# taz.de -- Italiens Buchbranche in der Coronakrise: Bangen um die Bibliodivers… | |
> Die italienische Buchbranche steckt in der Krise. Unabhängige Buchhändler | |
> und Verlage setzen jetzt vor allem auf gegenseitige Unterstützung. | |
Bild: Staatliche Hilfe bekommen unabhängige Verlage und kleine Buchhandlungen … | |
Öffnen oder nicht? Als [1][der italienische Ministerpräsident Giuseppe | |
Conte] den Beschluss mitteilte, die Wiedereröffnung von Buchhandlungen ab | |
dem 14. April trotz Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen bis Mai | |
zuzulassen, flammte schnell eine rege Diskussion innerhalb der Buchbranche | |
auf. Waren die Bedingungen für die Wiedereröffnung zumutbar? Handelte es | |
sich dabei um die Anerkennung des Buchs als wesentliches Gut? Oder war das | |
leere Rhetorik? | |
Die Debatte ebbte trotz der Entscheidung einiger Regionen, die | |
Wiedereröffnung auf ihren Gebieten vorerst noch zu untersagen, nicht ab. | |
Laut wurden vor allem unabhängige Buchhändler*innen, die sich vom Staat im | |
Stich gelassen fühlen – und nicht erst seit Corona. „Die Wiedereröffnung | |
darf keine rein symbolische Geste sein“, ist ihr Aufschrei, der, geknüpft | |
an Forderungen nach finanziellem und gesundheitlichem Schutz, in einem | |
offenen Brief an Conte enthalten ist. | |
Zu den mittlerweile rund 250 Unterzeichner*innen des Briefs zählt auch | |
Giorgia Sallusti. „Corona hat die Eingeweide einer bereits schwer leidenden | |
Branche herausgerissen“, sagt die Inhaberin des unabhängigen Buchladens | |
Bookish in Rom. Schon unter normalen Umständen sei sie mit Existenzängsten | |
konfrontiert. Seit der Schließung am 12. März habe sie jedoch mindestens 70 | |
Prozent Umsatz eingebüßt. | |
## Förderung der Branche dringend nötig | |
Den Zuschuss für Soloselbstständige in Höhe von 600 Euro hat Sallusti | |
beantragt, aber noch nicht erhalten. Doch der werde den Liquiditätsengpass | |
bei Weitem nicht beseitigen: „Die Branche braucht dringend Förderung | |
jenseits der bereits beschlossenen Kredite für Unternehmen und auch für die | |
Phase zwei“, fordert sie. | |
Vorerst ist in dem Coronahilfspaket der Regierung kein spezifischer Fonds | |
für die Buchbranche vorgesehen, anders als zum Beispiel für die | |
audiovisuelle Sparte. Das lässt die Schätzungen des Verlegerverbands AIE | |
noch besorgniserregender erscheinen: Im letzten Monat wurde ein | |
Umsatzeinbruch in Höhe von 70 bis 75 Prozent erhoben; innerhalb eines | |
Jahres sollen zudem rund 23.200 weniger Titel veröffentlicht werden. | |
Doch das reale Ausmaß der Krise dürfte noch dramatischer sein, denn für | |
viele in der Branche Arbeitende greifen das eingeführte Kurzarbeitergeld | |
und die Finanzspritze für Soloselbstständige nicht. Ihnen hilft auch die | |
vorgezogene Wiedereröffnung wenig. | |
## Notfalleinkommen für alle Existenzbedrohten gefordert | |
„In unserer Sparte gibt es verschiedenste Profile für ein und dieselbe | |
Arbeit, viele davon sind prekär“, erklärt Alberto Prunetti, Übersetzer und | |
Autor, eine wichtige Stimme der italienischen Arbeiterliteratur. Wie alle, | |
die Urheberhonorare beziehen, hat auch er vorerst keinen Anspruch auf | |
staatliche Hilfe. „Anders geht es Kolleg*innen, die mit Verträgen anderer | |
Art arbeiten. Nötig wäre ein universelles Notfalleinkommen für alle | |
Existenzbedrohten“, so Prunetti. | |
Für die Buchbranche erhofft er sich einen Krisentisch mit allen | |
Akteur*innen der Wertschöpfungskette: „Nur so kann man einen | |
Paradigmenwechsel herbeiführen. Keineswegs dürfen wir nach Corona zur | |
‚Normalität des Prekariats‘ in der Buchbranche zurückkehren.“ | |
Die unabhängige Verlegerin Daniela Di Sora (Voland) aus Rom fürchtet, dass | |
sich das Machtgefälle auf dem Markt in der Erholungsphase verstärken | |
könnte. „Die Verlagsgruppen haben den Vorteil, eigene Buchhandlungsketten | |
zu besitzen. Dort werden sie besonders auf eigene, verkaufsstarke Titel | |
setzen, sobald diese auf den Markt kommen. Zum Nachteil von uns Kleinen und | |
dem der Bibliodiversität“, sagt sie. | |
## Ausgaben und Einnahmen geteilt | |
Inzwischen setzen jene unabhängigen Buchhändler*innen, die beschlossen | |
haben, vorerst noch geschlossen zu bleiben, auf gegenseitige Unterstützung. | |
In Neapel entstand LIRe, das Netzwerk der kleinen Buchläden der Altstadt. | |
„Wir teilen uns in diesen schwierigen Zeiten Ausgaben und Einnahmen aus dem | |
Buchverkauf. Es geht jedoch vor allem darum, in der ‚marginalisierten‘ | |
Dimension unserer Arbeit vereint zu sein“, erklären Cecilia Arcidiacono und | |
Fabiano Mari von der Buchhandlung Tamu. | |
In Messina arbeitet Venera Leto von der Buchhandlung Colapesce an einer | |
illustrierten Karte der kleinen Buchläden Italiens: „Damit will ich die | |
unverzichtbare Arbeit vieler mutiger Buchhändler*innen sichtbar machen“, | |
sagt die studierte Architektin. | |
Giorgia Sallusti plant, gemäß der Verordnung der Region Latium am 20. April | |
wieder zu öffnen. Mit Hilfe des Staats rechnet sie für die nahe Zukunft | |
nicht: „Ich werde meiner eigenen Kraft, der Solidarität der Leser*innen, | |
dem Verständnis der Verleger und des Vermieters vertrauen.“ Luca Allodi von | |
der Mailänder Buchhandlung Tempo Ritrovato Libri gibt sich noch | |
pessimistischer: „Ich fürchte mich vor dem, was auf uns zukommt. Denn wir | |
sind existenzbedroht und alle anderen auch. Da ist die Buchbranche | |
sicherlich nicht in den Gedanken der Entscheidungsträger.“ | |
20 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Italiens-Regierung-lehnt-ESM-Hilfen-ab/!5675490 | |
## AUTOREN | |
Gloria Reményi | |
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