# taz.de -- Globale Gesundheit nach Corona: So kann die Welt genesen | |
> Die Pandemie hat die Ungleichheit der weltweiten Gesundheitspolitik | |
> weiter verschärft. Vier Vorschläge, was nach Covid-19 besser werden kann. | |
Bild: Medizinische Behandlung für alle | |
Die globale Gesundheit ist nicht erst seit der Covid-19-Pandemie in der | |
Krise. Dies lässt sich an Statistiken zu weltweitem Hunger, zur | |
Kindersterblichkeit und Lebenserwartung in Subsahara-Afrika oder auch am | |
akuten Mangel vieler Länder an Gesundheitsfachkräften ablesen. | |
Auch die Ungleichheiten innerhalb von Ländern sind eklatant, zum Beispiel | |
zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen in den USA oder zwischen Gruppen | |
mit verschiedenem sozioökonomischem Status in Europa. Nun, da die | |
[1][Pandemie diese Zustände dramatisch verschärft], stellt sich wieder die | |
Frage, welche Gesundheitspolitik eigentlich wünschenswert wäre. | |
So viel vorweg: Dabei sollte nicht zu eng gedacht werden. Ohne grundlegende | |
Änderungen der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse weltweit wird es nicht | |
gehen. Dazu zählen beispielsweise die [2][universelle soziale | |
Grundsicherung], die Gewährleistung des Rechts auf Wasser und auf Nahrung, | |
die Stärkung von Minderheiten- und Frauenrechten oder ein fairer | |
Welthandel. Dies sind einige der wesentlichen sozialen und politischen | |
Determinanten von Gesundheit. | |
Doch nicht zuletzt unterstreicht die Krise, was ebenfalls längst bekannt | |
war: Die Ordnung der globalen Gesundheit ist gelinde gesagt | |
reparaturbedürftig. Sie ist von einer unguten Mischung aus nationalen | |
Egoismen, bestürzenden Akten der Selbstentmachtung von Staaten gegenüber | |
privatwirtschaftlichen Partikularinteressen und von häufig neokolonialen | |
Verhältnissen in der Nord-Süd-Kooperation geprägt. | |
Eine Wunschliste für eine faire und lebenswerte Weltgesundheitspolitik | |
müsste also noch viel länger ausfallen, als es hier möglich ist. Doch vier | |
wichtige Bereiche seien im Folgenden skizziert. | |
## Starke Gesundheitssysteme – für alle | |
Erstens gehört dazu der Aufbau starker Gesundheitssysteme, die für alle | |
gleichermaßen zugänglich sind. Sogar viele wohlhabende Staaten machen hier | |
ihre Hausaufgaben nicht oder nur zum Teil – denken wir nur an die | |
Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten, auch in Deutschland. Doch | |
noch schlimmer trifft es Länder mit niedrigem Einkommen, die auf | |
internationale Zuwendungen angewiesen sind. | |
Diese kommen insgesamt zu wenig und zu unregelmäßig, und überdies haben sie | |
meist die Form krankheitsspezifischer Sonderprojekte – ein Labor für dies, | |
eine Impfkampagne gegen jenes. | |
Viele Projekte, die den Einsatz neuer Technologien zum Hauptrezept machen, | |
schreiben von vornherein die Aussicht auf stärkere Gesundheitssysteme ab | |
und stellen sich geradezu zynisch auf chronische Notversorgung ein. Noch | |
dazu sind die Empfänger in der Pflicht, internationale Zuschüsse mit | |
eigenen, nationalen Mitteln „nachhaltig“ zu machen und damit ihre | |
Gesundheitspolitik den Prioritäten der unzähligen Geber anzupassen. | |
Ist es zu verwegen, sich zu wünschen, dass diese Geber sich bindend | |
verpflichten, ihre Investitionen verlässlich zu gestalten und in den Dienst | |
nationaler Gesamtkonzepte zu stellen? Und sich dabei einer verbindlichen | |
Koordinationsinstanz unterzuordnen? Sodass beispielsweise Technologien, | |
Personal und Ausbildungswege so gestaltet werden, dass sie neben der | |
internationalen Pandemieabwehr für die vielen anderen drängenden Probleme | |
der Empfängerländer zumindest einen Nebennutzen haben? | |
Und wie ist das zu schaffen, ohne wieder bei Absichtserklärungen zu | |
verbleiben oder einfach eine weitere Organisation dem bestehenden | |
Institutionenwirrwar hinzuzufügen? Bei aller Kritik an mancher Entscheidung | |
