# taz.de -- Arbeit in Serie: der Lobbyist: „Die Welt ist nicht schwarz-weiß�… | |
> Jan Christian Sahl hat eine Lobbyagentur für zivilgesellschaftliche | |
> Interessen gegründet und betreibt jetzt „gute Lobbyarbeit“. | |
Bild: L wie Lobbyarbeit – hier ganz klassisch in einem Berliner Café | |
## Der Arbeitsort | |
Jan Christian Sahl hat fürs Gespräch einen Besprechungsraum in der | |
„Factory“ reserviert, einem hippen Coworking Space an der Bernauer Straße. | |
In der „Factory“ sollen „die hellsten Köpfe aus Technologie, Politik, Ku… | |
und Wissenschaft in einem einzigen dynamischen und kooperativen Ökosystem“ | |
zusammenkommen, wie es auf der Internetseite heißt. Neben Airbnb ist hier | |
auch Welobby eingemietet, das 2018 von Sahl gegründete Lobby-Start-up „für | |
alle ohne Lobby“. „Auf Partys in der Gründerszene ist mir auch vieles too | |
much. Berlin ist halt eine Spielwiese für Erwachsene. Aber bei aller | |
Kritik: Dass es hier weniger Stabilität gibt, alles volatiler ist, | |
ermöglicht halt auch mutigere Entscheidungen“, erklärt Sahl. Berlin sei | |
aber nicht nur eine Spielwiese, sondern als Hauptstadt auch der einzig | |
sinnvolle Arbeitsort für Lobbyist*innen in Deutschland. „Es gehört auch | |
dazu, mit Politikern zu frühstücken, Kaffee zu trinken. Und ja, auch im | |
Café Einstein. Diese Arbeit kann man nicht wirklich aus Augsburg machen.“ | |
## Der Mensch | |
Vor zehn Jahren ist Sahl nach Berlin gekommen. Die Erscheinung des | |
40-Jährigen spiegelt das Spielwiesen-Motiv wider. Er wirkt sportlich, trägt | |
Baseballmütze und Sneakers, dazu ein wollenes Sakko, Dreitagebart und | |
raspelkurzes Haar. Auf dem Tisch legt der Vater einer Sechsjährigen sein | |
Smartphone und ein silbernes Zigarettenetui ab – in dem er inzwischen | |
allerdings nicht mehr Zigaretten, sondern die üblichen Plastikkärtchen | |
eines Erwachsenenlebens transportiert. | |
Bis 2017 hat Sahl noch für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) | |
lobbyiert, unter anderem zum Thema Tabak. „Gute Arbeit hat für mich drei | |
Komponenten: erstens gutes Geld, zweitens eine Aufgabe, die du magst, und | |
drittens Menschen, mit denen du gut klarkommst.“ Es sei einfach ein „guter | |
Typ“ gewesen, der ihn für den BDI angeworben hatte. „In den Lobbyismus | |
rutscht man halt so rein“, meint der gebürtige Wiesbadener. | |
Und warum macht er jetzt Welobby, also „gute“ Lobby, wie zuletzt für einen | |
Kündigungsschutz im betreuten Wohnen? „Mich interessiert, politisch für | |
Menschen beziehungsweise Gruppierungen zu arbeiten, denen es tendenziell | |
schlechter geht als anderen, und zu versuchen, ihre Lage politisch, | |
gesetzlich zu verbessern.“ | |
## Wie alles begann | |
„Schon während der Schulzeit wollte ich in der Politik arbeiten“, meint | |
Sahl. Im „Kürschner“, dem Verzeichnis der Bundestagsabgeordneten, sei ihm | |
damals aufgefallen, dass viele Politiker*innen Rechtswissenschaften | |
studiert hätten. „Und ich dachte, wenn das mit der Politik nichts wird, | |
kann man mit Jura ja auch was anderes machen.“ In Bonn studiert Sahl | |
schließlich, „doch die Regierung war schon weg. Politisch war da nicht mehr | |
viel los.“ | |
Am Aushang der Uni findet er die Praktikumsausschreibung der | |
