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# taz.de -- Pressefreiheit in Ungarn unter Beschuss: Die Greta-Frage
> Mitarbeiter des ungarischen öffentlichen Rundfunks leaken Beweise für
> Nachrichtenmanipulation. Es geht um Themen, die der Regierung unliebsam
> sind.
Bild: Aufmarsch nationalistischer Gruppen am 1. März in Budapest
Man müsse den Zusammenhang zwischen der Corona-Epidemie und der
unkontrollierten Migration besser verstehen. Das sagt Zoltán Lomnici, ein
regelmäßig und zu allen Anlässen befragter Experte im ungarischen
Staatsfernsehen. Es seien schließlich die Fremden, die ohne jegliche
Hygiene hausten, und darauf warteten, endlich nach Europa zu kommen. Diese
leicht widerlegbare These grassiert in den ungarischen Medien seit
[1][Viktor Orbáns] Erörterung, wonach das Virus nur vom eigentlichen
Problem ablenke: der Massenmigration.
In solchen Fällen ist die Kontrolle der öffentlichen Debatte durch die
ungarische Regierung leichter zu ertappen als sonst. Dieselbe Lüge wird auf
allen Kanälen von Dutzenden Politikern und Pseudowissenschaftlern
wiederholt, sie spielen einander den Ball zu, bis eine Nachrichtenlawine
daraus entsteht.
Wie straff die Sache organisiert ist, kam unlängst ungewollt durch eine
andere Expertise des genannten Herrn Lomnici zutage. Vor einem Jahr leakte
ein Mitarbeiter der Staatsmedien die ungeschnittene Aufnahme eines
Beitrags. Man hört, wie der Reporter außerhalb des Bildschirms Lomnici
daran erinnert, was er nach dem Willen der Redakteure noch unbedingt
behaupten soll.
Frustrierte Mitarbeiter des ungarischen öffentlichen Rundfunverbands MTVA
schmuggeln immer wieder Beweise einer flächendeckenden Nachrichtenfälschung
und Zensur an die Öffentlichkeit. MTVA steht für „Medienanbieter und
Treuhand“ und vereint alle Beschäftigten der staatlichen Medien. [2][Als
Viktor Orbán vor zehn Jahren an die Macht kam, war eine seiner ersten
Reformen die Zentralisierung der Öffentlich-Rechtlichen]. Die eigenständige
Nachrichtenagentur MTI wurde mit den Radios und Fernsehkanälen
zusammengelegt, seitdem gibt es eine einzige Nachrichtenredaktion, die alle
Plattformen mit Meldungen beliefert. So ist die politische Kontrolle aller
Staatsmedien am einfachsten zu gewährleisten.
## Nicht die gewünschte Perspektive
Im letzten August habe dann die Leitung der MTVA ein außenpolitisches
Kabinett aufgestellt, sagt eine Quelle, die die Reform selbst miterlebte,
gegenüber der taz. Ziel der Umstrukturierung war, alle für die ungarische
Regierung sensiblen Themen noch strenger kontrollieren zu können. Die
Redakteure seien zunehmend verärgert gewesen, dass einige Mitarbeiter
eigenständig nicht die gewünschte Perspektive liefern konnten.
Die Quelle sagt, die Berichte und Beiträge hätten immer einem festgelegten
Drehbuch folgen müssen. Die Beschäftigten wüssten, welche Botschaft zu
überbringen sei, wer zu Wort kommen müsse und wer nicht gefragt werden
dürfe, mit welchen Bildern Geschichten untermalt werden sollten und welche
Rückblende erforderlich sei, damit die Leser oder Zuschauer nicht
vergessen, was sie alles der Regierung zu verdanken haben.
Außenpolitische Gefälligkeiten sind Teil des Medienangebots an die Freunde
und Nacheiferer von Orbán. Am Tag der Bundestagswahl 2017 kündigte die
Berlin-Korrespondentin der MTVA, weil aus ihrem Beitrag die
Charakterisierung der AfD wiederholt gestrichen worden war. Sie hatte sagen
wollen, dass der Einzug der Partei deswegen wichtig sei, weil damit zum
ersten Mal eine rechtsgerichtete Partei mit teils rechtsextremen und
antisemitischen Mitgliedern in den Bundestag einziehen würde. Der Redakteur
aber entfernte jegliche Beschreibung der AfD, was den Sinn des ganzen
Berichts entkernte.
Auch eine Anne Will könnte es in Budapest nicht geben. Ungarische
Oppositionelle dürfen nämlich ihre Meinung partout nicht sagen, sie werden
höchstens in die Falle gelockt. Die Idee sei, die Politiker aus heiterem
Himmel mit Fragen zu konfrontieren, auf denen sie unvorbereitet sind, so
dass sie im Beitrag schlecht aussehen, sagt die Quelle bei MTVA. Zum
Beispiel der neue, grüne Oberbürgermeister von Budapest. Gergely Karácsony
werde immer wieder aufgelauert, um ihn beim Autofahren ertappen zu können,
wo er doch das Fahrradfahren predigt. Zum Virus oder zu anderen relevanten
Themen wird er nicht befragt.
## Greta ist nicht erwünscht
Die Regeln widersprechen oft auch dem normalen Medienbetrieb. Sagt zum
Beispiel ein deutscher Minister etwas Kritisches über Ungarn, wird darüber
so lange nicht berichtet, bis ein Regierungsvertreter in Budapest alles
zurückgewiesen hat. Und wenn endlich die Replik aufgenommen ist, dann wird
der Beitrag in umgekehrter Reihenfolge geschnitten: Erst kommt die
ungarische Richtigstellung, dann die deutsche Kritik.
Neben peinlichen Clips wurden letzter Zeit auch Briefe geleakt, die
belegen, dass bei der MTVA einige Themen es schwerer haben, ins Programm zu
kommen. Wer zum Beispiel an einer Geschichte über Greta Thunberg arbeiten
möchte, solle sicherheitshalber den Redakteur vorher kontaktieren. Das gehe
aus einem Schreiben hervor, das in der Redaktion die Runde mache, erzählt
die Quelle.
Natürlich heißt das nicht, dass die schwedische Umweltaktivistin nicht im
ungarischen Fernsehen vorkommen darf, aber bitte immer nur im negativen
Licht. Das Gleiche betrifft nach Informationen der taz auch Amnesty
International, die offenbar nicht erwähnt oder zitiert werden darf, solange
die Berichterstattung die Organisation positiv oder neutral darstellen
würde.
Die europäische Ausgabe von Politico hat auch einige Briefe erhalten und
letzte Woche veröffentlicht. Darin werden die Themenbereiche Migration,
europäische Integration, Religion- und Umweltfragen als heikel eingestuft,
was bedeutet, dass eine Absprache mit dem Redakteur noch vor der Recherche
erwartet wird. Ergebnisse dieser Arbeitsweise sind in diesen Tagen unschwer
zu erkennen, wenn sogar das Coronavirus, ganz im Sinne der Message der
Regierung, mit dem Thema Migration in Verbindung gebracht wird.
16 Mar 2020
## LINKS
[1] /!t5010201/
[2] /Umstrittenes-Mediengesetz-in-Ungarn/!5129852
## AUTOREN
Gergely Márton
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