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# taz.de -- Schulöffnungen unter Corona: Und die Förderschulen?
> Diese Woche nehmen die ersten Förderschüler*innen wieder den Unterricht
> auf. An regulären Schulbetrieb ist aber nicht zu denken.
Bild: Homeschooling für Sonderschüler*innen lässt sich nur schwer umsetzen
Berlin taz | Diese Woche öffnen die ersten Schulen wieder ihre Türen. In
manchen Ländern für Abiturient*innen, die nur für ihre Abschlussprüfungen
ins Schulhaus müssen, in anderen Ländern starten die ersten Klassen mit den
Prüfungsvorbereitungen. Für die Wiederaufnahme des regulären Unterrichts,
der [1][in den nächsten Wochen schrittweise ausgebaut] werden soll, müssen
sich die Schulen nun vorbereiten.
Kleine Lerngruppen, Schicht- und Wochenendbetrieb, strikte Abstandsregeln:
Mit den – je nach Bundesland eigenen – Vorgaben und Empfehlungen [2][kommen
Schulträger und Pädagog*innen vielerorts ins Schwitzen]. Förderschulen
hingegen stellen die Hygiene- und Schutzmaßnahmen vor eine kaum lösbare
Aufgabe. Nordrhein-Westfalen hat deshalb angekündigt, Förderschulen – mit
Ausnahme der Prüfungsklassen mit körperlich beeinträchtigten Kindern –
vorerst geschlossen zu halten.
„Schülerinnen und Schüler dieser Schulen benötigen zum einen oftmals
ergänzende pflegerische und therapeutische Angebote, die besonderen
Hygienemaßnahmen unterliegen“, so die Begründung. Zudem sei es „den
Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer Disposition nicht immer in
ausreichendem Maße möglich, die in Corona-Zeiten notwendigen Regeln
einzuhalten.“
Mit dieser ausdrücklichen Regelung ist NRW jedoch die Ausnahme. Die meisten
anderen Länder verlieren über die Förderschulen kein gesondertes Wort – wie
schon vor sechs Wochen, als landesweit alle Schulen geschlossen wurden und
viele Eltern sich plötzlich auch um Kinder kümmern mussten, die besondere
medizinische oder pädagogische Betreuung nötig haben.
## Homeschooling? Schwer!
So wie der Sohn von Jan Klug. Der 13-Jährige besucht eine Förderschule mit
dem Schwerpunkt „geistige Entwicklung“ in Gelsenkirchen in
Nordrhein-Westfalen. Was Klug von den vergangenen Wochen erzählt, belegt,
[3][wie schwer sich Homeschooling] für Sonderschüler*innen umsetzen lässt.
Mit seiner Tochter, die eine Berufsschule besucht, könne er schnell mal bei
einer Powerpoint-Präsentation helfen, so Klug. Bei seinem Sohn sei das
anders: „In seinem Fall können wir das pädagogische Konzept des Unterrichts
nur erahnen.“
Problematisch sei vor allem, dass die Lernmaterialien nicht – wie bei
anderen Schulen – per Mail gesendet werden können. Viele der
Unterrichtsmaterialien seien Gegenstände, die sich in der Schule befänden
und nicht alle Kinder mit nach Hause nehmen könnten. Jan Klug sagt, dass er
und seine Frau nun improvisieren und einfach zu dem greifen, was bei ihnen
zuhause so rumliegt.
Dass die spezifischen Belange von Förderschulen in der Politik nur bedingt
Gehör finden, sei nichts Neues, sagt Klug, der auch im Vorstand der
Landeselternkonferenz sitzt. Der Umgang in der Corona-Krise bestätige nur
seine bisherigen Erfahrungen. Vor allem [4][über die Stellungnahme der
Leopoldina], an der sich Bund und Länder bei der schrittweisen Schulöffnung
orientiert haben, hat sich der Ingenieur geärgert.
Auf das besondere Betreuungsbedürfnis von Grundschüler*innen und
Kitakindern seien die Wissenschaftler*innen in ihren Empfehlungen
eingegangen. „Förderbedürftige Kinder werden auf den 18 Seiten jedoch an
keiner Stelle erwähnt“, so Klug. Für ihn ein typisches Beispiel, wie „mit
Behinderten im Allgemeinen und ihren Familien im Besonderen“ umgegangen
werde.
## Unklares Unterrichtskonzept
Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert den
Umgang der Landesregierungen während der Coronakrise. „Bisher hat die
Politik die Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen weitgehend sich
selbst überlassen“, beobachtet GEW-Vorstandsmitglied lka Hoffmann.
Schulträger- und Behörden fordert sie auf, Förderschulen mit speziellen
Schutzkonzepten und Beratung zu unterstützen.