US-amerikanischen Lobbyagentur Cassidy & Associates und leckt Blut. „Ich | |
fand cool, dass die das Wort Lobby nicht verschleiert haben, sondern | |
offengelegt haben, was sie machen. Man könnte das ja auch mit | |
‚strategischer Kommunikation‘, ‚public affairs‘ oder ‚Politikberatung… | |
umschreiben.Mit dem Namen Welobby wollten wir auch offenlegen, was wir | |
wirklich machen.“ Nach dem Praktikum in Brüssel und dem Uniabschluss | |
arbeitet Sahl zunächst als Wirtschaftsanwalt in einer Berliner Kanzlei. | |
„Ich hatte mich davor viel mit öffentlichem Recht beschäftigt. | |
Wirtschaftsrecht war eine ganz andere Matrix und ich bin da nicht so | |
reingekommen.“ | |
Und das Politische juckt ihn noch. „Ich hatte mich damals bei der | |
Bundestagsfraktion der SPD beworben.“ Doch die Sozialdemokrat*innen lassen | |
Sahl zu lange warten, er war schon beim BDI, als ihre Einladung zum | |
Bewerbungsgespräch kam. Zur Gründung von Welobby kam es schließlich, als | |
Sahl sich leisten konnte, „ein halbes Jahr kein Einkommen zu haben“. Die | |
Idee einer Lobbyagentur für zivilgesellschaftliche Interessen habe ihn | |
während der sechs Jahre beim BDI schon länger umgetrieben. | |
## Die Branche | |
„Im real existierenden Lobbyismus gibt es Schwierigkeiten.“ Aber: Der | |
Lobbyismus sei auch ein sehr interessantes Arbeitsfeld, „weil man generell | |
politisch denken darf, soll, muss. Das Ziel ist ja, dass die Politik etwas | |
tun soll. Das heißt, man muss frühzeitig informiert sein, viel Zeitung | |
lesen. Hauptstadtrepräsentanten sind zunächst mal in Habachtstellung. Das | |
heißt Kontakte pflegen, Monitoring und wenn dann ein bestimmtes Thema | |
aufploppt, muss man ausschwirren und aktiv werden und dann auch wirklich | |
liefern. Irgendwie müssen die ja auch rechtfertigen, wenn sie 100.000 Euro | |
im Jahr verdienen.“ 6.000 Interessenvertreter*innen würden sich in Berlin | |
tummeln, meint Sahl. | |
## Die Arbeitszeit | |
„In den letzten Monaten habe ich nicht die meiste Zeit mit Welobby | |
verbracht. Ich merke, dass ich wieder mehr Zeit da reinstecken muss. | |
HateAid hat mich in letzter Zeit fast den halben Tag beschäftigt.“ | |
HateAid, das ist die gemeinnützige GmbH zur Beratung von Opfern von | |
Online-Hass, die dieses Jahr mit Unterstützung von Sahl ebenfalls an den | |
Start ging. Außerdem lehrt der Jurist an der Hochschule für Wirtschaft und | |
Recht in Lichtenberg. „Es macht Spaß, Jura auf einfache, verständliche Art | |
zu unterrichten, für Leute, die in der Verwaltung arbeiten und dem | |
Gemeinwohl dienen sollen.“ | |
Sind drei Jobs nicht ein bisschen viel? „Ich kann meine Arbeitszeit | |
großteils so verteilen, wie es mir passt, und empfinde es zum Beispiel als | |
großes Privileg, mehrmals die Woche mein Kind von der Schule abholen zu | |
können, um dann halt abends zuHause weiterzuarbeiten, aber dennoch.“ | |
## Die Bezahlung | |
„Welobby ist jetzt keine Cash-Cow“, meint Sahl. Nur durch die Arbeit im | |
Start-up könnten er und seine acht Teamkolleg*innen „kein gutes Leben | |
führen“. Doch für den Lobbyisten hat das einen eigenen Reiz: „Mein | |
Einkommen geht ja nicht unter eine bestimmte Grenze, also ich muss nie | |
