# taz.de -- Prozess wegen Kirchenasyl: Schuldig ohne Strafe | |
> In Sonthofen muss ein Pfarrer Bußgeld bezahlen, weil er einen Afghanen | |
> vor der Abschiebung bewahrte. Eine grundsätzliche Entscheidung blieb aus. | |
Bild: Irgendwie schuldig. Oder doch nicht? Ulrich Gampert und Reza Jafari im Ge… | |
SONTHOFEN taz | Schon vor dem kleinen Amtsgericht in Sonthofen im | |
Oberallgäu ist es voll. Zwei Dutzend Unterstützer des evangelischen | |
Pfarrers Ulrich Gampert und des afghanischen Flüchtlings Reza Jafari stehen | |
an der Eingangstür Schlange und wollen rein. Doch drinnen im größten | |
Sitzungssaal 001 ist schon längst jeder der 30 Plätze besetzt, auch ein | |
doppelt so großer Raum wäre gefüllt worden. | |
Gibt es hier nun an diesem Mittwochnachmittag eine Grundsatzentscheidung | |
zum Thema Kirchenasyl? Darf der Staat Geistliche belangen, die abgelehnte | |
Asylbewerber in Kirchenräumen aufnehmen, so wie es Gampert im Nachbarort | |
Immenstadt mit Jafari gemacht hat? Oder wird ein Gericht, in diesem Fall | |
das Amtsgericht Sonthofen, entscheiden, dass das Kirchenasyl mit seiner | |
jahrhundertealten Tradition rechtens ist? | |
Erstmals steht mit Gampert jetzt ein Pfarrer in [1][Bayern] deshalb vor | |
Gericht. Das Urteil, das nach Stunden der Gespräche mit den Beteiligten in | |
einem verschlossenen Nebenzimmer herausgekommen ist, lässt eine | |
allgemeinere Klärung aber vermissen: Gampert, 64 Jahre alt, wird von der | |
Richterin Brigitte Gramatte-Dresse ebenso wie der 23-jährige Reza Jafari | |
zwar für schuldig erklärt. „Der Kirche ist es verwehrt, Asyl zu geben“, | |
sagt sie. Allerdings stellt sie den Fall – „Beihilfe zum unerlaubten | |
Aufenthalt“ – ein, wegen „Geringfügigkeit“. Gampert muss nun ein Bußg… | |
über 3000 Euro an das interkulturelle „Haus International“ in Kempten | |
bezahlen, Jafari 80 Stunden Sozialarbeit leisten. | |
Damit ist ein Urteil gefällt, das keinen Sieger und keinen Verlierer | |
hinterlässt. Es komme immer auf den Einzelfall an, so die Richterin. Der | |
Pfarrer und der Schutzsuchende bleiben straffrei, sie sind nicht | |
vorbestraft. Die Staatsanwaltschaften aber können bei Kirchenasylen auch | |
künftig ermitteln und Anklagen erheben. Im Fall des Afghanen stellt die | |
Richterin klar, dass einiges schiefgelaufen war. So steht in seinen Akten, | |
dass er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden sei. | |
Dies aber habe sich als nachweislich falsch erwiesen, schuld sei eine | |
Namensverwechslung. Zudem sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, wie | |
erheblich Jafari traumatisiert ist. | |
## Im juristischen Nirvana | |
Ursprünglich hatte Pfarrer Gamper einen Strafbefehl über 4000 Euro | |
erhalten. Damit wäre er vorbestraft und das Kirchenasyl als rechtswidriges | |
Handeln eingestuft gewesen. Dagegen gab es im Allgäu großen Protest, | |
hunderte Geistliche und Unterstützer hielten im Sommer einen Schweigemarsch | |
in Kempten ab. Gampert hat gegen den Strafbefehl Widerspruch eingelegt, | |
deshalb ist es zu dem Prozess gekommen. Richterin Gramatte-Dresse beklagt | |
die Rechtslage: „Wir befinden uns in einem juristischen Nirvana.“ | |
Zwischen dem Bundesamt für Migration (Bamf) und den Kirchen gibt es die | |
Übereinkunft, dass Fälle von Kirchenasyl noch einmal gründlich überprüft | |
werden. Dafür sollen die Asylgewährer ausführliche Informationen über die | |
jeweiligen Fälle vorlegen. Tatsächlich wurde laut Bamf im vergangenen Jahr | |
noch in 13 Prozent der Fälle eine besondere Härte festgestellt. | |
Gleichzeitig sinkt die Zahl der Anerkennung von Kirchenasyl-Fällen beim | |
Bamf stetig, während der Druck auf die Gemeinden steigt: Mitte des Jahres | |
2019 lag die Quote der Kirchenasyl-Fälle, bei denen das Bundesamt besondere | |
Härtefälle anerkannte und das Asylverfahren in Deutschland übernommen | |
wurde, nur noch bei 1,4 Prozent. | |
Der Afghane Reza Jafari hatte eine Petition an den Bayerischen Landtag | |
gesendet. Mit Erfolg: Derzeit darf er nicht [2][abgeschoben] werden. Er | |
absolviert gerade eine Ausbildung und gilt als gut integriert. Seit zwei | |
Jahren ist er mit einer Deutschen verlobt, sie wollen heiraten, doch dafür | |
benötigt er noch Papiere aus Afghanistan, die schwer zu beschaffen sind. | |
Mittelmäßig erleichtert zeigt sich Ulrich Gampert nach dem Prozess. Mit | |
seiner Frau hat er nun mittlerweile das dritte Kirchenasyl hinter sich. | |
Diese seien immer „sehr erschöpfend“ für alle Beteiligten. Jeder Fall wer… | |
vorab von der Kirchengemeinde gründlich geprüft. Bestehe Lebensgefahr, | |
könne er sich nicht verwehren. Alle umarmen sich nun draußen vor dem Saal. | |
Pfarrer Gampert hat weiterhin den Wunsch, so sagt er, „dass Kirchenasyle | |
grundsätzlich nicht verfolgt werden“. | |
19 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
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