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# taz.de -- Angst und Unsicherheit trotz Kirchenasyl: Gott hilft den Geduldigen
> Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat wegen der
> innereuropäischen Grenzschließungen den Zeitraum für Abschiebungen
> einfach verlängert.
Bild: Eine Aktion pro Kirchenasyl (in Regensburg)
Berlin taz | In der Coronakrise müssen Flüchtlinge, die sich im Kirchenasyl
befinden, dort länger ausharren als sonst. Dabei sind Abschiebungen, vor
denen das Kirchenasyl schützen soll, derzeit fast unmöglich, da die meisten
Staaten der Welt momentan niemanden aus der Coronahochburg Deutschland
aufnehmen wollen. Und auch das Dublin-Abkommen, dem zufolge Flüchtlinge für
ihr Asylverfahren in den europäischen Staat zurückgeschickt werden, den sie
als ersten betreten haben, wurde während der Coronakrise ausgesetzt.
Doch laut Gottfried Martens, Pastor der Evangelisch-Lutherischen
Dreieinigkeitsgemeinde in Steglitz, in der mehrere Afghanen und Iraner
Schutz vor Rückführungen in andere EU-Staaten suchen, haben seine
Schützlinge in den vergangenen Tagen Post vom Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) bekommen. Darin erkläre das Amt, die Frist für die
Überstellung in andere EU-Staaten werde einfach um die Monate der
Coronakrise verlängert. Martens: „Dieser Brief war für die Flüchtlinge sehr
bitter. Die rechtliche Begründung war so hanebüchen, dass ich mich frage,
ob das ein Praktikant im Bundesamt geschrieben hat.“
Das zuerst 1990 in Dublin beschlossene Abkommen gibt den beigetreten
EU-Staaten eigentlich 6, in Ausnahmefällen 18 Monate Zeit, Geflüchtete in
den Staat zurückzuschicken, der als Erstaufnahmeland für ihr Asylverfahren
zuständig ist. Das Kirchenasyl bietet während dieser Wartezeit Schutz vor
Abschiebung. Denn aus Kirchen holt die Polizei niemanden zur Abschiebung
ab. Nach Ablauf von 6 oder 18 Monaten können diese Menschen ihr Kirchenasyl
verlassen und in Deutschland Asyl beantragen. Normalerweise. Aber eben
nicht in Zeiten der Coronakrise.
In Berlin gibt es derzeit 29 Fälle von Kirchenasyl, die insgesamt 61
Personen betreffen. In 24 dieser Fälle geht es um Abschiebeschutz auf Zeit
nach dem Dublin-Abkommen: also um Menschen, die nach Griechenland, Italien
oder Bulgarien zurückgeschickt werden sollen, weil sie dort bereits
registriert waren, bevor sie nach Deutschland kamen. Viele hatten in diesen
Ländern allerdings traumatische Erlebnisse, weil sie dort inhaftiert waren,
nicht versorgt wurden oder in Massenlagern vegetieren mussten. Oder aber
ihr Asylantrag wurde in einem anderen EU-Staat bereits abgelehnt, und sie
suchen in Deutschland eine zweite Chance. Die meisten dieser sogenannten
Dublin-Fälle im Kirchenasyl sind laut „Asyl in der Kirche“ zudem kranke
Menschen, die auf die Hilfe ihrer hier lebenden Angehörigen angewiesen
sind.
## „Viele der Flüchtlinge im Kirchenasyl sind krank“
Die Arbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ hat den Kirchengemeinden
empfohlen, die Kirchenasyle weiterzuführen und nicht zu unterbrechen. Das
sagt deren Sprecher Bernhard Fricke der taz. Im März, wenige Tage nach den
ersten Coronamaßnahmen in Deutschland, sei sogar eine Person neu in das
Kirchenasyl aufgenommen worden. Grund ist die Gefahr, dass bald wieder
Abschiebungen zurück in andere EU-Staaten möglich sein könnten.
Aber es gibt weitere Gründe: Die Rückkehr der Flüchtlinge in das normale
Asylsystem sei – ebenfalls coronabedingt – schwierig. Die Behörden, die die
Geflüchteten dann unterbringen oder aus dem Dublin-Verteilsystem
herausnehmen müssten, seien aktuell nur schwer zu erreichen. Eine spätere
erneute Aufnahme in das Kirchenasyl müsste gegenüber den Behörden erneut
durchgesetzt werden. Eine weitere Schwierigkeit.
Und, so Cecilia Juretzka von „Asyl in der Kirche“: „Viele der Flüchtlinge
im Kirchenasyl sind krank. Da sind sie in kircheneigenen Wohnungen besser
vor einer Infektion geschützt als in einer Gemeinschaftsunterkunft.“
Der Nachteil für die Kirchengemeinden: Sie müssen weiter für ihre
Schützlinge den Lebensunterhalt bezahlen. Während des Kirchenasyls
übernimmt der Staat nicht einmal die Kosten für medizinische Behandlungen.
Für Arztbesuche und Medikamente zahlen die Kirchengemeinden, bei
Krankenhausaufenthalten behandeln konfessionelle Krankenhäuser oft
kostenlos. Für die Kirchengemeinden, denen wegen Corona die
Kollekteneinnahmen fehlen, ist die finanzielle Belastung enorm.
Und Pastor Martens erwartet weitere Belastungen: Zwar hat die EU-Kommission
letzte Woche das Vorgehen des BAMF als nicht europarechtskonform erklärt.
Es sei aber nicht zu erwarten, dass das BAMF seine Rechtsauffassung einfach
ändere: „Wir werden in jedem Einzelfall vor Gericht klagen müssen.“
23 Apr 2020
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Flüchtlinge
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Kirchenasyl
Abschiebung
Asyl
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Coronavirus
Kirchenasyl
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