wirklich um meine Existenz bangen. Aber im Vergleich zu früher, als ich | |
monatlich ein unbefristetes Gehalt überwiesen bekommen habe, ist es jetzt | |
interessanter, weniger vorhersehbar, variantenreicher. Jetzt gibt es einen | |
Monat, wo ich fast nicht essen gehe, und dann einen, in dem ich mir acht | |
neue Stühle für meinem Esstisch kaufe.“ | |
Und von welcher Summe ist die Rede? „Das hat monatlich ganz gut geschwankt | |
dieses Jahr, in einigen Monaten mal das Doppelte, in anderen Monaten mal | |
die Hälfte vom Vormonat. Also irgendwo zwischen dem Gehalt eines | |
Bundestagsabgeordneten und dem eines seiner Büromitarbeiter.“ (Mitglieder | |
des Bundestags verdienen im Monat 10.083,47 Euro, die Gehälter ihrer | |
Mitarbeiter liegen zwischen 2.572 und 8.522 Euro – Anm. d. Red.) „Den | |
Wechsel vom BDI bereue ich auch finanziell nicht.“ 15.000 bis 20.000 Euro | |
muss Welobby für eine einjährige Kampagne zu einem bestimmten Thema | |
aufbringen. „Eine Agentur würde diese Summe im Monat nehmen.“ | |
## Das Gewissen | |
„Wenn man zu lange an Themen arbeitet, hinter denen man persönlich gar | |
nicht steht, wird’s schwierig.“ Die Frage nach der Authentizität stelle | |
sich aber auch als Anwalt. Auch hier müsse man oft Interessen vertreten, | |
die man nicht für richtig hält. „Im Lobbyismus gibt es natürlich keinen | |
fairen Rahmen wie bei einem Gerichtsurteil, keine Waffengleichheit. Die | |
Seite, die mehr Geld hat, wird tendenziell besser vertreten.“ Als Lobbyist | |
könne man sich deshalb in Gewissensfragen nicht auf die Rolle im | |
Rechtsstaat zurückziehen. | |
Aber: „Wir tendieren ja dazu, schnell eine Meinung zu haben. In der | |
Lobbyarbeit habe ich gelernt, dass die Welt nicht schwarz-weiß ist, die | |
Sachfragen sehr komplex sind.“ Das Kontroverse hätte auch seinen Reiz. Sahl | |
zitiert den Tabaklobbyfilm „Thank You for Smoking“ von 2005: „If you want | |
an easy job, go work for the Red Cross.“ | |
## Die Wertschätzung | |
Auf Partys gibt es „kein gutes Feedback, wenn man sich als Lobbyist outet. | |
80 Prozent reagieren dann so: Was? Krass! So ein Scheiß.“ Sahl meint, dass | |
Serien das Image des Lobbyismus stark beeinflussen. „Es gibt Vorstellungen, | |
die von Korruption und unlauteren Methoden bis hin zu Mord und Totschlag | |
reichen.“ Seit es Welobby gibt, bekommt Sahl aber auch E-Mails im Duktus | |
von „coole Idee“, „super, dass ihr das macht“. Auch auf Partys ist das | |
Feedback ein besseres, seitdem Sahl „gute“ Lobby macht. Emotionale | |
Wertschätzung sei aber gar nicht die entscheidende Triebfeder für ihn. Es | |
geht um die Sache, um materielle Wertschätzung. „Eine Beteiligung an | |
unserem Crowdfunding wäre mir wichtiger als Schulterklopfen.“ | |
## Die Perspektive | |
Anzukommen ist für Sahl keine attraktive Perspektive. „Ich will beruflich | |
weiterhin Dinge machen, die zu mir passen. Wenn ich weiterhin | |
selbstbestimmt arbeiten könnte, das wäre gut. Das Wort ‚weisungsbefugt‘ i… | |
schrecklich altmodisch, aber das gibt es noch oft.“ | |
## Was kauft er sich für unverhoffte 100 Euro? | |
„Davon würde ich gut essen gehen.“ | |
23 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
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