# taz.de -- Konflikt um Windkraft im Ausland: Norwegen als „Stromkolonie“ | |
> Die Bundesregierung unterstützt es, wenn deutsche Windkraft-Investoren | |
> verstärkt im Ausland bauen. Selbst wenn die Natur zerstört wird. | |
Bild: Trockenlegung von Mooren für einen Windpark? Ein Streit über Klimschutz… | |
STOCKHOLM taz | Für böses Blut bei norwegischen Naturschutzorganisationen | |
hat ein Vorstoß des deutschen Botschafters in Oslo gesorgt. Dem | |
diplomatischen Vertreter der Bundesrepublik wird vorgeworfen, er mische | |
sich in ein laufendes Rechtsmittelverfahren ein und versuche, im Sinne | |
eines privaten deutschen Investors Druck auf die Entscheidung der | |
norwegischen Regierung über den Bau von Winkraftanlagen ausüben zu wollen. | |
Die Bundesrepublik lasse dabei die Naturschäden, die mit diesem Projekt | |
verbunden sind, völlig außer acht. | |
Das Datum vom 26. März trägt die E-mail des deutschen Botschafters in Oslo | |
Alfred Grannas, die dieser an den „lieben Staatssekrerär Tiller“ im | |
norwegischen Öl- und Energieministerium schickte und die in der | |
[1][vergangenen Woche öffentlich bekannt] wurde. Der Botschafter beklagt | |
sich darin über „ein Problem, das wir leider nicht zum ersten Mal auf der | |
Tagesordnung haben“, nämlich die „Investionssicherheit für ausländische | |
(hier deutsche) Investoren im Energiesektor in Norwegen“. | |
Und er verweist für den Fall einer für den deutschen Investor „Prime | |
Capital“ ungünstigen Entscheidung des Ministeriums auf die Möglichkeit | |
eines „langen Rechtsstreits“, „der doch in Krisenzeiten wie diesen für | |
keine Partei von Nutzen sein würde“. | |
Es geht um Andmyran. Das „Enten-Moor“ ist ein Küstenmoorgebiet auf der zur | |
Inselgruppe der Vesterålen gehörenden Insel Andøya, einem der größten | |
derartigen Torfmoorgebiete des Landes. Ein noch weithin unberührtes | |
Feuchtgebiet mit hoher Artenvielfalt, darunter seltenen und vom Aussterben | |
bedrohten Arten und einem reichen Vogelleben. Ein global wichtiges Nist- | |
und Rastgebiet für Vogelarten wie Prachttaucher, Singschwan, | |
Schmarotzerraubmöwe oder den streng geschützten Kampfläufer. | |
## „Hier hätte nie eine Genehmigung erteilt werden dürfen“ | |
„Die Pläne für dortige Windkraftwerke gehören zu den naturschädlichsten | |
Windkraftprojekten im ganzen Land“, sagt Silje Ask Lundberg, Vorsitzende | |
des norwegischen Naturschutzverbands: „Hier hätte nie eine Genehmigung | |
erteilt werden dürfen.“ „Prime Capital“, laut Selbstdarstellung ein „A… | |
Manager und Finanzdienstleister, der sich auf die Bedürfnisse | |
institutioneller Kunden fokussiert hat“, verwaltet für vorwiegend deutsche | |
Großinvestoren über 16 Milliarden Euro, die man vor allem in den | |
profitablen Sektor erneuerbarer Energiequellen investiert. | |
Konkret steigt er gerne in bereits fertig projektierte und genehmigte | |
Projekte ein. So auch beim Enten-Moor, wo „Prime Capital“ einem | |
schwedischen Konzern 2018 die Aktien an einem Unternehmen abkaufte, das die | |
Genehmigung zum Bau für dort zu errichtende Windkraftanlagen mit einer | |
Gesamtleistung von 160 Megawatt besaß. | |
Doch Andmyran hat einen Haken. [2][Die Genehmigung für Bau und Betrieb von | |
Windkraftanlagen] stammt aus dem Jahre 2006. Es war eine Zeit, in der man | |
