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# taz.de -- Geflüchtete in Ellwangen: „Ich verspüre Panik“
> Sie haben Meere überquert und es durch Wüsten geschafft. Nun fürchten
> sie, in Schwaben an Covid-19 zu sterben. Ein Anruf bei Geflüchteten.
Bild: Landeserstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Ellwangen: über 300 m…
Seit mehreren Tagen leben [1][Hunderte Geflüchtete in der
Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen (LEA) auf engem Raum hinter
verschlossenen Toren]. 313 der 560 Bewohner*innen haben sich laut
Behördenangaben in Baden-Württemberg mit dem Coronavirus angesteckt. Für
sie gilt seit dem 5. April eine strikte Ausgangssperre bis einschließlich
3. Mai, eine Verlängerung ist nicht ausgeschlossen. Wie geht es den
Menschen? Wenn man das wissen will, kann man sie nicht besuchen. Man muss
sie anrufen.
Herr D. lebt seit sechs Monaten in Ellwangen. Er stammt aus Nigeria und
erzählt am Telefon vom Zynismus, der in der LEA die Runden macht. Im
Hintergrund hört man Gemurmel auf den Fluren und das Vogelgezwitscher von
draußen. D. befürchtet Nachteile bei seinem Asylantrag, falls er mit
Klarnamen in der Zeitung auftaucht. Er spricht ausführlich über seine
Situation, bittet aber um Anonymität. „Seitdem ich weiß, dass ich Corona
habe, verspüre ich eine Panik in mir“, sagt er. Sie haben angefangen,
sarkastische Witze in der Quarantäne zu reißen, sagt er: „Wäre es nicht
lustig, wenn wir ausgerechnet in Deutschland sterben würden!?“ Nach der
Flucht vor dem Terror und der Armut in ihren Ländern, teilweise durch die
Sahara und mit Booten über das Mittelmeer, mit Aufenthalten in
italienischen oder griechischen Camps – und dann holt sie die
Corona-Pandemie mitten in Schwaben ein?
D. ist Anfang dreißig. Er berichtet, dass die Sanitäranlagen in seinem
Wohnblock nur ungenügend gereinigt würden. „Einige Kinder verrichten ihre
Notdurft auf dem Boden, wenn wieder mal eine Toilette verstopft ist.“ Die
Bewohner*innen hätten pro Person eine Seife und eine Rolle Klopapier
ausgehändigt bekommen – mit der Ansage, dass diese für zwei Wochen
ausreichen müssen. Weit nach Beginn der Pandemie habe er mit vier anderen
Männern sein kleines Zimmer geteilt. „Natürlich haben wir uns alle mit
Corona angesteckt.“ Zu spät seien die Bewohner*innen besser auf die Fläche
der Einrichtung verteilt worden sein, von Evakuierung gar nicht zu
sprechen.
„Sicherheitsabstand kann ich hier nirgendwo einhalten“, sagt D. Einerseits
habe er Angst [2][vor den Folgen seiner eigenen Ansteckung]: „Ich weiß
nicht, ob ich zur Risikogruppe gehöre. Ich schlafe sehr schlecht und habe
ständig Kopfschmerzen. Ich hatte, seitdem ich in Europa bin, noch keinen
richtigen Gesundheitscheck beim Arzt.“ Andererseits mache ihm die Stimmung
in seinem Wohnblock noch mehr Sorgen. D. berichtet von
Verschwörungstheorien, die als Witze verpackt von Zimmer zu Zimmer gereicht
würden.
Eine davon: Könnte es sein, dass die Behörden positive Corona-Tests
erfunden haben, um die Geflüchteten abzuschieben? „Wir haben hier keinen
Zugang zu unabhängigen Informationen, das befeuert solche Theorien und
zerrt an den Nerven“, sagt D. Internet gebe es nur an zwei Orten in der
Anlage, dort würden sich oft viele Bewohner*innen drängeln. Am Karfreitag
hätten sich zwei Männer in seinem Block nach einer Diskussion über „die
wahren Gründe der Ausgangssperre“ geprügelt. Bewohner*innen seien
dazwischengegangen, um Schlimmeres zu verhindern. Trotz der Abstandsregeln
müsse man andere Gefahren auch im Blick behalten.
In einer schriftlichen Antwort stellt die Pressestelle des für die LEA
verantwortlichen Regierungspräsidiums in Stuttgart die Situation anders
dar: Eine zusätzliche Reinigungsfirma sorge für mehr Hygiene, eine
ärztliche Betreuung und die Einhaltung der Ausgangssperre seien
gewährleistet, Desinfektionsmittel frei zugänglich.
Doch weitere LEA-Bewohner*innen beschreiben wie D. ein anderes, düsteres
Bild. So zum Beispiel Herr E. Er befürchtet ebenfalls persönliche Nachteile
und möchte deswegen anonym bleiben. „Zum Glück habe ich vor der
Ausgangssperre selbst genug Seife gekauft und muss nicht betteln gehen“,
sagt er. Der Endzwanziger sagt, er habe eine Verletzung am Oberkörper und
könne sich deswegen nur eingeschränkt bewegen: „Ich stehe auf, gehe
duschen, hole mir mein Essen und dann gehe ich ins Bett.“ So sehe sein Tag
aus. Jeden Tag. Er sei verwirrt, befürchte, dass er depressiv werden
könnte. Zwar habe er sich mit seinem Zimmergenossen angefreundet, zur
Wahrheit gehöre aber, dass man mit niemandem so richtig sprechen könne.
„Die Menschen hier sind am Limit. Ich behalte meine Gefühle und Sorgen
lieber für mich selbst.“ Er könne andere nicht zusätzlich belasten.
Und was wünscht er sich? Welche Maßnahmen könnten die Behörden zur
Verbesserung seiner Situation ergreifen? E. überlegt lange am Telefon und
sagt dann: „Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein. Ich weiß es einfach
nicht. Hoffentlich wird die Ausgangssperre nicht verlängert.“
20 Apr 2020
## LINKS
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[2] /Gefluechtete-in-der-Coronakrise/!5677017
## AUTOREN
Mohamed Amjahid
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Schwerpunkt Coronavirus
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Geflüchtete
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