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# taz.de -- Digitale Maßnahmen gegen das Virus: Das Handy als Schutz vor Corona
> Mit Bluetooth und einer App kann das Smartphone helfen, das Coronavirus
> einzudämmen – auch ohne den Datenschutz zu verletzen.
Bild: Nimm das, Virus! Mann mit Handy
BERLIN taz | Die Empörung war groß, als CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn
kürzlich eine gesetzliche Grundlage dafür schaffen wollte, die
Standortdaten aller Mobiltelefone erfassen zu können, um die
Corona-Epidemie einzudämmen. Das Vorhaben wurde erst mal zurückgezogen.
Und tatsächlich wäre ein solches Modell, das analysieren würde, welches
Handy wann mit welcher Sendeantenne verbunden ist, fragwürdig. Es würde
komplette Bewegungsprofile ermöglichen, ohne großen Nutzen zu bieten – denn
die sogenannten Funkzellen, die damit erfasst werden, sind so ungenau, dass
auf diese Weise gar nicht ermittelt werden kann, welche Menschen sich so
nahe gekommen sind, dass eine Ansteckung mit dem Coronavirus möglich wäre.
Es gibt aber eine andere Möglichkeit, genau das festzustellen, ohne dass
dabei überhaupt personenbezogene Daten erhoben werden. Sie beruht auf dem
Funkstandard Bluetooth, der auf allen modernen Smartphones vorhanden ist
und der es ermöglicht, über kurze Distanzen eine Funkverbindung zu anderen
Geräten aufzubauen, etwa zu schnurlosen Kopfhörern. Über Bluetooth kann
recht genau ermittelt werden, in welchem Abstand sich ein Handy von einem
anderen befindet.
Dieses Verfahren macht sich eine App zunutze, die in Singapur zur
Verfolgung möglicher Infektionsketten genutzt wird und die in modifizierter
Form auch in Deutschland zum Einsatz kommen könnte.
## Modell Singapur
Die dort genutzte Anwendung namens [1][„Trace Together“] zeichnet auf,
welche Handys einem anderen über einen bestimmten Zeitraum nahe gekommen
sind. Wird ein Nutzer positiv auf Corona getestet, werden alle, die sich in
den Tagen zuvor in seiner Nähe aufgehalten haben, informiert und ebenfalls
getestet.
Während in Singapur zumindest im Fall einer Infektion die Identität der
Kontaktpersonen offengelegt wird, könnte die App nach Ansicht von
ExpertInnen so modifiziert werden, dass sie komplett ohne persönliche Daten
auskommt. Wie das aussehen könnte, hat der Vorsitzende der Gesellschaft für
Freiheitsreche, Ulf Buermeyer, mit zwei Co-Autoren [2][auf Netzpolitik.org
dargestellt].
Eine App, deren Installation freiwillig ist, würde über Bluetooth
ermitteln, welche Handys sich beispielsweise für mehr als 15 Minuten in
weniger als 2 Metern Abstand vom eigenen Handy befinden. Übertragen würde
dabei nur ein anonymer, temporärer Identifikationscode, der lokal und
verschlüsselt auf dem Handy gespeichert wird. Absolute Standortdaten würden
dabei nicht erfasst, es kommt nur auf die physische Nähe von zwei Geräten
an.
Erst wenn ein Nutzer positiv getestet wird, werden die Codes seiner
Kontakte aus den letzten Tagen mit seiner Einwilligung an einen zentralen
Server übertrage, der etwa vom Robert-Koch-Institut betrieben werden
könnte. Auch dieser würde aber nicht die Identität der Betroffenen kennen,
sondern könnte über die Codes lediglich eine Nachricht an die zugehörigen
Geräte schicken.
## Bluetooth-Lösung konsensfähig
Deren NutzerInnen könnten sich dann auf Grundlage dieser Information
ihrerseits schnell testen lassen – sofern bis dahin ausreichende
Testkapazitäten bestehen. „Eine Kontaktnachverfolgung von möglichen
Sars-CoV-2-Infizierten mit Handydaten muss nicht zu mehr Überwachung
führen, sondern kann auch datenschutzfreundlich ausgestaltet werden“, so
die Autoren.
Und während es gegen Spahns ursprünglichen Pläne zur zentralen Handyortung
massive Bedenken beim Koalitionspartner wie bei der Opposition gab, können
sich mit einer solchen datenschutzverträglichen Bluetooth-Lösung offenbar
viele anfreunden.
„Eine rechtskonforme, freiwillige und zielgenaue App kann und muss ein
wesentlicher Baustein zur weiteren Eindämmung des Coronavirus werden“,
[3][meint etwa Konstantin von Notz], Fraktionsvize der Grünen im Bundestag.
„Spätestens wenn wir in der Situation sind, aus dem ‚Lockdown‘ wieder
hochzufahren, bedarf es solcher Anwendungen.“
## Je weniger Daten, umso mehr Akzeptanz
Auch [4][Anke Domscheit-Berg, Netzpolitikerin der Linken, zeigt sich offen]
für eine solche Lösung. „Es ist möglich, datenschutzsensible Tracking-Apps
zu entwickeln, die durch hohe Akzeptanz und große Verbreitung stark dazu
beitragen können, Sars-CoV-2-Infizierte noch in der Inkubationszeit zu
erreichen, dadurch früher als bisher zu testen und Infektionsketten zeitig
zu unterbrechen“, erklärte sie.
Damit die App wirklich einen Nutzen habe, müssten die Testkapazitäten so
ausgeweitet werden, dass alle Kontakte von Infizierten schnell getestet
werden können, so Domscheit-Berg. Auch die SPD-Chefin Saskia Esken
erklärte, sie unterstütze eine freiwillige, datenschutzkonforme App: „Die
würde ich auch selbst installieren“, [5][schrieb sie auf Twitter].
Und auch in der Bevölkerung scheint eine solche App auf Akzeptanz zu
stoßen. In einer [6][Umfrage], für die Wissenschaftler der Universität
Oxford in der vergangenen Woche über 1.000 Deutsche befragten, erklärten
etwa 70 Prozent, sie würden eine solche App „auf jeden Fall“ oder
„wahrscheinlich“ nutzen; weitere rund 20 Prozent würden das „vielleicht�…
tun.
Das wichtigste Gegenargument ist die Furcht vor mehr Überwachung. Je
weniger Daten die App sammelt, desto größer dürfte demnach die Akzeptanz
sein.
30 Mar 2020
## LINKS
[1] https://www.theregister.co.uk/2020/03/26/singapore_tracetogether_coronaviru…
[2] https://netzpolitik.org/2020/corona-tracking-datenschutz-kein-notwendiger-w…
[3] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_87615860/kampf-gegen-cor…
[4] https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/handy-daten-t…
[5] https://twitter.com/EskenSaskia/status/1243816402890473473
[6] https://osf.io/z6ws4/
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
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