oder Strukturschwäche: Die [3][Weltgesundheitsorganisation (WHO) als | |
Anlaufstelle] der Gesundheitsministerien aller Länder sollte hierbei eine | |
zentrale Rolle spielen. | |
## Weg mit dem Monopolschutz | |
Zweitens steht auf dieser Liste eine Entkoppelung der Produktion | |
öffentlicher Güter – wie Medikamente, Tests, medizinische Hilfsmittel – v… | |
Patentsystem. Dass das globale Regime für intellektuelles Eigentum mit | |
seinem starkem Monopolschutz nicht funktioniert, ist keine Neuigkeit. | |
Dieses System scheitert erstens bei der Gesundheitsvorsorge, etwa wenn | |
keine neuen Antibiotika produziert werden, obwohl die alten immer weniger | |
wirken. Es scheitert ebenso in Bezug auf fairen Zugang zu Arzneimitteln, | |
wenn lebenswichtige Wirkstoffe immer wieder hinter Patentmauern | |
verschwinden. | |
Freiwillige Patentpools und Arzneispenden, wie sie in der aktuellen Krise | |
debattiert werden, sind bestenfalls die karitative Notlösung. Die kommt | |
bestenfalls da zum Einsatz, wo der öffentliche Druck besonders hoch ist. | |
Dabei haben Forschende und zivilgesellschaftliche Netzwerke längst eine | |
Reihe von Modellen entwickelt, mit denen sich die Forschung und Entwicklung | |
vom Patentsystem entkoppeln lässt, im Sinne des Gemeinwohls. Die Zeit ist | |
überreif, diese Modelle in der Praxis zu erproben. | |
## Staatliche Verantwortung für die Gesundheit | |
Drittens gehört die Demokratisierung der Gesundheitswirtschaft auf die | |
Liste. In vielen Ländern versuchen Regierungen bereits, privatisierte | |
Gesundheitseinrichtungen wieder in die öffentliche Pflicht zu nehmen, | |
[4][etwa in Spanien] oder Irland. Gerade wird vielerorts das Ausmaß | |
sichtbar, in dem private Ausgliederungen und Rentabilitätsmodelle den | |
Gesundheitssektor ausgehöhlt haben. Wird uns die Krise dauerhaft an die | |
öffentliche Verantwortung für Gesundheit gemahnen – national wie | |
international? | |
Demokratisierung hieße dabei nicht nur, auf Marktversagen mit öffentlicher | |
Gesundheitspolitik, von der nationalen bis zur Gemeindeebene, zu reagieren. | |
Sie hieße auch, Gesundheitsarbeiterinnen, von der | |
Community-Health-Arbeiterin in Pretoria über die Hygienekraft in Madrid | |
bis hin zur Ärztin in Paris, stärker mitbestimmen zu lassen. | |
Diese Menschen werden heute gefeiert. Damit sie morgen nicht wieder | |
vergessen werden, brauchen sie Einfluss. In einer Welt, in der siebzig | |
Prozent aller Gesundheitsarbeiterinnen Frauen sind, wäre dies auch ein | |
Schritt hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. | |
## Entkolonialisierung der Gesundheit | |
Schließlich, viertens, eine Entkolonialisierung der globalen Gesundheit. | |
Die vielen Forschungsinitiativen und internationalen Partnerschaften, mit | |
denen reiche und arme Länder gemeinsam Gesundheit verbessern wollen, haben | |
zwar oft den Anspruch, lokale Kapazitäten aufzubauen. | |
Die globale Hilfsmaschinerie verstetigt aber immer noch Wissensmonopole in | |
den reichen Ländern, abgesichert durch Elite-Institute, Patente, und | |
Produktionskapazitäten. Hinzu kommt eine unzureichend gesteuerte | |
Fachkräfteabwanderung in der Forschung und in der Primärversorgung etwa mit | |
Krankenschwestern und Pflegekräften. | |
Dass die Kompensationen für diesen Braindrain von Süd nach Nord nicht | |
ausreichen, können wir jetzt live beobachten. In einer besseren globalen | |
Gesundheitswirtschaft hätten die vielen Menschen in aller Welt, die etwas | |
für die Gesundheit bewegen wollen, auch die Möglichkeit, das zu guten | |
Bedingungen dort zu tun, wo sie am meisten gebraucht werden. | |
2 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Oxfam-schlaegt-Alarm/!5677770 | |
[2] /Mindesteinkommen-in-Spanien/!5676852 | |
[3] /Konflikt-zwischen-USA-und-WHO/!5677620 | |
[4] /Corona-Krise-in-Spanien/!5668979 | |
## AUTOREN | |
Tine Hanrieder | |
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