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# taz.de -- Geflüchtete in der Coronakrise: Flehen um den Notarzt
> In einer Geflüchtetenunterkunft mussten Mitbewohner*innen protestieren,
> damit ein Mann mit Corona-Verdacht ins Krankenhaus gebracht wurde.
Bild: Geflüchtete, die medizinische Hilfe forderten, haben an einem Zaun gerü…
Hamburg taz | Sechs Stunden hätten sie auf den Notarzt warten müssen,
berichten Geflüchtete aus der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung im
Mecklenburg-Vorpommerschen Nostorf/Horst. Dort gab es vorigen Mittwoch
einen Verdacht auf eine Corona-Erkrankung. Ein 28-jähriger Iraner hatte
hohes Fieber und wollte in ein Krankenhaus gebracht werden.
Doch erst nach massivem Protest weiterer Bewohner*innen, weswegen auch die
Polizei anrückte, sei es dazu gekommen, heißt es von der
[1][Geflüchteteninitiative Pro Bleiberecht]. Insgesamt habe es sechs
Stunden gedauert, ehe der Mann von einem Krankenwagen abgeholt wurde.
„Dadurch wurden [2][sowohl der Erkrankte als auch rund 80 Bewohner*innen
gefährdet]“, sagt Hanna Berth von der Initiative.
„Wie uns Bewohner*innen erzählten, sollte er mit hohem Fieber weiter in dem
Sammelhaus bleiben“, sagt Berth. In dem Sammelhaus sind innerhalb des
Geländes der Erstaufname Corona-Verdachtspersonen isoliert untergebracht.
Das wollten aber weder der Erkrankte noch die anderen Bewohner*innen
akzeptieren: Sie hätten deshalb den Feueralarm ausgelöst und am Bauzaun,
der das Haus umgibt, gerüttelt.
Hinzu komme: Ein Mitbewohner habe den Erkrankten später in den Krankenwagen
tragen müssen, weil Polizei und Sanitäter ihn nicht haben anfassen wollen.
„Zum Schluss wurde den Asylsuchenden vom Betreiber der Einrichtung zur
Strafe für den Protest das Internet abgestellt“, sagt Berth.
## Der Betreiber schweigt
Betrieben wird der Einrichtung von den Malteser Werken. Dort heißt es auf
Nachfrage zu den Vorwürfen, dass man sich grundsätzlich nicht äußere. Man
verweist an das Innenministerium in Schwerin. Das Innenministerium hatte
bereits einen Tag später [3][eine Mitteilung zu dem Vorfall]
veröffentlicht, in der es allerdings vorrangig um den Grund für den
Polizeieinsatz ging. Es sei zu „Tumulten, verschiedenen Sachbeschädigungen
im Haus und an den außen angebrachten Absperrungen“ gekommen. Als der
Erkrankte ins Krankenhaus verlegt wurde, habe sich die Lage wieder
beruhigt.
Die Kriminalpolizei habe deshalb die Ermittlungen wegen Sachbeschädigung
und Nötigung übernommen. „Die beteiligten Asylbewerber beseitigten
anschließend den von ihnen verursachten Schaden und entschuldigten sich für
ihr Verhalten bei den Betreuern“, sagt Behördensprecherin Dörte Lembke.
Zugleich bestätigt das Innenministerium, dass sich [4][die medizinische
Versorgung] des Mannes verzögerte. Warum das so war, könne man aber nicht
genau rekonstruieren, heißt es auf Nachfrage. Ebenso wenig konnte die
Ministeriumssprecherin Angaben zu den weiteren Vorwürfen von Pro
Bleiberecht machen.
Wegen Vorfällen in der Erstaufnahme steht das Land nicht zum ersten Mal in
der Kritik. Seit Jahren häufen sich die Vorwürfe, von der abgeschiedenen
Lage des Geländes bis zu hygienischen Missständen und übergriffigem
Verhalten von Mitarbeiter*innen. „Die Kritikpunkte, die wir seit Jahren
äußern, verschärfen sich durch die Coronapandemie gerade nur noch“, sagt
Berth. Sie kritisiert, dass Bewohner*innen, die zur Corona-Risikogruppe
gehörten, auch weiterhin dort untergebracht blieben. „Sie müssten da
eigentlich sofort raus“, sagt Beth.
## Ex-Gelände der Nationalen Volksarmee
Ähnlich sieht es auch Ulrike Seemann-Katz vom [5][Flüchtlingsrat in
Mecklenburg-Vorpommern]. Zwar seien manche Kritikpunkte über den Umgang mit
den Geflüchteten vom Land aufgenommen worden, doch regelmäßig erfahre der
Flüchtlingsrat, dass Vorgaben – etwa zur begrenzten Anzahl von
Bewohner*innen, die sich ein Zimmer teilen – nicht eingehalten würden. Ob
das die Regel ist? „Wir wissen zu wenig, denn seit Beginn der Maßnahmen
gegen die Corona-Ausbreitung gibt es eine Besuchssperre“, sagt
Seemann-Katz.
Doch eine Schließung der beiden Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes –
neben Nostorf/Horst gibt es noch eine weitere in Stern-Buchholz bei
Schwerin – und die Verteilung auf die Kommunen hält das Innenministerium
ebenfalls nicht für nötig. Dabei gab es in der Einrichtung in
Stern-Buchholz bereits [6][Ende März einen Ausbruch] des Virus, mehr als 40
Geflüchtete und Mitarbeiter*innen hatten sich infiziert. Auch in
Nostorf/Horst haben sich nach Angaben der Behörden bislang sieben Personen
mit dem Coronavirus infiziert.
Durch die Möglichkeit zur Isolation von Verdachtsfällen in abgezäunten
Gebäuden auf dem ehemaligen Militärgelände der Nationalen Volksarmee sieht
die Behörde einen ausreichenden Schutz gewährleistet. Darüber hinaus
würden Infizierte nach bestätigter Erkrankung in eine Ausweicheinrichtung
in Parchim verlegt werden, bis sie wieder gesund seien.
Immerhin: Eine Infizierung mit dem Coronavirus habe sich bei dem Iraner
nicht bestätigt, er habe das Krankenhaus am Freitag verlassen können und
sei wieder in die Einrichtung gebracht worden.
19 Apr 2020
## LINKS
[1] http://bleiberecht-mv.org/de/
[2] /Schutz-vor-Corona-fuer-Gefluechtete/!5673786
[3] https://www.regierung-mv.de/Landesregierung/im/Aktuell/?id=159364&proce…
[4] /Nicht-krankenversichert-in-Coronakrise/!5675518
[5] https://www.fluechtlingsrat-mv.de/
[6] /Coronafaelle-in-Gemeinschaftsunterkuenften/!5673754
## AUTOREN
André Zuschlag
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Schwerpunkt Coronavirus
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