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# taz.de -- Extreme Evangelikale in Berlin: Die rechte Hand Gottes
> Die „Universalkirche“ hat in Brasilien dem Rechtsradikalen Jair Bolsonaro
> ins Präsidentenamt geholfen. In Berlin-Mitte will sie nun eine Kirche
> kaufen.
Bild: Könnte Deutschlandzentrale für rechte Evangelikale werden: Die Nazareth…
BERLIN taz | Mühsam drückt sich der Mann aus dem Rollstuhl. Unter Gebeten
schleppt ihn der Prediger Klaus Ferraz Kist die Altarstufen hinauf, als
sich plötzlich die Hose des Mannes löst. Einen Moment lang steht er mit
nacktem Hintern in der Neuen Nazarethkirche im Wedding. Bloß einen Moment,
dann zieht der Pastor – Anzug, Krawatte, FFP-2-Maske – dem Gehbehinderten
die Hose wieder hoch und bringt ihn an seinen Platz. „Es geht schon
besser“, sagt Ferraz Kist und bestärkt den Mann in seinem Glauben an
Heilung. Wer aber wirklich glaubt, so sagt der Gottesmann wenig später,
wird sein „Opfer vorbereiten“ – und in zwei Wochen in einem Umschlag auf
den Altar legen.
In Brasilien hat die finanzstarke „Universalkirche vom Reich Gottes“ dem
Rassisten, Queer- und Frauenfeind Jair Bolsonaro ins Präsidentenamt
geholfen. Am Weddinger Leopoldplatz baut sie als eingetragener Verein unter
dem Namen Hilfszentrum UKRG eine deutsche Zentrale auf. Und will dafür die
Neue Nazarethkirche am Leo kaufen. 2019 sagte der Bezirksbürgermeister von
Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), dass die UKRG „weder für den
Leopoldplatz noch den Bezirk eine positive Entwicklung befördern würde“.
Der Bezirk wollte die Nazarethkirche lieber selbst kaufen. Doch was ist
daraus geworden?
Fünf Gottesdienste feiert die Universalkirche sonntags, am Leopoldplatz und
zeitgleich in elf weiteren deutschen Städten. Für Heilung von Krankheit und
Sucht, für die Lösung von Eheproblemen wird aber auch unter der Woche
gebetet. Samstags steht „Therapie der Liebe“ auf dem Plan. Wem das nicht
reicht, der kann die UKRG jederzeit über Whatsapp um Rat fragen. Und
radiopositiv.de verbreitet 24 Stunden am Tag die Kunde der Universalkirche.
„Ganz wertfrei gesagt geht es darum, das Geschäft so oft wie möglich offen
zu halten“, sagt der Religionswissenschaftler und Theologe João Carlos
Schmidt zu dieser Omnipräsenz. Er hat seine Doktorarbeit über die UKRG
geschrieben. Wie bei einer Bäckerei müsse man Präsenz zeigen, in der
Hoffnung, den Kundenstamm zu vergrößern, meint er. Seriöse Zahlen, wie
viele Menschen die Kirche in Berlin und Deutschland schon erreicht oder
Mitglied nennen kann, gebe es nicht.
## Geldströme sind undurchsichtig
Schmidt ist in Brasilien geboren und aufgewachsen. Heute arbeitet er in
Karlsruhe als evangelisch-lutherischer Pfarrer. Obwohl er die Igreja
Universal do Reino de Deus, wie sie auf Portugiesisch heißt, von ihren
Anfängen in Deutschland an beobachtet hat, kennt auch er ihre
Leitungsstrukturen und Geldströme hierzulande nicht genau. Sein Eindruck
ist aber: „Die Gemeinden werden sehr zentral von Brasilien aus gelenkt.“
In Rio de Janeiro hatte der Lotterieverkäufer Edir Macedo aus Enttäuschung
über den Katholizismus 1977 eine kleine Freikirche gegründet. Heute hat
sich das evangelikale Pop-up zu einem multinationalen Franchise-Unternehmen
mit geschätzten acht Millionen Anhänger*innen entwickelt.
Leitungsfiguren der UKRG standen immer wieder wegen Geldwäsche,
Steuerhinterziehung und der Veruntreuung von Spenden vor Gericht. Auf eine
Milliarde US-Dollar schätzt das Forbes-Magazin das Familienvermögen der
Macedos, die heute in New York leben.
