| # taz.de -- Arbeit in Serie: Die digitale Nomadin: „Ich mag nicht an morgen d… | |
| > Samira Mousa verdient ihr Geld im Netz, mit einem Blog über MS. Sie ist | |
| > eine digitale Nomadin – ihr Büro ist dort, wo es stabiles Internet gibt. | |
| Bild: Als digitale Nomadin kann man dort arbeiten, wo es einem gefällt | |
| ## Der Arbeitsort | |
| An einem Tag im Januar sitzt Samira Mousa in einem Café auf der | |
| thailändischen Insel Koh Chang, hinter ihr türkisblaues Meer, auf einem | |
| Tisch ihr Laptop und ihr Headset. Sie arbeitet an einem Blogbeitrag über | |
| eine App, die PatientInnen mit Multipler Sklerose durch den Alltag | |
| begleitet. Mousa ist eine digitale Nomadin. Ihr Arbeitsort ist dort, wo ihr | |
| Laptop steht, wo es eine einigermaßen stabile Internetverbindung gibt – und | |
| dort, wo sie gerade sein möchte. „Wenn es mir irgendwo richtig gut gefällt, | |
| dann bleibe ich da auch länger. Und wenn es mir nicht mehr gefällt, dann | |
| fahre ich halt weiter.“ | |
| Den Sommer verbringt die gelernte Veranstaltungskauffrau in Berlin, den | |
| Winter in Thailand, Kolumbien, Italien. Ihr Geld verdient Mousa mit ihrem | |
| Blog über den Umgang mit Multipler Sklerose, einer Autoimmunerkrankung des | |
| Nervensystems, an der sie selbst leidet. „Ich habe so 30.000 Seitenaufrufe | |
| im Monat.“ | |
| Durch den Blog werden Unternehmen der Gesundheitsbranche und Entwickler von | |
| Pharmafirmen auf sie aufmerksam und buchen sie für Vorträge, Videodrehs | |
| oder Workshops. | |
| ## Der Mensch | |
| Für ihren 30. Geburtstag ist Mousa Mitte Oktober nach Berlin gekommen. | |
| „Nach drei Jahren möchte ich endlich mal wieder mit meiner Familie feiern.“ | |
| Anfang November fliegt sie wieder zurück nach Thailand. | |
| Mousa hat braune Locken, ist 1,62 Meter groß und sagt Wörter wie | |
| optimization, successful oder hot shit. Am Arm trägt sie einen großen | |
| goldenen Armreif und verschiedene Tattoos. Morgens macht sie gerne Yoga | |
| oder meditiert. Smalltalk ist nicht so ihr Ding. | |
| Sie selbst bezeichnet sich als „Berliner Göre“. Aufgewachsen ist sie in | |
| Mitte. Wenn sie in Berlin ist, wohnt sie in Friedrichshain. „Da habe ich | |
| ein richtiges Zuhause.“ Für die Zeit, in der sie nicht da ist, vermietet | |
| sie die Wohnung. Als Kind wollte sie Journalistin werden. | |
| Wenn Mousa unterwegs ist, lebt sie minimalistisch aus einem kleinen | |
| Backpack. Zu Hause, in Berlin, hat sie 20 Paar Schuhe, auf Reisen zwei. | |
| ## Wie alles begann | |
| Mit 24 bekam Mousa die Diagnose MS. Mit Schmerzen hinter ihren Augen fing | |
| es an. Den Wunsch, frei zu arbeiten hatte Mousa schon davor. Nach der | |
| Diagnose habe sie keine Ausrede mehr gehabt, sich nicht zu trauen. Über | |
| zwei, drei Jahre bildete sie sich neben ihrer 40-Stunden-Woche weiter, | |
| brachte sich WordPress bei und jobbte an den Wochenenden in Cafés. Ihr | |
| Blog lief nebenbei an. „Irgendwann kamen erste Kooperationsanfragen von | |
| Pharmaunternehmen. Es hat dann alles so gut zusammengepasst. Dass ich über | |
| dieses Thema meine Nische gefunden habe und da gleichzeitig wichtige | |
| Aufklärungsarbeit machen kann.“ | |
| Im Juli 2017 kündigte sie ihren damaligen Job in einer Vermittlungsagentur | |
| für Künstler und ging ins Ausland. Den letzten Anstoß dafür bekam sie im | |
| Urlaub auf Bali. „Da saß ein Typ mit Laptop in einem Café. Der meinte, er | |
| programmiert Websites und reist um die Welt. Da dachte ich mir: Wie geil | |
| ist das denn. Der kann von überall aus arbeiten, verdient Geld in Euro, | |
| aber gibt sein Geld in einem Land mit total niedrigen Unterhaltskosten aus. | |
| Geo-Arbitrage nennt sich das.“ | |
| ## Die Arbeitszeit | |
| Wenn Mousa im Ausland arbeitet, orientiert sie sich nicht mehr an der | |
| klassischen Nine-to-five Woche. „Ich arbeite vielleicht zwei, drei, vier | |
| Stunden am Tag. Dafür mache ich kein Wochenende.“ In Berlin hat Mousa das | |
| Gefühl, sie müsse acht Stunden am Tag im Coworking Space sitzen. „Völlig | |
| absurd“, findet sie das. | |
