# taz.de -- Corona und Schüleraustausch: Auslandsjahr gecancelt | |
> Tausende Austauschschüler*innen müssen früher zurück nach Deutschland. | |
> Doch nicht alle wollen jetzt schon nach Hause. | |
Bild: Für viele Austauschschülerinnen heißt es in diesen Tagen, Abschied zu … | |
BERLIN taz | Vor einigen Tagen bekommt Antonia Dahl die Nachricht, mit der | |
sie schon gerechnet hat: Ihr Austauschprogramm wird vorzeitig beendet. Sie | |
läuft in die Küche und teilt ihrer Gastfamilie mit, dass sie die Kleinstadt | |
Drummondville im Süden der Provinz Québec bald verlassen muss. Danach | |
liegen sie und ihre Gastschwester sich eine halbe Stunde lang schluchzend | |
in den Armen. Ungefähr drei Monate wäre die 16-Jährige eigentlich noch in | |
Kanada geblieben, doch dann verkündet ihre Austauschorganisation AFS, alle | |
laufenden Programme aufgrund der Corona-Pandemie vorzeitig zu beenden und | |
sämtliche Teilnehmer*innen zu ihren Familien zurückzuschicken. | |
Von dieser Entscheidung sind weltweit rund 10.000 | |
Austauschschüler*innen betroffen, davon mehrere Hundert deutsche | |
Jugendliche. Wie AFS entschied auch die Austauschorganisation YFU, [1][alle | |
laufenden Programme zu beenden] und rund 1.000 deutsche | |
Austauschschüler*innen zurückzubringen. EF, einer der größten | |
Dienstleister von Bildungsreisen und Austauschprogrammen, teilte auf | |
Nachfrage der taz mit, seinen Programmteilnehmenden sowie deren Eltern eine | |
Rückkehr nahegelegt zu haben. Der AFS-Austauschschülerin Antonia fällt | |
das schwer: „Ich hatte endlich das Gefühl, richtig angekommen zu sein. Nun | |
muss ich wieder weg“. | |
AFS International ist eine der weltweit ältesten und größten | |
Austauschorganisationen. Das gemeinnützige Netzwerk agiert mit Ablegern in | |
über 50 Ländern. Die Vereinsarbeit wird global von über 50.000 | |
Ehrenamtlichen und einem Kern von Festangestellten getragen. Zunächst | |
fanden primär Austauschprogramme in und aus den USA statt, ab 1971 hatten | |
Schüler*innen die Möglichkeit, ein Austauschjahr in einem von 17 Ländern | |
zu verbringen, mittlerweile ist dies in rund 50 Ländern möglich. Über | |
23.000 Jugendliche haben seither in einer Gastfamilie in Deutschland | |
gewohnt und hier ein Schuljahr erlebt, 33.000 deutsche Schüler*innen | |
haben so ein Auslandsaufenthalt verbracht. | |
Der Verein gründete sich 1914 in Paris, zunächst als Zusammenschluss junger | |
Amerikaner*innen, die während der beiden Weltkriege Sanitätstransporte | |
organisierten – deswegen steht die Abkürzung für American Field Service. | |
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde so ein Schüleraustauschprogramm ins | |
Leben gerufen, mit der Idee von Jugendlichen als kulturellen | |
Vermittler*innen. | |
## Erst Frust, dann Einsehen | |
Eine von ihnen, die vergangenen September ins Auslandsjahr startete, ist | |
Antonia. Dass ihre Organisation ihren Austausch gecancelt hat, habe sie | |
erst wütend und frustriert gemacht. Mittlerweile kann sie den Schritt der | |
Organisation nachvollziehen. „Selbst, wenn ich hierbleibe, ich kann hier | |
nichts machen. Ich würde nur rumsitzen, könnte meine Freunde nicht | |
treffen“, erzählt sie. Auch ihre Gastschule ist seit einer Woche dicht. An | |
ihren letzten Schultagen mussten sie und ihre Mitschüler*innen vor der | |
ersten Stunde und nach der Mittagspause alle Tische und Stühle | |
desinfizieren. | |
„Da merkte ich: So kann das nicht mehr lange weitergehen.“ Mittlerweile ist | |
klar: Ihre Gastschule in Drummondville wird für einige Wochen, wenn nicht | |
Monate, geschlossen bleiben. Immerhin hat Antonia nun einen Rückflug | |