Wie auch andere neupfingstliche Kirchen predigt die UKRG das
„Wohlstandsevangelium“. Wer arm ist, unglücklich oder krank, lebt nach
dieser Lehre nicht konform mit dem Willen Gottes, steht womöglich unter dem
Einfluss von Dämonen. Die Kirche habe Macht, die Menschen von diesem
Einfluss zu befreien – fordert dafür aber eine Gegenleistung. Geld sei das
„Blut der Kirche“, sagt Kirchengründer und Chef Macedo. Deshalb habe Gott
geboten, den zehnten Teil des eigenen Einkommens abzugeben und daran
reichen Segen geknüpft.
Der Kampf gegen die Dämonen ist für die UKRG jedoch kein rein persönlicher.
Der politische Einfluss von Macedo und seiner Gefolgschaft ist enorm. Die
Universalkirche hat nicht wenig zur Wahl des rechtsradikalen Jair Bolsonaro
zum Präsidenten beigetragen. „Sie finanziert die Wahlkampagnen von
Politikern, die ihre Interessen und rechtskonservativen Werte in den
Parlamenten auf allen Ebenen vertreten“, sagte der brasilianische
Journalist Jean Wyllys dem Deutschlandfunk.
## In Brasilien blockieren sie Gesetze
Zusammen mit anderen evangelikalen Vereinigungen hat Macedos Kirche es
geschafft, im brasilianischen Parlament 120 Abgeordnete zu platzieren. Das
ist rund ein Viertel der Sitze. Gesetze für einen [1][legalen Abbruch von
Schwangerschaften] oder für die [2][gleichgeschlechtliche Ehe] konnten so
schon blockiert werden.
Von solch großem Einfluss auf die Politik ist das Hilfszentrum UKRG in
Deutschland weit entfernt. Doch es scheint sich weiterzuentwickeln. „Die
Gemeindeglieder sind vorwiegend portugiesisch sprechende Migranten aus
Brasilien, Portugal, Angola und Mosambik und werden von ebenfalls
portugiesisch sprechenden Pastoren und Mitarbeitern betreut“, heißt es noch
2010 in einem Bericht der Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen (EZW), die die UKRG beobachtet. Die Tatsache, dass
die Pastoren kaum deutsch sprächen, lasse vermuten, dass die
Universalkirche hierzulande zumindest vorerst eine Gemeinschaft für
Migrant*innen bleiben werde.
Dass sich das verändert hat, zeigen jüngere Social-Media-Beiträge der
mittlerweile elf Gemeinden. Gottesdienste im Wedding werden inzwischen auf
Deutsch gehalten. Und es gibt noch ein Anzeichen dafür, dass das
„Hilfszentrum“ Ambitionen über die recht kleine portugiesischsprachige
Community in Deutschland hinaus hat: Die UKRG möchte die Neue
Nazarethkirche kaufen statt bisher nur mieten. „Nationaler Hauptsitz“ wird
die neugotische Kirche bereits von der UKRG genannt, im Altarraum hängt
eine große Deutschlandfahne.
## Bezirk wird Kirche nun wohl doch verkaufen
Bezirksbürgermeister von Dassel hat sich 2019 explizit gegen den Verkauf
der Kirche an die UKRG ausgesprochen. Seit 1993 gehört das Gebäude einer
anderen Freikirche. Mit einer Rückkaufklausel hat der Bezirk sogar
rechtliche Möglichkeiten, die Universalkirche als Eigentümerin zu
verhindern. Doch er wird diese Option nicht nutzen.
Vom Bezirksamt heißt es auf Anfrage der taz: „Leider verfügt der jetzige
Mieter über einen Mietvertrag bis zum Jahr 2036, sodass ein Erwerb der
Kirche – unabhängig von den hohen Unterhaltskosten, die in den nächsten
Jahren auf das Bezirksamt als Eigentümer zukämen – keine Veränderung in
der Nutzung des Gebäudes bewirken würde.“
Deshalb soll es einen Kompromiss geben. Wenn von der Stadt ausgewählte
Kiezorganisationen „Räumlichkeiten des Kirchenschiffes“ nutzen dürften,
will das Bezirksamt einem Verkauf an die Universalkirche zustimmen. Es
scheint, die UKRG ist gekommen, um zu bleiben.
12 Aug 2022
## LINKS
[1] /Nach-Vergewaltigung-in-Brasilien/!5702589
[2] /Gay-Pride-in-Brasilien/!5605035
## AUTOREN
Stefan Hunglinger
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