Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wien in Zeiten der Corona-Krise: Gesperrte Schönheit
> Kein Kaffeehaus geöffnet, Schloss Schönbrunn geschlossen, Touristen
> vereinsamt: Wie Wien im Kampf gegen das Virus den Ausnahmezustand probt.
WIEN taz | Das gusseiserne Tor zum Schlosspark [1][Schönbrunn] ist zu.
„Gesperrt“, knurrt ein schmallippiger Wächter. „Als Präventivmaßnahme …
Eindämmung von Infektionen durch das Coronavirus (Covid-19) wurde das
gesamte Areal Schönbrunn für Gäste bis zum 3. April 2020 geschlossen“,
heißt es auf einem Schild.
Wo am Montag noch Joggerinnen und Jogger frühmorgens wie gewohnt ihre
Runden drehten, ist am Tag zwei der Ausgangsbeschränkungen nichts mehr zu
machen, obwohl die breiten Alleen mehr als ausreichend Platz für das
Einhalten des empfohlenen Sicherheitsabstands von zwei Metern bieten.
Ganz Unverdrossene laufen jetzt entlang der Mauer und atmen dort die Abgase
des morgendlichen, allerdings deutlich ausgedünnten Berufsverkehrs. Dieser
Eingriff in die Lebensgewohnheiten der Menschen soll offenbar auch den
letzten Zweiflern signalisieren: Es ist ernst. Bleib zu Hause!
Das barocke Schloss, als Sommersitz der Herrscherin Maria Theresia und von
Kaiserin Sisi einer der Magnete für Touristenscharen aus aller Welt zu
Besuch in Wien, ist schon seit einer Woche geschlossen, die Konzerte, bei
denen die Urlauber bisher täglich mit den Ohrwürmern von Mozart und der
Strauss-Dynastie beschallt wurden, sind, wie ein englisches Aviso kündet,
„suspended until April 3rd“. Vor dem wenige Häuserblocks entfernten Café
Raimann wünscht die Belegschaft auf der Tafel, wo sonst das Mittagesmenü
angeschrieben steht: „Alles Gute und Gesundheit!“
In ganz Österreich gelten seit dem Dienstagmorgen drastische
Einschränkungen im Alltagsleben. Nur aus triftigen Gründen sollen die knapp
neun Millionen Einwohner noch ihre Häuser verlassen. Sämtliche
Veranstaltungen sind verboten, nirgends dürfen sich mehr als fünf Menschen
gleichzeitig aufhalten. Immerhin bleiben Spaziergänge gestattet. Wer
dringend ins Freie müsse, „der darf das ausschließlich alleine machen oder
mit den Personen, mit denen er in der Wohnung gemeinsam zusammenlebt“, mit
diesen Worten hatte Bundeskanzler [2][Sebastian Kurz] das Ausgehverbot
begründet. Restaurants, Cafés und Geschäfte sind bis auf Lebensmittelläden
und Apotheken fast sämtlich geschlossen.
Entsprechend schaut es in der Innenstadt aus. Im gotischen Stephansdom im
Herzen Wiens, wo sich sonst die Besucher mit gezücktem Handy auf die Zehen
treten, ist man nur mehr „für persönliches Gebet, Aussprache und Beichte“
willkommen. In den umliegenden Cafés, wo am Montag noch ein letzter Mokka
oder Latte macchiato vor dem behördlich verordneten Hausarrest serviert
wurde, ist es dunkel.
Selbst die [3][Biobäckerei Gradwohl] in der Naglergasse, die als
Lebensmittelladen öffnen darf, arbeitet im Krisenmodus. „Wir haben unser
Angebot auf ein Viertel heruntergefahren“, sagt Frau Jacqueline, die allein
hinter der Theke steht. Keine der cremigen Torten sind noch in der Vitrine
zu finden. Nur die Stammkundschaft aus den umliegenden Banken und Büros
kaufe noch hier ein.
