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# taz.de -- Urteilsbegründung im NSU-Prozess: 3.025 Seiten Schuldspruch
> 21 Monate nach dem NSU-Urteil legt das Oberlandesgericht München jetzt
> die schriftlichen Urteilsgründe vor. Nun sind die Verteidiger am Ball.
Bild: Jetzt auch schriftlich: das Urteil im NSU-Prozess, verkündet am 11. Juli…
Berlin taz | Es war am 11. Juli 2018, als Richter Manfred Götzl im Münchner
Oberlandesgericht sein Urteil über den [1][NSU-Terror] verkündete:
lebenslange Haft für Beate Zschäpe, mit besonderer Schwere der Schuld, und
Haftstrafen bis zu zehn Jahren für vier Terrorhelfer. Nun – 21 Monate
später – legt das Gericht auch seine schriftlichen Urteilsgründe vor.
Das Gericht reizte damit seine Frist fast bis zum letzten Tag aus. Fünf
Jahre wurde in München über die zehn Morde, drei Anschläge und 15
Raubüberfälle des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ um Beate Zschäpe,
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verhandelt, die das Trio von 1999 bis 2011
verübte – bis zum Schluss unerkannt. Wegen der langen Prozessdauer hatte
das Gericht 93 Wochen Zeit für seine schriftlichen Urteilsgründe, bis zum
Mittwoch in dieser Woche. Und dies reizten die Richter fast aus.
Die schriftlichen Urteilsgründe seien fertiggestellt und am Dienstag zu den
Akten genommen worden, teilte ein Gerichtssprecher mit. Die Zustellung an
die Verfahrensbeteiligten erfolgten in Kürze. Der Schriftsatz umfasse 3.025
Seiten. Bis ins Detail bewertet der Senat darin juristisch nun die
NSU-Terrorserie und die Schuld der Verurteilten.
Mit den nun vorgelegten Urteilsgründen nimmt der Mammutprozess zum
NSU-Terror juristisch aber immer noch kein Ende. Denn nun steht den
Verteidigern der Weg zur Revision offen. Und den wollen vier der fünf
Verurteilten auch einschlagen, unter ihnen auch Beate Zschäpe.
## Drei Verurteilte bleiben vorerst frei
Schon am Urteilstag hatten Zschäpes fünf Verteidiger – von denen die
45-Jährige am Ende mit dreien über Kreuz lag – Revision angekündigt. Sie
wollten, dass Zschäpe nur wegen der Inbrandsetzung des letzten
NSU-Unterschlupfs in Zwickau verurteilt wird. Eine volle Mittäterschaft mit
Mundlos und Böhnhardt, wie sie das Gericht sieht, sei nicht nachzuweisen,
da Zschäpe an keinem Tatort gewesen sei.
Revision legten zunächst auch die vier Mitverurteilten ein – der frühere
NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, André Eminger, Holger G. und Carsten S. Sie
sollen dem Trio mehrere Pässe, Wohnungen, Wohnmobile oder die Mordwaffe
verschafft haben. Carsten S., der Überbringer der Česká-Mordwaffe und als
Einziger voll geständig, zog seine Revision später indes zurück und
akzeptierte sein Urteil: drei Jahre Haft nach Jugendstrafrecht. Er trat
daraufhin bereits im Frühjahr 2019 seine Gefängnisstrafe an. Demnächst
könnte er nun bereits wieder entlassen werden, mit Verbüßung der Reststrafe
auf Bewährung.
Auch die Bundesanwaltschaft hatte ein Urteil angefochten: das von André
Eminger. Der Zwickauer, den selbst seine Verteidiger als
„Nationalsozialisten mit Haut und Haaren“ bezeichneten, hielt bis zum
Schluss Kontakt zum Trio, er war es auch, der den Terroristen eine Wohnung,
Papiere und Wohnmobile beschafft haben soll. Dass er von den Terrortaten
wusste, hielt das Gericht dennoch nicht für belegt – und verurteilte
Eminger deshalb nur zu zweieinhalb Jahren Haft. Die Bundesanwaltschaft sah
das anders und hatte eine zwölfjährige Haftstrafe gefordert.
Für die Begründung ihrer Revisionsanträge haben die Verteidiger nun einen
Monat Zeit. Anschließend wird es zu einem mehrmonatigen schriftlichen
Verfahren vor dem Bundesgerichtshof kommen, bei der alle Seiten weitere
Stellungnahmen einreichen können. Dann entscheidet der Bundesgerichtshof –
und könnte das Urteil theoretisch kippen oder eine
Revisionshauptverhandlung anberaumen. Dass es dazu kommt, ist allerdings
eher unwahrscheinlich.
Die juristische Aufarbeitung des NSU-Terrors bleibt damit aber weiterhin
[2][nicht abgeschlossen]. Und auch Anklagen gegen weitere NSU-Helfer sind
ungewiss. Offiziell ermittelt die Bundesanwaltschaft noch gegen neun
mutmaßliche Unterstützer, darunter etwa die Frau von André Eminger. Für
Anklagen wollte die Behörde aber vorerst den Abschluss des Münchner
Verfahrens abwarten.
Die Verurteilten bleiben derweil – bis auf Beate Zschäpe und Carsten S. –
weiter auf freiem Fuß. André Eminger und Ralf Wohlleben zeigten sich
zuletzt auch wieder ungeniert in der rechtsextremen Szene. Beide besuchten
einen „Zeitzeugenvortrag“, Eminger auch ein Rechtsrockkonzert. Beate
Zschäpe sitzt weiterhin in der JVA Chemnitz in Untersuchungshaft.
21 Apr 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Konrad Litschko
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