häufiger in | |
seinem Arbeitsalltag in Berlin. Letztendlich sei es den Leuten selbst | |
überlassen, ob sie mit ins Krankenhaus kommen möchten oder nicht. „Manchmal | |
sorgt einfach die Tatsache, dass jemand da war und zum Beispiel den | |
Blutdruck gemessen hat, dafür, dass eine Person gar nicht mitfahren | |
möchte.“ Da reiche ein bisschen menschlicher Kontakt schon aus. | |
Immer häufiger werde die 112 von Menschen gewählt, die gar keine echten | |
Notfälle sind. Für die Arbeit im Rettungsdienst würde sich Brandl | |
allerdings jedes mal wieder entscheiden. | |
„Nö“ antwortet er auf die Frage, ob sich die Leute für die Einsätze | |
bedanken würden. „So ein einfaches Danke ist nicht viel, aber es wäre | |
trotzdem schön, wenn man es hört.“ Eines stört ihn deshalb an seiner | |
Arbeit: Dass es für die meisten Menschen selbstverständlich ist, dass es | |
einen Rettungsdienst gibt. Für viele sei der Rettungsdienst eine | |
Dienstleistung, die sie indirekt über die Krankenkassen bezahlen. | |
Vergangenes Jahr hatte Brandl deshalb einen kleinen Berlin Koller. Da wurde | |
ihm die rücksichtslose Art der PatientInnen zu viel. | |
## Die Perspektive | |
Aus Berlin möchte Brandl erst mal nicht mehr weg. In zwei bis drei Jahren | |
will er, wenn er genügend Wartesemester für die Zulassung gesammelt hat, | |
nochmal richtig Medizin studieren. Nebenbei will er weiter auf der | |
Rettungswache arbeiten. „Ich kann mit dem Rettungsdienst einfach nicht mehr | |
aufhören.“ Körperlich würde das auch gehen, da elektrische Fahrtragen dem | |
Team die Arbeit erleichtern. Einige KollegInnen könnten deshalb auch bis | |
zur Rente arbeiten. Bis er 60 ist, will Brandl den Job allerdings nicht | |
machen. | |
## Was kaufen Sie sich für unverhoffte 100 Euro? | |
„Für einen Teil des Geldes würde ich Freunde bekochen. Den anderen Teil | |
würde ich für einen VW-Bus sparen, um mir den Traum von einer Weltreise zu | |
erfüllen. Vielleicht würde ich die 100 Euro auch spenden.“ | |
25 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Luise Land | |
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