Zwei Chinesinnen, die gerade aus der Pension Nossek am Graben ausgecheckt
haben, begeben sich mit ihren Rollkoffern Richtung U-Bahn oder
Taxistandplatz. Versprengte Spaziergänger oder Menschen mit Hunden an der
Leine schlendern durch die Fußgängerzone.
Niemand steht für ein Selfie vor der Dreifaltigkeitssäule, die einst Kaiser
Leopold I. nach dem Abflauen der Beulenpest im 17. Jahrhundert errichten
ließ. Covid-19 fordert zwar weniger Todesopfer, dürfte aber ähnlich
ansteckend sein.
In U-Bahnen und Busse, die in geringfügig vergrößerten Intervallen
unterwegs sind, ist es nicht schwer, zu den wenigen Fahrgästen auf Distanz
zu bleiben. Einige Frauen haben ihre Schals über Mund und Nase gezogen,
manche tragen Gummihandschuhe. Die Türen gehen in den Stationen automatisch
auf, damit niemand auf den möglicherweise infizierten Öffnungsknopf drücken
muss. Die Türen beim Fahrer bleiben aus Sicherheitsgründen geschlossen.
Beim Lidl ums Eck ist nach den panischen Hamsterkäufen vom Wochenende
wieder Normalbetrieb eingekehrt, sogar Toilettenpapier ist wieder zu haben.
Im Drogeriemarkt bedienen die Verkäuferinnen mit Gummihandschuhen und
Mundschutz. Vor den Kassen sind Kisten aufgebaut, die den Abstand zur
Kundschaft vergrößern sollen. Desinfektionsmittel und Fieberthermometer
fehlen noch immer in den Regalen.
Noch schneller als die Zahl der Infizierten – zuletzt 1.132 in ganz
Österreich – steigt die der Opfer dieses wirtschaftlichen Stillstands. Mehr
als 16.000 Anträge auf Arbeitslosengeld sind am Montag beim
Arbeitsmarktservice eingegangen. Die meisten telefonisch oder über die
Homepage, denn Arbeitsmarktservice-Chef Johannes Kopf hat dringend davon
abgeraten, die Servicestellen aufzusuchen.
Die Voestalpine in Linz, Österreichs größter Stahlproduzent, prüft gerade,
welche Werke geschlossen werden müssen. Mehrere große zum Konzern gehörende
Betriebe in der Steiermark haben bereits wegen des Coronavirus geschlossen
oder die Produktion eingestellt: Magna Steyr, ein wichtiger Zulieferbetrieb
für Daimler und BMW, stoppte die Fahrzeugproduktion am Montag für zwei
Wochen.
Die Regierung versucht Massenentlassungen durch ein neues Kurzarbeitsmodell
zu begegnen, das es Unternehmen erlaubt, einen mindestens zehnprozentigen
Betrieb so aufzuteilen, dass die Belegschaft auch zeitweise ganz nach Hause
geschickt werden kann. Dass die zunächst freigegebenen vier Milliarden Euro
für die Wirtschaft nicht ausreichen werden, ist allen klar.
## Ausgesperrte Pflegerinnen
Krise herrscht allerdings bei den Gemüsebauern in Niederösterreich und dem
Burgenland, die gerne bis zu tausend Erntehelfer einstellen würden, da die
Saisonarbeiter aus Ungarn und der Slowakei nicht mehr über die Grenze
dürfen. Der Spargel sprießt deshalb ungeerntet. Ungarn fährt seit gestern
eine besonders harte Linie. Rumänische Pflegerinnen, die zu ihren älteren
Patienten in Österreich unterwegs waren, wurden am Montag aus dem Zug
geholt, über Nacht eingesperrt und dann nach Hause geschickt.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober rechnet damit, dass bis Ende der Woche
sichtbar wird, ob die rigiden Einschränkungen des öffentlichen Lebens
Wirkung zeigen. Statt einer derzeitigen Neuinfektionsrate von 36 Prozent
täglich hofft er auf 20 Prozent oder weniger. Täglich werden zusätzliche
Test-Kits importiert, damit die steigende Nachfrage bedient werden kann.
