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# taz.de -- Brasiliens Evangelikale und Corona: Wettern gegen das Virus
> Kirchen sind genauso wichtig wie Krankenhäuser, finden Brasiliens
> Evangelikale. Wie der rechte Präsident Bolsonaro schimpfen sie auf die
> Schließungen.
Bild: Versteckt sich vor dem Virus hinter Jesus: Brasiliens Bräsident Jair Bol…
São Paulo taz | Kirchen, poltert Silas Malafaia in einem dreiminütigen
Videoclip, seien genau so wichtig wie Krankenhäuser. Täglich kommentiert
der bekannteste Pastor Brasiliens per Webcam das Geschehen und sendet aus
seinem Arbeitszimmer in Rio de Janeiro die frohe Botschaft in die Welt.
Fast eine Million Menschen haben [1][seinen Youtube-Kanal] abonniert. Dass
Kirchen aufgrund der Corona-Krise geschlossen wurden, ist für Fromme wie
Malafaia ein Skandal. Die Debatte ist zum Politikum geworden.
Im größten katholischen Land der Welt haben [2][evangelikale Kirchen] seit
Jahren regen Zulauf. Laut Berechnungen werden die Evangelikalen im Jahr
2032 die Mehrheit der Bevölkerung stellen. An fast jeder Straßenecke finden
sich mittlerweile die kleinen Kirchen, oft reichen ein paar Plastikstühle
und ein Mikrophon mit Boxen für ihre lautstarken und emotionalen Predigten.
Ähnlich wie in den USA gibt es jedoch auch riesige, hochmoderne
Prestigebauten. Im Salomon-Tempel in São Paulo, der sogar einen eigenen
Hubschrauberlandplatz und ein TV-Studio hat, beten mehr als 10.000 Gläubige
in Stadionatmosphäre. Die Gemeinden nehmen auch zunehmenden politischen und
gesellschaftlichen Einfluss und haben mit einem Zusammenschluss
streng-gläubiger Abgeordneter eine parteiübergreifende Interessenvertretung
im Kongress.
In Zeiten der Corona-Krise rücken die Bibeltreuen zusammen. Per Dekret
wurde in vielen Bundesstaaten der Ausnahmezustand verhängt und Kirchen
geschlossen. Während einige Gemeinden ihren Pforten vorübergehend schlossen
und nun Online-Gottesdienste anbieten, ziehen andere gegen die Maßnahmen
offensiv ins Feld – mit Pastor Malafaia an der Spitze.
## Alle großen evangelikalen Kirchen haben Bolsonaro unterstützt
„In dieser Pandemie werden keine Krankenhäuser die Menschen beruhigen,
sondern die Religionen“, erklärt Malafaia, Gründer der „Versammlung
Gottes“, in einem seiner Videos. Unverantwortlich sei es Kirchen zu
schließen, da sie den Menschen wichtige emotionale Unterstützung leisteten.
Erst nach einem Gerichtsbeschluss ließ er die Türen seiner landesweit
vertretenden Kirchen schließen.
Rückendeckung bekommen die Evangelikalen von [3][Präsident Jair Bolsonaro].
Dieser brachte ein Dekret auf den Weg, das Kirchen als „notwendige
Dienstleistungen“ einstuft. Das Dekret wurde nach kurzer Zeit von der
Justiz kassiert, doch die Message Bolsonaros war angekommen: Ich stehe
hinter euch.
„[4][Bei der letzten Wahl] haben alle großen evangelikalen Kirchen
gemeinsam einen Kandidaten unterstützt – nämlich Bolsonaro. Das gab es
zuvor noch nie“, sagt Andrea Dip, Investigativ-Journalistin des
Enthüllungsmediums [5][Agência Pública], der taz.
Bolsonaro, der eigentlich katholisch ist, hatte im Wahlkampf die Nähe zu
den Evangelikalen gesucht. Er ließ sich medienwirksam im Jordan taufen, war
umjubelter Stargast bei evangelikalen Veranstaltungen und wurde von Pastor
Malafaia mit seiner dritten Ehefrau vermählt. Durch diesen Schachtzug
konnte sich Bolsonaro die Unterstützung vieler armer Brasilianer*innen
sichern. Denn die Freikirchen sind mit ihren Heilsversprechen,
charismatischen Predigern und spektakulären Megagottesdiensten gerade in
den vom Staat vernachlässigten Randgebieten beliebt.
## Gegen Kommunismus, Homosexualität und Feminismus
Malafaia und Co. inszenieren sich gerne als Anwälte der Armen. „Das ist ein
Marketing-Trick und der einfachste Weg um, neue Mitglieder zu gewinnen“,
sagt die Journalistin Dip, die ein Buch über den Einfluss der Evangelikalen
geschrieben hat. In der aktuellen Corona-Krise stellen sich die Pastoren
selbstbewusst hinter Präsident Bolsonaro, der mit Hinblick auf die drohende
Rezession eine Rückkehr zur Normalität gefordert hatte. Viele Expert*innen
rechnen mit einer Gesundheitskatastrophe für das größte Land
Lateinamerikas, sollten keine Isolationsmaßnahmen ergriffen werden.
Andere Pastoren, wie der ebenfalls landesweit bekannte Edir Macedo, nutzen
die Krise geschickt für ihre Zwecke. Der Gründer der Universalkirche des
Königreichs Gottes sagte nicht nur, dass Corona eine „Strategie Satans und
der Medien“ sei, um die Menschen in Panik zu versetzen. Macedo erklärte
auch, dass der Glauben die beste Medizin gegen das Virus sei.
Paulo Junior ging noch weiter: Der Pastor aus São Paulo schwadronierte,
Europa sei das Epizentrum der Pandemie, weil es ein „post-christlicher
Kontinent“ sei und dort „Atheismus, Islamismus und Homosexualismus“
herrsche. Laut Dip stehe hinter solchen Aussagen eine klare Taktik. „Die
Kirchen haben drei große Feinde: Kommunismus, Homosexualität und
Feminismus“, sagt die Journalistin. „Sie benutzen alles, was sie als
Munition dagegen bekommen können – nun eben das Corona-Virus.“
Und auch finanzielle Interesse treiben viele Pastoren an. Da die
überwiegende Mehrheit der Gläubigen zehn Prozent ihres Einkommens als
Abgabe entrichtet, sind die Kirchen auch ein enormer ökonomischer Faktor.
Sie stehen schon lange im Verdacht ihre Mitglieder schamlos auszubeuten und
Gelder zu veruntreuen.
In der aktuellen Corona-Krise, die von den Evangelikalen als „Plage“
bezeichnet wird, beziehen sich viele Pastoren auf Stellen in der Bibel, in
denen Gott Menschen gegen Opfergaben von Sünden freispricht. Die Botschaft
vieler Kirchen in der Pandemie: Wenn ihr uns bezahlt, kriegt ihr kein
Corona. Einige Kirchen boten sogar Gottesdienste zur Massenimmunisierung
mit einem „heiligen Öl“ an.
1 Apr 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/user/SilasMalafaiaOficial
[2] /Stadtgespraech-aus-Rio-de-Janeiro/!5452680
[3] /Corona-in-Bolsonaros-Brasilien/!5674157
[4] /Nach-Bolsonaros-Wahlsieg-in-Brasilien/!5546318
[5] https://apublica.org/
## AUTOREN
Niklas Franzen
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