# taz.de -- Revisionen im NSU-Verfahren: Viel Arbeit, wenig Zeit | |
> Seit Dienstag liegt das schriftliche NSU-Urteil vor, nun schreiben die | |
> VerteidigerInnen an den Revisionen. Dafür gilt eine knappe Frist. | |
Bild: Ihr NSU-Urteil steht auf dem Prüfstand: Richter Manfred Götzl (2. v.r.)… | |
BERLIN/MÜNCHEN taz | Am Dienstag wurde die schriftliche Urteilsbegründung | |
im NSU-Prozess vorgelegt, nun arbeiten die VerteidigerInnen an ihren | |
Revisionsbegründungen. Die Zeit dafür ist knapp: Die Anwälte und | |
Anwältinnen haben nur einen Monat zur Verfügung. | |
„Wir werden die schriftlichen Urteilsgründe eingehend prüfen und die | |
Revision innerhalb der Monatsfrist begründen“, sagte Wolfgang Heer, | |
Verteidiger von Beate Zschäpe, gegenüber der taz. Auch die VerteidigerInnen | |
mehrerer Mitverurteilter erklärten, ihre Mandanten hielten an den | |
Revisionen fest, jetzt würden die Begründungen ausformuliert. Noch | |
allerdings warteten die AnwältInnen auf den postalischen Eingang des | |
Gerichtsschriftsatzes. | |
[1][Der Strafsenat des Oberlandesgericht München hatte seine schriftliche | |
Urteilsbegründung für den NSU-Prozess am Dienstag nur einen Tag vor Ablauf | |
der Frist dafür vorgelegt] – 21 Monate nach der mündlichen Verkündung. | |
Bereits am 11. Juli 2018 hatten die RichterInnen Beate Zschäpe für die | |
Terrorserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ mit zehn Toten und | |
drei Anschlägen zu lebenslanger Haft verurteilt. Vier mitangeklagte Helfer | |
erhielten Strafen von zweieinhalb bis zehn Jahren Haft. Auf opulenten 3.025 | |
Seiten hält der Senat um den Vorsitzenden Manfred Götzl nun seine | |
Urteilsgründe fest. Dazu kommt ihr Protokoll der Verhandlung, das 44 Ordner | |
umfasst. | |
## Zwei Revisionsbegründungen für Zschäpe | |
Schon direkt nach dem Urteil hatten alle VerteidigerInnen Revision für ihre | |
MandantInnen angekündigt. Nur Carsten S., der Überbringer der | |
Ceska-Mordwaffe an das NSU-Trio, zog dies später zurück und trat im | |
Frühjahr 2019 seine dreijährige Haftstrafe an. | |
Für Beate Zschäpe wird es gleich zwei Begründungen ihrer Revision geben – | |
denn sie hatte sich mit ihren ursprünglichen PflichtverteidigeInnen, | |
darunter Wolfgang Heer, überworfen und mit Mathias Grasel einen vierten | |
Pflichtverteidiger durchgesetzt. Beide Parteien erarbeiten eigenständige | |
Schriftsätze. | |
„Ich halte das Urteil des Oberlandesgerichts nach wie vor für falsch“, | |
erklärte Grasel. Anders als vom Senat befunden, sei Zschäpe keine | |
gleichwertige Mittäterin der NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt | |
gewesen. „Daher wird mein Hauptaugenmerk auf der Rechtsfigur der | |
Mittäterschaft und der Begründung des Gerichts hierzu liegen“, so Grasel. | |
Er habe die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur | |
Mittäterschaft ausgewertet und werde das schriftliche NSU-Urteil „hieran | |
messen“. | |
Tatsächlich sah auch das Oberlandesgericht keine Nachweise dafür, dass | |
Zschäpe an einem der NSU-Tatorte war. [2][Für die RichterInnen aber war | |
klar, dass die Rechtsextremistin die verübten Morde und Anschläge genauso | |
wie ihre zwei Mitstreiter gewollt habe]. Zschäpe habe dafür die Gruppe mit | |
falschen Alibis getarnt, die Finanzen organisiert und am Ende die | |
Bekenner-DVD verschickt. Damit habe sie sich an allen Verbrechen „bewusst | |
und gewollt“ beteiligt. | |
Um dies Annahme zu entkräften, haben Zschäpes VerteidigerInnen nun nur vier | |
Wochen Zeit – eine gesetzlich festgelegte Zeitspanne. „Diese Frist | |
verlängert sich im Gegensatz zu der Frist für das Gericht leider nicht mit | |
zunehmender Dauer der Hauptverhandlung“, monierte Anwalt Grasel. | |
Gleichzeitig gehörten Revisionsbegründungen „zu den anspruchsvollsten | |
Tätigkeiten eines Strafverteidigers“. „Es steht also sehr viel Arbeit in | |
sehr kurzer Zeit bevor.“ | |
## Opferanwalt hat geringe Erwartung an Urteilsgründe | |
Mehmet Daimagüler, Nebenklageanwalt für die Familien zweier Nürnberger | |
NSU-Mordopfer, zeigte Verständnis dafür, dass es Zeit brauche, nach einem | |
so langen Prozess ein revisionssicheres Urteil zu schreiben. Dennoch sei | |
der lange Zeitraum zwischen Urteilsverkündung und Urteilsbegründung | |
problematisch. „Egal, was die Gründe dafür waren, hat das sedierende | |
Wirkung auf die Öffentlichkeit. Ein kritischer Umgang zum NSU-Komplex | |
findet dort kaum noch statt.“ | |
Daimagüler hat auch inhaltlich gedämpfte Erwartungen an die Urteilsgründe. | |
„Das Gericht hat in fünf Jahren Prozess einen Bogen um die heißen Eisen | |
gemacht. Ich habe geringe Hoffnung, dass es in der Urteilsbegründung anders | |
ist.“ So seien die RichterInnen den Zweifeln an der Trio-These nicht | |
nachgegangen. Auch der „klar erkennbare institutionelle Rassismus“ in | |
Polizeibehörden, der die Aufklärung der Morde verhinderte und die dubiose | |
Rolle des Verfassungsschutzes seien fast nicht thematisiert worden, so | |
Daimagüler. „Ich fürchte, dass wir dazu auch jetzt nicht viel lesen | |
werden.“ | |
In dem Monat für die Revisionsbegründung wird auch die Bundesanwaltschaft | |
tätig. Auch sie hatte Revision für ein Urteil angekündigt – das gegen den | |
Mitverurteilten André Eminger. [3][Obwohl der Zwickauer Rechtsextremist bis | |
zum Schluss der engste Helfer des NSU-Trios war, verurteilte ihn das | |
Gericht nur zu zweieinhalb Jahre Haft]. Im Gerichtssaal brachen Neonazis | |
darauf in Jubel aus. Die Bundesanwaltschaft hatte dagegen zwölf Jahre Haft | |
für Eminger gefordert | |
Nach Eingang der Revisionsbegründungen wird es ein mehrmonatiges | |
schriftliches Verfahren vor dem Bundesgerichtshof geben. Erst danach werden | |
die dortigen RichterInnen endgültig über die NSU-Urteile entscheiden. Dies | |
wird nicht vor 2021 erwartet. | |
22 Apr 2020 | |
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[1] /Urteilsbegruendung-im-NSU-Prozess/!5680220 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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