bekommen. Parallel dazu läuft die [2][Rückholaktion des Auswärtigen Amtes,] | |
mit der bislang 120.000 Deutsche zurückgebracht wurden. Das Glück haben | |
aber nicht alle Austauschschüler*innen. | |
Denn noch sind längst nicht alle AFS-Programmteilnehmer*innen zurück. | |
Wie viele genau noch auf ihren Rückflug warten, kann AFS nicht beantworten. | |
Die Priorität, lautet die Begründung, liege zunächst darauf, alle | |
Betroffenen „schnellstmöglich wieder nach Hause“ zu bringen. Jedoch stellte | |
der Verein weitere Informationen zum Ablauf online. Die Jugendlichen würden | |
demnach schnellstmöglich auf einen Flug in die Nähe ihres Heimatortes | |
gebucht. Direktflüge würden dabei bevorzugt, um das Infektionsrisiko so | |
gering wie möglich zu halten. Vom Verbleib im Gastland riet AFS mit dem | |
Verweis ab, dass mit dem pandemiebedingten Programmende in den meisten | |
Fällen sowohl die Krankenversicherung als auch das Visum erlösche. | |
Ben Krepcke kann diese Entscheidung nicht nachvollziehen. Der 16-Jährige | |
ist gerade – noch – in Argos im Norden des Bundesstaats Indiana. Wann und | |
wie er zurück soll, weiß er noch nicht. Dafür weiß er, dass er eigentlich | |
gerne noch [3][in den USA bleiben] würde. Nur das ist ohne | |
Schüler*innenvisum nicht möglich. Er ist frustriert, weil die | |
Entscheidung über die Köpfe der Teilnehmer*innen hinweg getroffen | |
wurde. Vor einer Woche schloss seine Schule in Argos, zunächst bis 1. Mai. | |
## Letzter Schultag ohne Abschied | |
„Es ist komisch, seinen letzten Schultag gehabt zu haben, ohne zu wissen, | |
dass es der letzte war und auch der letzte Tag, an dem man seine Lehrer | |
gesehen hat und manche seiner Freunde.“ Außerdem hat er dieses | |
Schulhalbjahr mit Lacrosse angefangen. Zu einem Spiel kam es nicht, da das | |
erste Turnierwochenende genau in die Woche der Schulschließung fiel. Sowohl | |
er als auch seine Eltern seien mit der Entscheidung von AFS unzufrieden. | |
Ben könne sich schließlich genauso auf seiner Rückreise mit Corona | |
infizieren. Außerdem wollte Ben die zehnte Klasse, die er auch in Argos | |
besuchte, wiederholen. Nun weiß er nicht, [4][in welche Klasse] er nun | |
kommt. | |
Die allgemein schwierige Lage sieht auch Katharina Schilinski in Berlin, | |
die auf die Rückkehr ihres Sohnes Erik wartet, der noch in Panama ist. „Im | |
Endeffekt möchte man doch, dass sein Kind in dieser Zeit bei sich ist.“ Im | |
Gegensatz zu Ben Krepcke kann die Kauffrau die Entscheidung, alle | |
zurückzuholen, nachvollziehen. „Es besteht nämlich die Sorge, dass sie die | |
Jugendlichen sonst erst mal gar nicht mehr aus dem Land bekommen, selbst | |
zum eigentlichen Programmende“, fügt sie an. | |
Natürlich seien alle traurig, vor allem weil Erik sich in seiner | |
Gastfamilie in Chitré sehr wohlfühlt, erzählt Schilinski. In Panama würden | |
alle 19 deutschen Austauschschüler*innen mit einem Privatbus abgeholt | |
und zum Flughafen in Panama-Stadt gefahren, weil der öffentliche Nahverkehr | |
mittlerweile komplett eingestellt sei. Wann genau Eriks Maschine abfliegen | |
soll, sei noch unklar. Seine Koffer hat Erik schon vor einer Woche gepackt. | |
Warten auf die Rückkehr. | |
Antonia ist da schon weiter. Sie möchte jetzt in Deutschland jobben und | |
etwas Gutes tun. „In der Zeit zwischen Austauschjahr und Schuljahr wollte | |
ich sowieso im Supermarkt aushelfen und sparen, und gerade wird dort ja | |
händeringend nach Leuten gesucht.“ Nächstes Jahr will sie dann ihre | |
Gastfamilie besuchen. Vorausgesetzt, Corona lässt es zu. | |
26 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Klaudia Lagozinski | |
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