# taz.de -- Corona-Krise in Berlin: Stille in der Stadt | |
> In Berlin hat der Frühling begonnen. Aber dieses Jahr ist er anders als | |
> sonst, obwohl manche Straßen fast genauso gefüllt sind wie sonst. | |
Bild: Die Straßen werden leerer – auch in Berlin | |
BERLIN taz | Im Berliner Morgengrauen liegt etwas Friedliches. Es ist die | |
Zeit der Läuferinnen und der keuchenden Müllwagen. Auf den Wegen sind kaum | |
Menschen zu sehen. Da sind nur Männer in Bauarbeiterhosen in weiß, in grau, | |
dunkelblau oder rot. Sie haben weiße Farbspritzer auf den Lätzen oder | |
braunen Staub an den Knien und tragen ihr Frühstück in Papiertüten bei | |
sich. | |
Dieser Dienstagmorgen könnte der Anfang eines wunderschönen Tages sein. Er | |
ist kühl, aber sonnig, verspricht Frühjahrswärme. Auf der Warschauer Brücke | |
im früheren Ost-Berlin vermischen sich an so einem Morgen die Bauarbeiter | |
für gewöhnlich mit durchzechten Tourist:innen und Studierenden. Heute | |
nicht. | |
Seit Sonntag sind die [1][Kneipen und Clubs in Berlin geschlossen]. Das | |
öffentliche Leben in Deutschland wird wegen des Coronavirus Stück für Stück | |
heruntergefahren. Die derzeitige Lagen in Italien und Österreich lassen | |
erahnen, was uns vielleicht bevorsteht: Der völlige Shutdown. Am | |
Montagabend kam auch hier die Meldung, dass Geschäfte, die nicht | |
lebensnotwendig seien, zukünftig [2][geschlossen bleiben sollten].Die | |
Woche, in der relevante und irrelevante Berufe voneinander getrennt werden | |
Und doch sind die Straßen an diesem frühen Morgen kaum leerer als sonst. | |
Die Fußwege und S-Bahnen jedoch schon. In der Bahn Richtung Westberlin | |
sitzen die Menschen versetzt auf Vierersitzen. Es scheint ein | |
ungeschriebenes Gesetz: Einer am Gang, die andere gegenüber am Fenster. Wer | |
sich nicht an diese Regel halten kann, bleibt an eine Glaswand gelehnt | |
stehen. Um diese Zeit vor einer Woche gab es keine Sitzplätze mehr in der | |
Bahn und die Stehenden verteilten sich dicht im Gang. Schon vor einer Woche | |
schienen die Menschen verunsichert, jetzt blicken sie ertappt. | |
Die Woche, in der relevante und irrelevante Berufe voneinander getrennt | |
werden | |
Die Kirschblüten öffnen sich langsam, die Birkenknospen bleiben noch | |
verschlossen. Eigentlich ist es die Woche des Frühjahrs, die alle | |
hinausziehen sollte. In diesem Jahr ist es die Woche, in der relevante und | |
irrelevante Berufe voneinander getrennt werden. Viele Arbeitnehmer:innen | |
sind inzwischen im Homeoffice. Wie viele zu Hause bleiben, fällt erst ab | |
kurz vor neun auf, denn das ist die Zeit der Büromenschen. | |
Zwei Frauen in Ordnungsamtsuniformen schlendern am Rande des ruhigen | |
Alexanderplatzes. Während die halbe Stadt lahmgelegt ist, müssen sie noch | |
Knöllchen verteilen. Eine der beiden Frauen telefoniert, die andere | |
erzählt: „Ich würde auch gern sinnvollere Dinge machen. Das Gesundheitsamt | |
unterstützen oder für alte Leute da sein.“ Aber Ordnung müsse schließlich | |
auch sein. | |
Der Himmel hat sich verdichtet, der Straßenverkehr ausgedünnt. Auf dem | |
Alexanderplatz kriechen Menschen vereinzelt von A nach B, wie Schlangen | |
durch die Wüste. Leere Straßenbahnen rattern durch ihre Wege hindurch. Die | |
Geschäfte sind entgegen der Meldungen vom Vortag noch geöffnet, doch sie | |
sind leer. Nur die Drogerie ist noch immer gut besucht. Die Menschen kaufen | |
ausnahmslos Toilettenpapier. | |
Hinter der Weltzeituhr dekoriert eine junge Frau ein Schaufenster um. Ob | |
das überhaupt noch nötig sei? „Ich weiß nicht, ich muss es halt machen“, | |
antwortet sie gleichgültig. Neu im Angebot sind Kindersachen unter dem | |
Slogan „The Future starts now“. | |
19 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Pia Stendera | |
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