Doch wie ein regulärer Unterricht an Förderschulen zurzeit aussehen könnte,
bleibt vielerorts unklar. Nur wenige Bundesländer haben diesbezüglich
überhaupt spezifische Ankündigungen gemacht. Klar ist bislang nur: Die
Öffnung hängt mit dem jeweiligen Förderschwerpunkt der Schule und der
daraus entstehende Betreuungssituation zusammen. Und: Förderschüler*innen,
die dieses Jahr einen Abschluss schreiben, starten in der Regel zeitgleich
mit den Abschlussklassen anderer Schularten. Nach Angaben des Statistischen
Bundesamtes betrifft das an den Förderschulen in diesem Schuljahr 16.000
Jugendliche.
Die Förderschüler*innen aus Sachsen starten am heutigen Mittwoch mit ihrer
Prüfungsvorbereitung. Am Donnerstag sind dann Förderschüler*innen in
Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt dran. Förderschulklassen in Berlin,
Brandenburg und Bayern etwa folgen kommenden Montag. In manchen
Bundesländern ist derzeit noch offen, wann und wie Förderschüler*innen
überhaupt wieder unterrichtet werden können. Viele Bundesländer bieten aber
wie in den vergangenen Wochen weiter eine Notfallbetreuung an. [5][Doch
auch die sehen Beteiligte kritisch].
Zum Beispiel Sabine Behrendt, Schulleiterin der Städtischen Schule mit dem
sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ in Brandenbu…
an der Havel. Derzeit befänden sich bei ihnen zwar nur vier Kinder in der
Notbetreuung. Doch Behrendt beobachtet, wie wenig die Kinder die
verordneten Schutzmaßnahmen einhalten können. Durch den engen Kontakt von
Lehrkräften und Schüler*innen sei es nahezu unmöglich, einen Abstand von
zwei Metern einzuhalten. Außerdem sei es für die Kinder schwer, sich an
Hygieneregeln zu halten. „Bei Schnupfen ist da sofort mal die Hand im
Gesicht“, erzählt Behrendt.
## Schutz kaum möglich
Und das kann für Kinder mit Vorerkrankungen im Fall einer Infektion
gefährlich werden. Eine Infektion aber lässt sich aber schwer verhindern,
weil die Kinder bei einem Schulbesuch mit deutlich mehr Personen in Kontakt
kommen als zuhause: der Fahrdienst vom Roten Kreuz, die
Schulbegleiter*innen – all dies erhöht das Ansteckungsrisiko für
Förderschüler*innen, die ohnehin oft [6][zur Risikogruppe gehören].
Andererseits weiß die Schulleiterin auch, was geschlossene Förderschulen
für die Eltern bedeuten. „Unsere Kinder sind speziell. Die Eltern können
sich mit ihnen nicht einfach an den Tisch setzen und Aufgaben auf
E-Learning-Plattformen lösen.“
Dennoch ist Behrendt insgesamt froh, dass die Förderschulen geschlossen
sind. Ursprünglich wollte das Kultusministerium in Brandenburg einen Teil
der Förderschulen sogar noch offen halten, als bereits alle anderen Schulen
wegen der Corona-Pandemie dicht waren. Die Entscheidung ist bei Eltern und
Schulen gleichermaßen auf Unverständnis gestoßen: Mit dieser Regelung
konnten im Endeffekt die Eltern entscheiden, ob ihre Kinder weiter zur
Schule gehen oder nicht, kritisiert Sabine Behrendt von der Havelschule.
Immerhin habe die Landesregierung diese Regelung schnell aufgegeben und die
Förderschulen bis auf die Notbetreuung geschlossen. Und so wird es wohl
erst mal bleiben.
## Wenig öffentliche Wahrnehmung von Förderschulen
Für [7][viele betroffene Eltern] ist die jetzige Situation ein großes
Problem. Nicht alle sind so flexibel mit ihren Arbeitszeiten wie der
Ingenieur Klug aus Gelsenkirchen. Hinzu kommt, dass Förderschulen in der
Regel Ganztagsschulen sind. Das heißt, Kindern und Eltern stehen oftmals
keine außerschulischen Betreuungsmöglichkeiten zu. Und: Ein Teil der Eltern
besuchte früher selbst eine Förderschule oder hat Migrationshintergrund.
Letzteres sei ein Grund dafür, dass die Förderschulen in der Öffentlichkeit
kaum wahrgenommen würden, glaubt Jan Klug. Andererseits würden sich Land
und Kommunen für Förderschulen wenig interessieren. Klug macht dies daran
fest, dass sich Kommunen und Landesregierung die Verantwortung für die
Förderschulen hin und schieben würden. Zum Beispiel für die
Betreuungssituation.
Auch Familie Klug merkt, dass der Sohn zunehmend unter der Schulschließung
leidet. Zwar könne er nicht sprechen. Dass aber nun der Schulbus unter der
Woche nun nicht mehr kommt und ihn abholt, bedrücke ihn dennoch sehr,
erzählt Klug. „Uns fällt es schwer ihm zu vermitteln, dass es nicht seine
Schuld ist, dass die Schule momentan nicht stattfindet.“
21 Apr 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Luisa Kuhn
Ralf Pauli
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