| # taz.de -- Arbeit in Serie: Der Taxiunternehmer: „Viele von uns sind frustri… | |
| > Mehmet Deisel hat sich als Taxifahrer selbstständig gemacht. Um | |
| > konkurrenzfähig zu bleiben, entwickelt er mit Blick auf Uber eine | |
| > Taxi-App. | |
| ## Der Arbeitsort | |
| Hinter dem Schreibtisch im Büro von Mehmet Deisel hängt ein gerahmtes Foto | |
| eines New Yorker Straßenzugs. Drei Spuren sind voll mit fahrenden Taxis, | |
| das Gelb ist im Bearbeitungsprogramm ordentlich aufgedreht worden. Vor dem | |
| Foto sitzt Deisel, Berliner Taxiunternehmer, einen Papierteller voll mit | |
| Schokobonbons vor sich. Im schmal geschnittenen Gäste-WC einen Raum weiter | |
| stapeln sich in der hinteren Ecke vier Winterreifen, eine schwarze | |
| Plastikplane verdeckt sie nur halb. | |
| Deisels Büro liegt in Neukölln. Bis vor zwei Jahren arbeitete er selbst | |
| noch als Taxifahrer, seit seiner Unternehmensgründung verbringt er mehr und | |
| mehr Zeit hinter dem Schreibtisch. „Ich bin auf den Straßen nicht mehr so | |
| aktiv, weil ich viel zu viel mit anderen Dingen beschäftigt bin. Wir sind | |
| gerade zum Beispiel dabei, eine eigene Taxi-App zu entwickeln und auf den | |
| Markt zu bringen“, sagt er. Mit dieser Taxi-App – „FairNow“ soll sie he… | |
| – will Deisel das Taxi im Konkurrenzkampf mit privaten Fahrdienstleistern | |
| wie etwa Uber besser in Stellung bringen. Bei der Entwicklung arbeitet er | |
| mit fünf anderen Berliner Taxiunternehmern zusammen. Gemeinsam wollen sie | |
| dafür sorgen, das Taxi als Geschäftsmodell überlebensfähig zu halten. | |
| ## Der Mensch | |
| Wann die App genau auf den Markt kommt, weiß Deisel noch nicht. Ende August | |
| erschien dafür sein erstes YouTube-Video – es heißt „3 Mythen über Uber�… | |
| und kommt auf bisher knapp 5.000 Klicks. Deisel ist umtriebig, was den | |
| Kampf um die Zukunft seiner Branche angeht. Von den bevorstehenden | |
| Schwierigkeiten vor allem durch die neue Konkurrenz wusste der Berliner | |
| schon vor der Gründung seines Unternehmens. „Ich dachte mir damals einfach: | |
| Vielleicht muss ich in Zukunft nicht mehr fahren, sondern kann meinen | |
| Lebensinhalt auf andere Weise verdienen, nicht mehr im Taxi und auf der | |
| Straße“, erzählt er. | |
| Deisel geht regelmäßig ins Fitnessstudio, das sieht man ihm an. Er ist ein | |
| überdurchschnittlich breiter Mensch. Als Hobby würde er das Muskeltraining | |
| aber nicht bezeichnen. „Machen wir uns nichts vor: Fitness kann zwar Spaß | |
| machen, ist aber meistens eine Tortur, zu der man sich zwingen muss. Wenn | |
| Menschen da von einem Hobby sprechen, glaube ich ihnen das nur teilweise.“ | |
| Wirklich Spaß macht ihm hingegen das Musizieren. Deisel spielte früher | |
| Schlagzeug. „Wenn ich da irgendwann die Gelegenheit finde, wieder | |
| einzusteigen, wäre das wirklich eine tolle Sache. Musik zu machen, das | |
| erfüllt mich.“ | |
| ## Wie alles begann | |
| „Ich bin gebürtiger Berliner, meine Eltern stammen aus der Türkei“, erzä… | |
| Deisel. Nach der Schule ließ er sich zum Kaufmann für IT-Hardware | |
| ausbilden, arbeitete danach im Vertrieb von Solarmodulen, unter anderem ein | |
| Jahr lang in Malaysia. Als die Branche finanziell in Schieflage geriet, kam | |
