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# taz.de -- Handyüberwachung gegen Corona in Israel: Infiziert und ausspioniert
> Im Kampf gegen Corona darf der Geheimdienst ab sofort die Standorte aller
> Israelis überwachen. Kritiker*innen warnen vor einem Überwachungsstaat.
Bild: Corona-Überwachungsstaat? Straßenszene in Tel Aviv
Tel Aviv taz | In den kommenden Tagen werden einige Israelis per
Handy-Nachricht gezielt aufgefordert werden, sich in Quarantäne zu begeben.
Die jüngste Maßnahme gegen das Coronavirus erinnert an Orwells
Überwachungsroman „1984“, auch wenn Israels Transportminister Bezalel
Smotrich versichert: „Es wird keinen ‚Großen Bruder‘ geben, nicht einmal…
Kontext eines Extremereignisses, mit dem wir es derzeit zu tun haben.“
Am Sonntag hatte das Kabinett eine Notstandsregelung erlassen. Demnach darf
der israelische Inlandsgeheimdienst Schabak nun die Standortdaten von
sämtlichen israelischen Handynutzer*innen nachverfolgen, um Personen zu
identifizieren, die sich mindestens zehn Minuten lang und weniger als zwei
Meter entfernt von einer Person aufgehalten haben, die positiv auf das
Virus getestet wurde.
Diese Personen erhalten dann vom Gesundheitsministerium eine Aufforderung,
sich in Quarantäne zu begeben. Außerdem soll überprüft werden, ob
Infizierte gegen Heimquarantäne verstoßen. Der Geheimdienst ist Berichten
zufolge autorisiert, rund um die Uhr den Aufenthaltsort jedes Handynutzers
in Israel zu orten.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums ist das Coronavirus mittlerweile
bei mehr als 300 Personen in Israel nachgewiesen worden. Todesfälle sind
bisher nicht erfasst worden.
Das Pikante an der neuen Maßname: Für die Handyüberwachung wird kein
Gerichtsentscheid notwendig sein. Und auch das Vorgehen der Regierung ist
umstritten. Eigentlich hätte die Regelung von einem Geheimdienstausschuss
des Parlaments abgesegnet werden müssen, doch Gabi Ashkenazi vom
blau-weißen Bündnis verweigerte seine Zustimmung.
## Funkzellenüberwachung ist in Palästina schon Realität
Am Montag dann wurde das israelische Parlament aufgelöst, um nach der
[1][Wahl vom 2. März] die neuen Abgeordneten zu vereidigen, so dass es
derzeit keinen Ausschuss mehr gibt, der darüber entscheiden könnte. Dies
nutzten die Minister der Übergangsregierung unter Benjamin Netanjahu und
stimmten dem Vorhaben am Montagabend und Dienstagmorgen einstimmig zu.
Kritiker*innen zweifeln die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens an. Netanjahus
geschäftsführende Regierung, die keine Unterstützung einer
Parlamentsmehrheit hat, dürfe solch weitreichende und umstrittenen
Maßnahmen nicht genehmigen.
Am Samstag waren bereits die Aktivitäten des Gerichtssystems eingeschränkt
worden – nach Angaben der Regierung ebenfalls wegen der Coronakrise. Doch
viele Israelis halten die Beschränkung für politisch motiviert. Sie
befürchten, dass Netanjahu sich vor seinem [2][Korruptionsprozess zu retten
versucht, der ursprünglich am Dienstag beginnen sollte], nun aber vertagt
wurde.
Die umstrittene Handy-Überwachung hatte Netanjahu schon am Samstag
angekündigt. Die Regierung setze damit digitale Methoden ein, die
normalerweise „im Kampf gegen den Terrorismus verwendet werden und von
denen ich bisher abgesehen habe, sie in der Zivilbevölkerung anzuwenden“.
Laut Noam Rotem, Aktivist der Bewegung Kryptoparty, funktioniert die
Überwachung vermutlich folgendermaßen: Die Handyanbieter stellen die
Information zur Verfügung, mit welchen Antennen und welcher Signalstärke
ein Handy verbunden war. Weil ein Handy in Städten mit mehreren Antennen
gleichzeitig verbunden sei, könne man auf wenige Meter genau den Standort
der Person ermitteln.
Handyanbieter in Israel sind verpflichtet, mit der Regierung zu
kooperieren. Deshalb musste für das Vorhaben kein neues Gesetz
verabschiedet werden. Darüber hinaus wird laut Rotem diese Form der
Funkzellenüberwachung ohnehin schon in den palästinensischen Gebieten
angewandt. Neu daran sei lediglich, dass nun auch israelische Bürger*innen
betroffen seien.
Das Kabinett verordnete, dass die Standortdaten nur während der Coronakrise
gesammelt werden dürfen. Der Einsatz der „digitalen Werkzeuge“ ist zunäch…
für 30 Tage erlaubt. Außerdem darf der Geheimdienst die Daten
ausschließlich im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus verwenden.
Die große Frage aber sei, ob die Daten nicht zu anderen Zwecken verwendet
würden, sagt Rotem, denn die Überwachung liege in den Händen des
Geheimdienstes: „Es ist schwer, Antworten auf die Frage zu geben, wenn
alles im Verborgenen geschieht.“
## Kritiker warnt vor „function creep“
Auch Jonathan Klinger, Anwalt und Rechtsberater der Bewegung „Digitale
Rechte in Israel“, sieht die Maßnahme kritisch: „Die geplante
Massenüberwachung ist ein riesiger Einschnitt in die Privatsphäre“, erklärt
er gegenüber der taz. „Um die Daten bereitzustellen, wer sich in der Nähe
von infizierten Personen befunden hat, müssen wir die komplette Datenbank
aller Aufenthaltsorte von allen Menschen in Israel haben.“
Zum einen bestehe die Gefahr des Missbrauchs dieser Daten, zum anderen die
des „function creep“: „Sobald das System aufgebaut ist, ist es
unwahrscheinlich, dass es schnell wieder abgebaut wird.“ Möglicherweise
werde es zweckentfremdet.
Als Beispiel verweist Klinger auf den Patriot Act, der in den USA 2001 im
Zuge des Kriegs gegen den Terrorismus verabschiedet wurde und seither immer
wieder mit leichten Veränderungen verlängert worden ist. Das Gesetz brachte
eine Reihe von Einschränkungen der Bürgerrechte mit sich.
Eine Alternativen zu dieser invasiven Form der Überwachung wäre laut
Klinger beispielsweise, die Daten während des Prozesses zu anonymisieren
und nur die relevanten Namen und Kontaktinformationen zu dekodieren.
17 Mar 2020
## LINKS
[1] /Nach-der-Wahl-in-Israel/!5668373
[2] /Korruptionsskandal-in-Israel/!5671737
## AUTOREN
Judith Poppe
## TAGS
Israel
Schwerpunkt Coronavirus
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Datenschutz
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