# taz.de -- Theater in Berlin bleiben geschlossen: Ohne Input wird das Hirn gan… | |
> Wegen der Corona-Pandemie ist die Spielzeit der Theater in Berlin wohl zu | |
> Ende. Das ist schlecht für die Spielstätten – und unsere Autorin. | |
Bild: Vorhang zu, sag alles ab: Der Kultursommer in Berlin | |
Bis vor Kurzem stand auf den Websiten der meisten Berliner Theater noch, | |
dass der Betrieb bis zum 20. April geschlossen ist. Seit Freitag | |
verschieben sich die Ansagen: Manche wie das Gorki-Theater setzen noch auf | |
den 3. Mai, andere wie das Grips Theater, das Deutsche Theater oder die | |
Volksbühne melden vorsorglich den Vorstellungsausfall bis Ende Mai. | |
Eine offizielle Ansage von der Bundesregierung über die Lockerungen der | |
Corona-Regeln gab es für die Kultur bisher nicht; aber Berlins | |
Kultursenator Klaus Lederer war im RBB zu hören mit der bedauernden | |
Voraussage, dass die Theater in dieser Spielzeit wohl nicht mehr öffnen | |
werden. Und für die Zeit nach der Sommerpause muss nach neuen Konzepten | |
gesucht werden, wie denn ein Crowd Management an den Spielstätten aussehen | |
könnte. | |
Das fühlt sich auch für eine Theaterkritikerin ganz schön elend an. Dem | |
Handwerk der Rezensentin ist erst mal der Boden entzogen. Eine Pressekarte | |
war bestellt für eine Pollesch-Premiere am 24. April im Deutschen Theater, | |
und obwohl eine Absage wahrscheinlich schien, beschäftigte mich die | |
vergangenen Tage die Frage: Gehe ich überhaupt hin, wenn es stattfindet? | |
Nach sechs Wochen allein zu Hause, einkaufen mit Abstand und vielleicht | |
einer Verabredung zu einem Spaziergang mit einer Freundin – nein, ein | |
entspanntes Sitzen, Ellbogen an Ellbogen, ist gerade nicht vorstellbar. | |
Noch Anfang März hat mir das nichts ausgemacht, aber jetzt sind die | |
Vorsicht und das Bedürfnis danach schon ganz anders verinnerlicht. Ein | |
Theaterbesuch als Mutprobe? Lieber nicht. Für die Theater wird diese neue | |
Furcht des Publikums vor dem Gedränge neben allen anderen Schwierigkeiten | |
zu einem schweren Hindernis werden auf dem Weg zur Wiederöffnung. | |
## Digital ist nicht das Gleiche | |
Demgegenüber gewinnt Literatur über das Theater gerade an Bedeutung, nicht | |
zuletzt als Betätigungsfeld für Theaterkritiker. So kam ich dazu, über die | |
Brüder Fritz und Alfred Rotter zu lesen, die in der Zeit zwischen den | |
Weltkriegen die Operettenkönige von Berlin waren. Theatergeschichte ist | |
auch teilweise in den digitalen Ersatz-Spielplänen der Bühnen im Angebot – | |
aber mir zumindest geht es so, dass mich dort nur mitnimmt, was mich live | |
als Erlebnis schon einmal gepackt hat. Zugang zu Neuem finde ich dort | |
nicht, andere sind da – zum Glück – anders gestrickt. | |
Die Abende werden jetzt sehr lang, seitdem ich nicht mehr einmal, zweimal, | |
in Festivalzeiten auch dreimal die Woche abends das Haus verlasse, um | |
Theater anzuschauen. Wenn gegen 21 Uhr in den Vorstellungen normalerweise | |
die zweite Luft, ein neuer Energieschub und eine intimere Wachheit gefragt | |
sind, befällt mich zu Hause nur eine schlagartige Müdigkeit auf dem Sofa, | |
mit dem Buch in der Hand oder vor dem Fernseher. Und obwohl es noch gar | |
nicht lange her ist, kann ich mir plötzlich nicht mehr vorstellen, woher | |
die Kraft kam, so oft zu den Theatern zu traben, sich durch die Reihen zu | |
schieben und dann erst mal die Dinge geschehen und auf mich zukommen zu | |
lassen. | |
Es ist so, als würde ohne diese Herausforderung mein Energiehaushalt | |
schlappmachen. Der Modus der Aufmerksamkeit, der sich in den Vorstellungen | |
in guten Momenten einstellt, er fehlt plötzlich. Der Lebensrhythmus | |
verändert sich, seine Kurven werden flacher. Dem Hirn fehlt Input, den | |
Sinnen ein Eintauchen in etwas, mit dem man den Raum, das Licht, den Ton | |
und eine Luft teilt, die auch alle anderen atmen. Und das gibt es definitiv | |
nicht in der eigenen Wohnung. | |
20 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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