| # taz.de -- Corona-Krise in Spanien: Virus trifft auf kaputtes System | |
| > Das Virus, die Kürzungen und die Privatisierung: Spaniens | |
| > Gesundheitssystem ist marode. Schuld sind die Sparmaßnahmen nach der | |
| > Finanzkrise. | |
| Bild: Revanchieren sich für den Applaus der Öffentlichkeit: Gesundheitsbedien… | |
| MADRID taz | „Wenn die Covid-19-Fälle weiter so zunehmen, kollabiert hier | |
| in spätestens einer Woche alles“, warnt Carlos Morante. Er ist Arzt in der | |
| Notaufnahme im Hospital del Henares in Coslada, einem Vorort von Madrid. | |
| Die Hälfte [1][aller Covid-19-Fälle] und rund zwei Drittel der Toten sind | |
| in der spanischen Hauptstadtregion zu verzeichnen. | |
| „Normalerweise haben wir hier um die 110 Notfälle am Tag. Jetzt sind es | |
| über 180“, berichtet Morante. Alle kämen mit Fieber, mit Atembeschwerden. | |
| Die Notaufnahme ist voll, die Intensivstationen ebenso, und mittlerweile | |
| sind selbst Wiederbelebungsplätze für die Intensivversorgung umgerüstet. | |
| Für normale Notfälle, wie etwa einen Herzinfarkt, sei in seinem Krankenhaus | |
| noch genau ein Bett reserviert. | |
| „Es fehlt an allen Ecken und Enden“, beschwert sich Morante und kritisiert | |
| die Konservativen, die seit den 1990er Jahren ununterbrochen regional in | |
| Madrid regieren. „Die reichste Region Spaniens ist Vorletzter in Sachen | |
| Gesundheitsbudget“, schimpft der Arzt. Die Regierung unter der | |
| Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso gibt für Gesundheit nur wenig mehr | |
| pro Einwohner aus als Andalusien – der arme Süden Spaniens. | |
| Der Arzt klingt müde am Telefon. „Die Schichten dauern bis zu 24 Stunden. | |
| Du bist irgendwann so fertig, dass du echt aufpassen musst, keine Fehler zu | |
| machen, etwa beim Ein- und Auskleiden“, sagt Morante. „Da ist dieser | |
| ständige Stress, diese Angst, dir das Virus einzufangen und dann zu Hause | |
| die deinen anzustecken.“ | |
| Am Anfang der Krise wechselten sie noch zweimal am Tag die Masken, jetzt | |
| nur noch jeden Tag. Volle Ausrüstung, mit Schutzanzug, Gesichtsschutz und | |
| chirurgischer Maske gibt es nur dort, wo die Patienten bereits eingeliefert | |
| sind. „Es ist absurd, aber du untersuchst jemanden mit hohem Fieber, | |
| Husten, Atembeschwerden bei der Aufnahme mit ein paar Handschuhen und einer | |
| leichten Maske. Einmal aufgenommen, behandelst du ihn dann kurz danach im | |
| Vollschutz“, erklärt Morante. Nicht nur die Vorräte an Schutzmaterial | |
| gingen aus, es fehlten Beatmungsgeräte und Betten. | |
| ## Massiver Stellenabbau | |
| „Insgesamt hat das Gesundheitssystem in Madrid durch die Sparpolitik seit | |
| 2008 infolge der Eurokrise 4.000 Stellen aller Art verloren“, erklärt | |
| Mariano Martín von der Gewerkschaft CCOO. Und die Zahl der Betten ging um | |
| rund 3.000 zurück, während die Zahl der Einwohner der Region um 500.000 | |
| stieg. Viele Einrichtungen seien völlig veraltet. Die meisten Apparate | |
| wurden vor 10 bis 15 Jahren angeschafft. Jetzt will Díaz Ayuso Hotels zu | |
| Behelfskrankenhäusern umfunktionieren und 1.700 Zeitverträge ausstellen. | |
| Madrids öffentliches Gesundheitssystem verfügt über 33 Krankenhäuser, wovon | |
| fünf privat geführt werden. Dem gegenüber stehen 50 völlig private | |
| Kliniken. Das bedeute „Wahlfreiheit der Patienten“, so die | |
| Regionalregierung. | |
| „Das Problem begann lange vor der Eurokrise“, sagt Javier Padilla, Hausarzt | |
| in einem Gesundheitszentrum in Fuenlabrada im Norden Madrids. „In den | |
| letzten zwanzig Jahren gibt die konservative Regierung immer weniger für | |
| das öffentliche System aus und privatisiert, wo es nur geht“, erklärt der | |
| Experte in Gesundheitspolitik, der vergangenen Herbst ein Buch über die | |
| Gesundheitspolitik mit dem Titel „Wen werden wir sterben lassen?“ | |
| veröffentlichte. | |
| ## Private Kliniken behandeln nicht | |
| Vieles wurde ausgelagert, so etwa Putzdienst und Wäscherei. Immer wieder | |