| er zurück nach Deutschland und stieg ins Taxi. „Seit 2014 fahre ich, 2017 | |
| habe ich mich als Taxiunternehmer selbstständig gemacht.“ | |
| In der Neuköllner Lahnstraße baute er sich gemeinsam mit einem Kollegen ein | |
| Taxi-Unternehmen auf, mittlerweile besitzen die beiden 20 Autos und | |
| beschäftigen 35 Fahrer. „Ein Taxifahrer arbeitet in 12-Stunden-Schichten. | |
| Innerhalb der 12 Stunden muss er 8 Stunden abfahren, dazu kommt eine | |
| Stunde Pause. Im Idealfall ist ein Taxi doppelt besetzt, das ist bei uns | |
| nicht bei jedem Auto der Fall.“ | |
| ## Die Arbeitszeit | |
| „Klar, manchmal arbeite ich immer noch mehr als 40 Stunden in der Woche, | |
| aber das hat sich mittlerweile eingependelt.“ Deisels Weg in die | |
| Selbstständigkeit vor zwei Jahren ging mit jeder Menge Arbeit einher. „Ich | |
| würde sagen, zu Anfangszeiten waren es locker 50 bis 60 Stunden pro Woche.“ | |
| Deisel fuhr zunächst weiter selbst, um sein finanzielles Überleben zu | |
| sichern. Viel Zeit nahm auch sein Engagement innerhalb der Taxi-Branche in | |
| Anspruch. Schon damals war er Admin einer großen Facebook-Gruppe von | |
| Berliner Taxifahrern mit knapp 2.300 Mitgliedern. „Viele von uns sind sehr | |
| frustriert. Diesen Frust wollen wir bändigen. Dabei Erfolge aufweisen zu | |
| können ist etwas, das mich erfüllt. Das Taxigeschäft an sich erfüllt mich | |
| nicht, es führt nur dazu, dass ich mein Leben finanzieren kann.“ | |
| ## Die Bezahlung | |
| Von den Einnahmen einer Taxifahrt bleiben Deisel als Unternehmer etwa fünf | |
| Prozent, nachdem er alle Kosten und Abgaben und das Gehalt des Fahrers | |
| abgezogen hat. Reich ist er damit bisher nicht geworden. „Ich konnte dieses | |
| Jahr keinen Urlaub machen, auch wegen des Geldes“, erzählt er. Das dürfte | |
| seinen Fahrern genauso gehen. „Wir beschränken uns auf den Mindestlohn. | |
| Mehr würde einfach nicht gehen. Die Fahrer haben das Glück, auch | |
| Trinkgelder zu bekommen.“ Trotzdem würde er gerne mehr bezahlen – und | |
| selbst natürlich auch gerne mehr verdienen. | |
| Deisel träumt von einer Eigentumswohnung. „Aber das ist definitiv nicht | |
| drin. Andererseits bin ich auch froh, dass ich nicht zusätzlich noch Burger | |
| braten oder Doppelschichten schieben muss, um meinen Lebensunterhalt zu | |
| finanzieren. So schlimm ist es dann doch nicht. Ich würde sagen, ich bin | |
| irgendwo zwischen den Extremen.“ | |
| ## Das Gewissen | |
| „Es gibt viele Probleme in unserer Gesellschaft, bedenkliche Entwicklungen. | |
| Wir haben teilweise einen Rechtsruck, teilweise auch einen islamistischen | |
| Ruck. Das merkt man auch in Taxis. Fahrer und Fahrgast müssen sich erst mal | |
| aneinander rantasten.“ | |
| Deisel glaubt, dass die Kommunikation im Auto in den vergangenen Jahren | |
| schwieriger geworden ist, das Verhältnis zwischen Fahrer und Kunde | |
| unklarer. „Gefährliche Situationen zum Beispiel mit betrunkenen Gästen sind | |
| während der Fahrt immer präsent“, erzählt er. Genauso komme es vor, dass | |
| sich Kunden bei ihm über einen Fahrer beschwerten. Grundsätzlich sei das | |
| Verhältnis aber entspannt. „Eigentlich ist es so: Wie es in den Wald | |