in Oslo von der Bedeutung der Moore für den Naturschutz und das Klima noch | |
andere Vorstellungen hatte als heute und kein Problem darin sah, so ein | |
Feuchtgebiet einfach trockenlegen zu lassen. Die damalige Genehmigung ist | |
zeitlich befristet und nur gültig für Windkraftanlagen, die spätestens Ende | |
2020 ihren Betrieb aufnehmen. | |
Das scheint zeitlich zu eng für „Prime Capital“ und die Windkraftfirma | |
„Andmyran Vind“ zu werden. Die wollte im September mit dem Bau beginnen und | |
beantragte deshalb eine einjährige Fristverlängerung, die man offenbar auch | |
als sicher eingeplant hatte. Doch das Öl- und Energieministerium lehnte die | |
Fristverlängerung Ende März ab. Die Begründung von Energieministerin Tina | |
Bru: Ausschlaggebend seien die zwischenzeitlich national wie international | |
gewonnenen Erkenntnisse über die Bedeutung von Mooren gerade für den | |
Klimaschutz. | |
## Eine zehnfache Betonmenge | |
Im [3][ministeriellen Bescheid] wird ausgeführt, dass der Bau der rund 20 | |
Kilometer langen Wege zwischen den einzelnen Windrädern zusammen mit den | |
notwendigen umfassenden weiträumigen Schachtarbeiten einen extremen | |
Eingriff in die Moorlandschaft darstellen werde. Außerdem würde für jedes | |
Fundament auf diesem Untergrund die zehnfache Betonmenge gegenüber | |
„normalen“ Windradfundamenten erforderlich werden, was die Klimabilanz | |
dieser Anlage deutlich negativ beeinflusse. | |
Die Investoren legten gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Gleichzeitig | |
schaltete sich die deutsche Botschaft mit dem nun bekannt gewordenen Brief | |
für „Prime Capital“ in dieses Rechtsmittelverfahren ein. Dabei | |
unterscheiden sich die norwegischen Erkenntnisse über die Rolle von Mooren | |
nicht von denen der Bundesregierung. Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth | |
hält intakte Moore als [4][„für den Schutz des Klimas von zentraler | |
Bedeutung“], da diese „mehr CO2 als jedes andere Ökosystem der Welt“ | |
speichern. | |
Das norwegische Parlament hat 2019 aus Gründen des Klimaschutzes die | |
Trockenlegung von Mooren gleich generell verboten. Warum, so fragt man sich | |
nun in Norwegen, soll das, was für die Bundesregierung in Deutschland von | |
„zentraler Bedeutung“ ist, für den Repräsentanten Deutschlands in Norwegen | |
offenbar keine Rolle spielen, wenn er sich in Sachen Andmyran einseitig auf | |
die Seite der Interessen eines deutschen Investors schlägt und dabei die | |
mit diesem Projekt verbundene Naturschutzproblematik offenbar völlig | |
ausblendet? | |
Es sei nicht ungewöhnlich, dass ein Diplomat sich für wirtschaftliche | |
Interessen von Firmen seines Landes engagiere, meint Halvard Leira, | |
Forscher für internationale Beziehungen an Norwegens außenpolitischem | |
Institut NUPI. Doch geschehe dies gewöhnlich über „informelle Kanäle“: | |
„Absender wie Adressat bevorzugen ja, dass das nicht bekannt wird.“ Für | |
seine in Frage stehende Mail verwendete der deutsche Botschafter den | |
formellen Kanal, so dass diese in der Liste für elektronische Post des | |
Ministeriums registriert wurde. | |
## „Es geht weit über alle Grenzen“ | |
Damit hatte nach dem norwegischem Öffentlichkeitsprinzip jede Person das | |
Recht, eine Kopie zu verlangen. In diesem Fall war Kari Vik, die auf Andøya | |