Da ist es nicht hilfreich, dass im Wiener Allgemeinen Krankenhaus eine
Anästhesistin positiv getestet wurde. In Salzburg musste nach der
Coronainfektion einer Anästhesistin eine ganze Abteilung geschlossen
werden. Sie hatte sich vermutlich bei einem Skiurlaub in Tirol angesteckt.
Überhaupt, die Skiurlauber! Dass die Skiorte Ischgl und Galtür im Tiroler
Paznauntal erst am vergangenen Freitag unter strenge Quarantäne gestellt
worden sind, wächst sich inzwischen zum regelrechten Skandal aus. Hunderte
Skandinavier haben sich dort infiziert. Island reagierte bereits am 5. März
mit einer Reisewarnung für Tirol.
Dennoch blieben die Lifte und Bars noch eine Woche lang offen. Und
ausländische Touristen, die schließlich heimgeschickt wurden, übernachteten
noch in Innsbruck, wo sie die Ansteckungsgefahr weiter erhöhten.
Vieles deutet darauf hin, dass dieser fahrlässige Umgang mit der Krise dem
Druck der mächtigen Liftbetreiber und Hoteliers zuzuschreiben ist. Ein
Fernsehinterview vom Montag, in dem Tirols Gesundheitslandesrat Bernhard
Tilg (ÖVP) wiederholt beteuert, die Behörden hätten „alles richtig
gemacht“, ist inzwischen zum skandalösen Hit in den sozialen Medien
geworden.
18 Mar 2020
## LINKS
[1] https://www.schoenbrunn.at/
[2] /Rigide-Corona-Massnahmen-in-Oesterreich/!5668566/
[3] https://www.gradwohl.info/
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Lesestück Recherche und Reportage
Wien
Reiseland Österreich
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Irland
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Corona in Österreich: Panik am Wolfgangsee
In dem Urlaubsgebiet haben sich Praktikant*innen der Hotellerie und
Gastronomie infiziert. Die Tourismusbranche fürchtet Verluste.
Corona in Ungarn: Orbán will per Dekret regieren
Das Parlament diskutiert ein Gesetz, mit dem es sich selbst entmachten
würde. Außerdem: Wer die Quarantäne bricht, dem droht jahrelange Haft.
Russisch-Orthodoxe mit Brandbrief: Corona als Strafe Gottes
Einen „Brief aus dem Jahr 1020“ hat der höchste Würdenträger der
Russisch-Orthodoxen in die Welt gesetzt. Was gegen Covid-19 helfen soll,
sind Gebete.
Corona und der Alltag: Das Leben der Anderen
Wir leben nicht in dem Ausnahmezustand, den der Philosoph Giorgio Agamben
beschreibt. Aber die Corona-Krise trifft nicht alle gleichermaßen.
Datensammelwut in der Coronakrise: Privat ist privat
China, Israel und Südkorea überwachen Corona-Infizierte mittels Big Data.
Das sollten wir in Europa sein lassen.
Einschränkungen wegen Coronavirus: Friseur ja, Kirche nein
Die Bundesregierung hat massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens
verkündet. Manche Länder fallen dabei ein bisschen aus der Rolle.
Coronakrise in Frankreich: Geleerte Straßen in Paris
Nur wer dringend notwendige Besorgungen machen muss, darf in Frankreich
noch auf die Straße. Die Polizei soll ab jetzt Passanten kontrollieren.
Coronavirus in Irland: Alleine saufen
Am Nationalfeiertag bleiben die Bürgersteige hochgeklappt. Die Regierung
verschärft Maßnahmen. Behörden rechnen mit 15.000 Erkrankten bis
Monatsende.
Bitte Abstand halten: Corona!: Kein Ausdruck von Reife
Abiturienten ziehen Arm in Arm feiernd durch die Parks, Eltern begrüßen
sich auf Kindergeburtstagen mit Küsschen: Ist Abstand halten so schwer?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.