| klagen Ärzte und Pfleger über die großzügigen Verträge, die erst dann | |
| Strafen androhen, wenn es etwa mehr als eine Woche an Klopapier fehlt oder | |
| unzureichend geputzt wird. Immer wieder wird bekannt, dass Kleidung und | |
| Bettwäsche mit zu niedrigen Temperaturen gewaschen wird, um Geld zu sparen. | |
| Praktiken, die spätestens jetzt mit dem Coronavirus lebensgefährlich sein | |
| können. Die meisten Laboratorien und viele Spezialbehandlungen sind | |
| ebenfalls privat. Der Kassenprüfungshof beschwerte sich in seinem letzten | |
| Bericht, dass dies bis zu sechsmal so viel koste wie vor der | |
| Privatisierung. | |
| Doch was für den Steuerzahler teuer kommt, macht sich für die konservativen | |
| Partido Popular von Díaz Ayuso bezahlt. Die Partei hielt jahrelang bei | |
| Lizenz- und Vertragsvergaben die Hand auf. Laut ermittelnden Richtern | |
| flossen bis zu 5 Millionen Euro aus dem Gesundheitshaushalt in die | |
| Parteikasse. | |
| „Durch die Auslagerung wichtiger Bereiche verliert das öffentliche System | |
| seine Souveränität“, sagt Padilla. Für ihn ist das private System ein | |
| „Parasit des öffentlichen Systems“. Die Coronakrise zeige dies deutlich: | |
| „Die privaten Versicherer übernehmen die Behandlungen nicht. Rein private | |
| Krankenhäuser schicken die Patienten in die öffentlichen Krankenhäuser. Das | |
| Gleiche versuchen die privat geführten Krankenhäuser, die dem öffentlichen | |
| System angehören.“ Die spanische Regierung ordnete vor wenigen Tagen an, | |
| dass die Privaten im ganzen Land dem öffentlichen System unterstellt | |
| werden. Ob sie dafür Krankenkassensätze oder private Sätze kassieren, ist | |
| nicht klar. | |
| 18 Mar 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Virus-in-Spanien-schon-seit-Februar/!5669492 | |
| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Spanien | |
| Gesundheitswesen | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Pflegekräftemangel | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Globale Gesundheit nach Corona: So kann die Welt genesen | |
| Die Pandemie hat die Ungleichheit der weltweiten Gesundheitspolitik weiter | |
| verschärft. Vier Vorschläge, was nach Covid-19 besser werden kann. | |
| Covid-19-Epidemie in Spanien: In Krankheit zerstritten | |
| Spanien verlängert die Ausgangssperre. Parteien machen sich gegenseitig für | |
| die hohe Fallzahl verantwortlich. 1.300 Tote allein in Altersheimen. | |
| Corona in Spanien: 3.646 neue Fälle | |
| Das Coronavirus breitet sich in Spanien schneller aus als in Italien. | |
| Ministerpräsident Pedro Sánchez warnt vor „emotional sehr harten Tagen“. | |
| Vorbereitungen auf Covid-19-Patienten: Kurzarbeit im Krankenhaus? | |
| Krankenhäuser sollen sich auf mehr Covid-19-Patient*innen vorbereiten. Dass | |
| eine Klinik nun Kurzarbeit vorbereitet, scheint nicht recht zu passen. | |
| Corona-Vorbereitungen in Norddeutschland: Luft nach oben | |
| Hamburg zeigt sich mit Blick auf die zunehmende Zahl der | |
| Covid-19-Patient*innen entspannt. Andere Länder im Norden strukturieren | |
| ihre Kliniken um. | |
| Spanier wütend auf die Monarchie: Unmut über Corona und Korruption | |
| König Felipe VI hätte jetzt die Chance nutzen können, die krummen | |
| Geldgeschäfte seines Vaters vergessen zu machen. Er hat mal wieder | |
| enttäuscht. | |
| Corona-Pandemie in Frankreich: Ex-Ministerin will gewarnt haben | |
| Die französische Ex-Gesundheitsministerin kritisiert: Ihre Warnungen wurden | |
| nicht ernst genommen. Die Regierung gerät in Erklärungsnot. | |
| Berechnungen zu Covid19: Weitaus mehr Fälle als bekannt | |
| Berechnungen zu Covid19 in China legen nahe, dass nicht erkannte Infizierte | |
| entscheidend für die Ausbreitung waren. Nötig wären darum mehr Tests. | |
| Kampf gegen Corona in Großbritannien: Johnsons Kehrtwende | |
| Der britische Regierungschef Boris Johnson kündigt verschärfte Maßnahmen | |
| gegen die Epidemie an – und ändert damit die bisherige Strategie radikal. |