lebt und sich seit 15 Jahren gegen die dortigen Windkraftpläne engagiert, | |
auf die die Mail aufmerksam geworden. Und sie empört sich: „Es geht weit | |
über alle Grenzen“, wie sich hier ein Botschafter und der deutsche Staat | |
von einem Windkraftunternehmen für dessen Interessen einspannen lasse. | |
Bestimmt jetzt die Bundesrepublik über das Schicksal des Andmyran, fragt | |
auch Christina Fjeldavli von der Naturschutzorganisation „Motvind SørVest“ | |
und hört aus dem Botschafterbrief ein regelrechtes „Säbelrasseln“ heraus. | |
Ihre Organisation hat einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel | |
geschickt, in dem man dieser mitteilt „dass viele Norweger*innen hierauf | |
mit Entsetzen und Misstrauen reagieren“. | |
In den Kommentarspalten von Medienberichten über das Thema tauchen manche | |
Assoziationen zu Kriegs- und Besatzerzeiten auf, wie: „Glauben die | |
Deutschen, sie könnten immer noch in Norwegen bestimmen?“ oder „Ich dachte, | |
wir hätten die 1945 hinausgeworfen?“ Auf Protestschildern auf Andøya war | |
und ist vor dem Hintergrund, dass deutsche berufsständische | |
Versorgungswerke zu den Kapitalgebern von „Prime Capital“ gehören, zu | |
lesen: „Deutsche Renter wollen unsere Insel zerstören“ oder „Deutsche | |
Rentner wollen Kohlenstoff aus unserem Moor freisetzen“. Und auch: | |
„Norwegen unter alles?“ | |
Was die Stimmung in Norwegen zusätzlich anheizt, ist die Tatsache, dass das | |
Engagement deutscher Investoren in umstrittene Windkraftprojekte kein | |
Einzelfall ist. Es ist für sie attraktiv, hier zu bauen. Mit Hilfe des | |
Systems der Herkunftsnachweise lässt sich mit einer Stromproduktion aus | |
erneuerbaren Quellen in Norwegen in Deutschland die entsprechende Menge | |
Fossil- und Atomstrom „grün anmalen“ und auf dem Strommarkt zu | |
Ökostromtarifen vermarkten. | |
## Kein Einzelfall | |
Und es passiert auch nicht zum ersten Mal, dass sich die deutsche Botschaft | |
in Oslo einschaltet, wenn sie dort Interessen deutscher Investoren im | |
Energiebereich bedroht sieht. So war es bereits im vergangenem Jahr bei | |
einem Windkraftprojekt auf der Insel Frøya, bei dem die Stadtwerke München | |
Hauptinvestor sind und bei dem angesichts umfassender Protestaktionen | |
zeitweise nur unter Polizeischutz gearbeitet werden konnte. | |
Die taz hätte von der Botschaft in Oslo gerne erfahren, warum sich die | |
Bundesrepublik Deutschland in Sachen Andmyran so eifrig für die Interessen | |
eines Investors und damit gegen Natur- und Klimaschutz engagiert und | |
stellvertretend für diesen gleich auch noch einen „langen Rechtsstreit“ in | |
Aussicht stellt, sollte die norwegische Regierung nicht wunschgemäss | |
entscheiden. Botschafter Alfred Grannas teilte auf Anfrage aber mit, dass | |
sich die Botschaft wegen des anhängigen Verfahrens „nicht weiter zum | |
Sachverhalt äußern“ könne. | |
17 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://motvind.org/wp-content/uploads/2020/04/Andmyran-vindkraftverk.Den-t… | |
[2] /Erneuerbare-Energien-in-Skandinavien/!5432307 | |
[3] https://www.regjeringen.no/contentassets/0dca22e832a947718b15e2b07ef2ec81/a… | |
[4] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/moore-die-natuerlichen-fil… | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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