| schallt, so schallt es auch wieder heraus“, sagt Deisel. | |
| Ganz und gar nicht entspannt ist Deisels Verhältnis zu Unternehmen wie | |
| Uber. Er regt sich über das mittlerweile gängige Modell des Surge Pricing | |
| unter Echtzeitbedingungen auf. „Es wird analysiert, wie dringend der Mensch | |
| gerade einen Fahrdienst braucht. Eine Fahrt an den Flughafen kostet dann | |
| schon mal 140 Euro, wenn der Bedarf groß genug ist. Selbst bei | |
| Terroranschlägen lässt Uber die Preise in die Höhe schießen. Dann müssen | |
| sich Menschen fragen, ob sie das Geld haben, aus der Gefahrenzone | |
| rauszukommen. Ansonsten müssen sie eben dort bleiben. Solche Sachen sollte | |
| man schon gewissenstechnisch einfach nicht unterstützen.“ | |
| ## Die Wertschätzung | |
| Die Begegnung mit fremden Menschen ist für die Taxifahrer alltäglich. „Ich | |
| erinnere mich an gefährliche, lustige, schöne und traurige Situationen. | |
| Manchmal fühlt man sich aber auch einfach konstant unwohl in der Kabine“, | |
| erzählt Deisel. | |
| Manchmal wird der Taxifahrer sogar zur Vertrauensperson. „Eine sehr | |
| emotionale Begegnung hatte ich, als eine Dame im mittleren Alter | |
| eingestiegen ist und ein Gespräch zwischen uns entstand. Sie musste sich | |
| darauf vorbereiten zu sterben, hatte Krebs im Endstadium. Sie kam mir | |
| eigentlich zufrieden vor, aber als sie dann erzählte, dass sie sich schon | |
| von ihrer Familie verabschiedet hat, ging mir das schon sehr nahe.“ | |
| ## Die Perspektive | |
| „In der Branche sieht aktuell vermutlich jeder diesen Punkt, möglicherweise | |
| aufgeben zu müssen“, sagt Deisel. | |
| Eigentlich ist der Unternehmer in Berlin fest verwurzelt. Doch die | |
| Veränderungen lassen ihn grübeln. „Ich sage mir: Mein Zuhause kann überall | |
| dort sein, wo ich mich wohl fühle. Ich bin da sehr flexibel. Hamburg finde | |
| ich als Alternative zum Beispiel gut. Man muss einfach seine Existenz | |
| tragen können. Wenn das gegeben ist, bin ich sehr flexibel. Wenn ich | |
| allerdings merke, dass es nicht läuft und ich woanders eine bessere Chance | |
| sehe, dann bin ich auch schnell weg.“ | |
| Noch aber hat er allerdings in diese Richtung keine konkreten Pläne | |
| geschmiedet. „Ich verliere die Hoffnung nicht. Mal sehen, wie es mit | |
| unserer App läuft. Ich setze auch darauf, dass die Mietwagenbranche endlich | |
| stärker von der Politik reguliert wird und wir einen fairen Wettbewerb | |
| führen können.“ | |
| ## Und zum Schluss: Was kaufen Sie sich für unverhoffte 100 Euro? | |
| „Ich würde ins B5-Center gehen und mir eine schöne Jeans und ein T-Shirt | |
| kaufen“, sagt Deisel, ohne lange zu zögern. „Markenklamotten gefallen mir | |
| einfach. Ich möchte so Sachen wie Dumping und Ausbeutung nicht | |
| unterstützen. Deshalb boykottiere ich verschiedene Unternehmen, Kik und | |
| Primark zum Beispiel oder im Lebensmittelbereich Nestlé. Klamotten kaufe | |
| ich dort, wo ich mir sicher sein kann, dass sie unter gerechten Bedingungen | |
| hergestellt wurden, oder dort, wo ich zumindest nichts von ungerechten | |
| Bedingungen weiß.“ | |
| 2 Oct 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Lukas Waschbüsch | |
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