| Eigentlich wollte sie die vergangenen drei Wochen in Thailand Urlaub | |
| machen. Aber E-Mails werden bei ihr immer gecheckt. „Komplett raus bin ich | |
| nie.“ Allerdings habe sie sehr viel seltener als früher das Gefühl, | |
| überarbeitet zu sein. | |
| ## Die Bezahlung | |
| Da sie bei jedem Kunden anders verhandelt, möchte Mousa nicht, dass ihre | |
| Preise irgendwo stehen. Insgesamt verdiene sie aber mit weniger Arbeit das | |
| Doppelte von dem, was sie in ihrer 40-Stunden-Woche als Künstleragentin | |
| verdient habe. „Das liegt auch daran, dass die Gehälter in der | |
| Pharmabranche anders sind als in der Clubindustrie in Berlin.“ | |
| So viel kann sie jedoch sagen: „Wenn ich in Berlin bin, brauche ich so | |
| 1.500 Euro im Monat, wenn ich in Thailand bin, so 900. Momentan verdiene | |
| ich mehr, als ich brauche.“ In Ländern wo das Essen am Tag nur 3 Euro koste | |
| und die Miete 10 Euro, könne sie sehr gut Geld sparen, sogar bei weniger | |
| Arbeit. | |
| Das sei auch gut so, denn durch ihre MS müsse sie ganz anders vorsorgen. In | |
| Versicherungen wie eine Berufsunfähigkeitsversicherung oder | |
| Krankentagegeldversicherung komme sie nicht mehr rein. Momentan sei sie | |
| besonders an Geldanlagen in Aktienfonds interessiert. | |
| ## Das Gewissen | |
| Am Ende von einem Arbeitstag fühlt Mousa sich entweder really successful | |
| oder mildly successful, aber eigentlich immer gut, wie sie sagt. „Wenn es | |
| ein scheiß Tag war, dann aus persönlichen Gründen.“ | |
| Als sie ihren Blog veröffentlichte, habe sie den ganzen Tag Angst vor den | |
| Reaktionen der Leute gehabt. „Es wusste kaum jemand Bescheid, dass ich MS | |
| habe.“ Außerdem habe sie sich gefragt, ob sie mit der Pharmaindustrie | |
| zusammenarbeiten will und wo ihre Grenzen liegen. „Ich würde nicht für | |
| etwas Werbung machen, wovon ich nicht überzeugt bin.“ | |
| Alle Dinge und Apps, für die sie wirbt, sollen Aufklärungsarbeit leisten | |
| und MS-PatientInnen helfen. Deshalb teste Mousa alles selber vorher aus. | |
| Heute sagt sie, sei ihr manchmal gar nicht bewusst, wie vielen Menschen sie | |
| mit ihrer Arbeit helfe. „Und dann kommen Leute zu mir und sagen, sie haben | |
| nach meinem Vorbild aufgehört zu rauchen. Das ist dann schon krass.“ | |
| Meetings mit Kunden macht Mousa über Skype. Dafür müsse sie nicht extra | |
| nach Deutschland fliegen. „Dagegen kann ja keiner etwas sagen, wenn ich aus | |
| Klimagründen nicht für ein einstündiges Meeting um die halbe Erde fliege.“ | |
| Sie habe ganz doll Flugscham, antwortet sie auf die Frage, wie sie die | |
| viele Fliegerei rund um die Welt mit ihrem Gewissen vereinbaren kann. | |
| ## Die Wertschätzung | |
| Dass sie ihre Krankheit finanziell ausnutze, musste Mousa sich schon öfters | |
| anhören. „Da denke ich mir dann: Ähm, ich habe die Krankheit ja, dann ist | |
| es doch mein gutes Recht, das Beste daraus zu machen.“ Auf ihrem Blog gebe | |
| es jedoch „relativ wenig Hater“. | |
| Eines stört sie an ihrer Arbeit: Wenn Kunden ihr nach jeder E-Mail einen | |
| schönen Urlaub wünschen. „Ich arbeite disziplinierter als manch | |
| Büroangestellter, der den ganzen Tag Facebook checkt. Wenn ich arbeite, | |
| dann sind vier Stunden 100 Prozent Fokus angesagt.“ | |
| ## Die Perspektive | |
| Eine Prognose für den Krankheitsverlauf bei MS sei schwierig. Aber, sagt | |
| sie: „Ich mag es nicht, an morgen zu denken. Ich habe keine Angst vor | |
| morgen, aber das, was ich jetzt mache, ist mein reales Leben. Und für mich | |
| ist das genau richtig so.“ Sie wolle auch keine Kinder haben, „wollte ich | |
| noch nie, also fällt das als ein möglicher Grund, mit meinem jetzigen Leben | |
| aufzuhören, auch weg.“ Außerdem hat Mousa vor Kurzem ein Unternehmen für | |
| „Mikro-Influencer in der Healthcare-Branche“ gegründet. „Und eine GmbH�… | |
| findet Mousa, „ist ja schon eine Perspektive.“ | |
| ## Was kauft sie sich für 100 Euro? | |
| „Ich würde mit jemandem richtig geil essen gehen.“ | |
| 5 Nov 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Luise Land | |
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